Umbruch in Bern befürchtet, erwartet und erhofft
Als erster Meister der Super League ist YB schon sieben Runden vor Schluss am Ziel. Es ist kein Rechnen mehr nötig. Der Sportchef kann seine Energie der Zukunft zukommen lassen. Er tut es.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Young Boys können die restlichen Spiele noch dazu nutzen, verschiedene Rekord an sich zu reissen, die der FC Basel innehat.
Sie können am Schluss der Meister mit den meisten Punkten sein, der Meister mit der besten Tordifferenz, mit der höchsten Anzahl geschossener Tore, der Meister mit dem grössten Vorsprung auf den Zweiten.
Trainer Gerardo Seoane und Sportchef Christoph Spycher wurden an diesem Wochenende, an dem YB den 13. Meistertitel der Klubgeschichte sichergestellt hat, verschiedenste Male gefragt, was ihnen die Rekorde bedeuten würden. Beide machten deutlich, dass solche Bestmarken für sie nett und schön wären, aber nicht mehr als Supplements zum Meistertriumph. Das wirklich Wichtige sei der Meistertitel selbst.
Gerade für Christoph Spycher sind die Gedanken an die Zukunft und die rollende Planung der nächsten Saison viel wichtiger. Er weiss und sagt es auch, dass das Kader 2019/20 ein anderes Gesicht haben wird. «Ja, es wird verschiedene Änderungen geben» sagte der Berner. Den anstehenden Umbruch kann man aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.
- Der befürchtete Umbruch. Das ist der Blickwinkel des Fans. Im Erfolg wünscht sich der Fan, dass es immer so bleiben möge, wie es gerade ist. Er möchte, dass Kevin Mbabu, Christian Fassnacht, David von Ballmoos, Djibril Sow, Loris Benito und viele andere im Stade de Suisse alt werden. Eine grosse Veränderung betrachtet er als Gefahr. Wenn wir Mbabu und Sow nicht mehr haben, werden wir plötzlich nicht mehr Meister. Der Fan hat seine Mühe, sich vorzustellen, dass es nach einem Umbruch auf erfreuliche Art weitergehen kann.
- Der erwartete Umbruch. Einen Umbruch zu erwarten und sich darauf vorzubereiten gehört zum Pflichtenheft des pflichtbewussten Sportchefs. In früheren Jahrzehnten, besonders noch vor dem revolutionären Bosman-Urteil vom Dezember 1995, konnten Schweizer Mannschaften viele Jahre mit wenigen Änderungen überdauern. Transfers ins Ausland wie jene von Stéphane Chapuisat, Ciriaco Sforza, Alain Sutter oder Adrian Knup waren Ausnahmen. Heute sind die Vereine wie auch die Spieler mitten im internationalen Markt und der banalen Gesetzmässigkeit von Angebot und Nachfrage ausgesetzt. Letzten Sommer war Verteidiger Kasim Nuhu der einzige Protagonist der Meistermannschaft, der wegzog. Heute sagt Spycher, das Transferfenster des letzten Sommers sei für YB «ein besonderes» gewesen. Er hatte damals mit deutlich mehr Abgängen gerechnet.
Der erhoffte Umbruch. Für den Fan mag es eigenartig tönen, wenn sich der Sportchef für die nächste Transferperiode einen relevanten Umbruch erhofft. Spycher: «Letzten Sommer war ich mir nicht sicher, ob die Spieler noch einmal so hungrig sein würden, wie sie es im Frühling auf dem Weg zum Meistertitel waren.» Die heute vorliegenden Zahlen - 25 Siege in 29 Spielen, nur eine Niederlage - beweisen dem Sportchef, dass die Spieler über die ganze Zeit hungriger waren, als er es erwartet hatte. «Aber wäre es auch nächste Saison so?», fragt Spycher öffentlich. Er will es nicht darauf ankommen lassen. Er sagt: «Es ist nicht gut, wenn eine Mannschaft über viele Jahre unverändert zusammenbleibt. Es ist klar, dass der eine oder andere unserer Spieler jetzt in eine Topliga gehen muss. Es wird für uns ein Balanceakt sein. Es geht darum, bewährte Spieler zu behalten, aber der Mannschaft mit neuen Spielern neue Energie zuzuführen.»
Der FC Basel hat jahrelang beispielhaft vorgemacht, wie man Abgänge von Leistungsträgern mit bedachten und geschickten Zuzügen so kompensiert, dass die Mannschaft ihre Überlegenheit im nationalen Wettbewerb bewahrt. Diese Aufgabe ist jetzt YB übertragen. Die ersten einzelnen Aufgaben haben Spycher und seine Scouting-Abteilung unter Stéphane Chapuisat mit Bravour gelöst. Nicolas Moumi Ngamaleu, der im Spätsommer 2017 für den wegziehenden Yoric Ravet verpflichtet worden war, hat sich längst als Gewinn erwiesen. Ali Camara wurde letzten Sommer als angedachter Realersatz für Kasim Nuhu geholt. Niemand kannte Camara. Der junge Riese aus Guinea wurde aus dem zweitklassigen israelischen Klub Hapoel Ra'anana buchstäblich ausgelocht. Heute hat er Gregory Wüthrich in der Innenverteidigung überholt und Nuhu vergessen gemacht. Als in der Winterpause klar wurde, dass Captain Steve von Bergen nach der Saison sehr wahrscheinlich seine Karriere beenden würde, gab Spycher vor der Presse die Verpflichtung von Fabian Lustenberger aus Berlin bekannt. Lustenberger wäre nicht nur auf Von Bergens Position, sondern auch für die ihm vertraute Rolle des Captains prädestiniert.
Das Gespür der technischen Abteilung für die richtigen und passenden Spieler wird in den nächsten Wochen und Monaten in Bern gefordert sein. Diese Anforderungen erfüllen die Young Boys seit geraumer Zeit meisterlich. Es ist nicht klar, wieso es nicht auch in der Zukunft so sein sollte.