Michael Wiget: «Schwingen ohne Zuschauer wäre unglaublich traurig»
Michael Wiget gilt als Aufsteiger der letzten Schwingsaison. Im Nau.ch-Interview spricht er über seine wechselvolle Karriere. Und das Outing von Curdin Orlik.
Das Wichtigste in Kürze
- Michael Wiget schaffte in der letzten Saison den Durchbruch.
- 2019 erreichte er die Schlussgänge auf dem Weissenstein und am Mittelländischen.
- Im grossen Nau.ch-Interview spricht er über seine Höhen und Tiefen.
An diesem Wochenende würden in Appenzell die besten Schwinger beim Jubiläumsschwingfest des Eidgenössischen Schwingverbandes (ESV) in den Sägemehlring steigen.
Coronabedingt fiel die ganze Saison ins Wasser. Mitfavorit auf den Festsieg wäre auch der Aufsteiger der letzten Saison gewesen: Michael Wiget (21) aus Wünnewil FR.
Unter Kennern der Jungschwingerszene gilt Wiget seit Jahren als grosses Talent. Schon 2015, beim Eidgenössischen Nachwuchsschwingertag in Aarburg, wird er nach dem gleichaltrigen Samuel Giger als heissester Titelanwärter gehandelt.
Verletzungen verhindern Aufstieg
Danach trennen sich die Wege der beiden. Im Gegensatz zu Giger, der 2016 seine Saison mit dem Gewinn eines Eidgenössischen Kranzes krönt, kann Wiget lange nicht durchstarten.
Immer wieder plagen den Freiburger, der für den Schwingklub Laupen BE schwingt, Verletzungen: ein Ermüdungsbruch in der Schulter, gerissene Bänder im Ellbogen, eine Schleimbeutelentzündung im Knie.
Letztes Jahr dann der Durchbruch: Wiget steht am Mittelländischen Schwingfest und auf dem Weissenstein im Schlussgang, wo er aber unterliegt. Sein herausragendes Jahr krönt er mit einem Kranz am Eidgenössischen in Zug.
Nau.ch hat den Aufsteiger der letzten Saison zum Interview getroffen.
Nau.ch: Michael Wiget, nach einer langen Verletzungsmisere krönten Sie letztes Jahr eine erfolgreiche Comeback-Saison mit dem Gewinn eines Eidgenössischen Kranzes. Haben Sie damit gerechnet?
Michael Wiget: Es war eine unglaublich schöne Zeit. Wenn man drei Jahre in Folge verletzt ist, ist es nicht einfach – in allen Belangen. Ich hatte das «Glück», unterschiedliche Verletzungen zu erleiden. Ich konnte zwischendurch im Sägemehl stehen und sehen, was möglich wäre. Und das konnte ich nun letztes Jahr unter Beweis stellen.
Nau.ch: Haben Sie in dieser schweren Zeit auch an Rücktritt gedacht?
Michael Wiget: Für mich kam das nie in Frage. Ich schwinge bereits seit jungen Jahren und diese Sportart bedeutet mir sehr viel. Ich war mir sicher: Wenn ich dran bleibe, wird es sich auszahlen.
Nau.ch: Haben Sie nach dem erfolgreichen Start in der vergangenen Saison fortlaufend ihre Ziele angepasst? Auch im Hinblick auf das Eidgenössische Schwingfest?
Michael Wiget: Mein primäres Ziel war Schwingen. Und Freude am Schwingen haben. Ich war einfach froh, konnte ich wieder die Sportart, die ich liebe, ausüben und die Emotionen erleben. Aber nach dem erfolgreichen Start habe ich mich auch mit weiteren Gedanken wie einem Eidgenössischen Kranz auseinandergesetzt.
Nau.ch: Auch mit dem Königstitel?
Wiget: Ich war einfach froh, konnte ich an diesem Fest teilnehmen und es erfolgreich absolvieren. Das Verpassen des Eidgenössischen 2016 in Estavayer FR war für mich sehr enttäuschend. Nur selten findet ein grosses Schwingfest so nah vom eigenen Wohnort statt.
Nau.ch: In der Saison-Vorbereitungsphase 2020 outete sich ihr Trainingspartner Curdin Orlik als homosexuell. Wie haben Sie auf diese Nachricht reagiert?
Wiget: Ich kenne Curdin Orlik sehr gut – er ist ein guter Freund von mir. Und ich bin unglaublich stolz und finde es sehr bewundernswert, hat er diesen Schritt gewagt.
Ich hoffe, auch in der Schwingerfanszene steht jeder hinter ihm. Er ist ein super Typ – egal welcher sexuellen Orientierung.
Nau.ch: In der Schwingerszene wurde das Outing heiss diskutiert. Haben es andere Schwinger auch so positiv aufgenommen wie Sie?
Wiget: Klar, das Outing wurde zu einem Thema. Es hat sich allerdings sehr schnell gelegt. Dies zeigt auch, dass diese Sportart weltoffener geworden ist. Es wird trotzdem einige geben, die das nicht gut aufgenommen haben, denen das immer noch fremd ist. Aber im Grossen und Ganzen hat die Schwingergemeinde positiv reagiert.
Nau.ch: Kurz nach dem Outing und vor Beginn der Saison kam das Coronavirus. Wie war das für Sie?
Wiget: Es ging alles sehr schnell. Wir haben uns sehr gut auf die Saison vorbereitet und waren im Feinschliff. Ich war auf dem Weg ins Training, als der Bundesrat den Lockdown verhängte. Wir dachten damals, dass bis im April nicht mehr geschwungen wird.
Es ging dann aber relativ lange, bis wir Gewissheit hatten, dass dieses Jahr keine Feste stattfinden. Das war sehr schwer. Ich empfand es wie eine Verletzung. Nur dass ich nicht verletzt war.
Nau.ch: Haben Sie nie geschwungen in dieser Zeit?
Wiget: Nein, ich finde, man sollte sich an die Vorschriften des Bundes halten. Auch der Eidgenössische Schwingerverband hat damals verkündet, vor den Schwingfesten den Athleten eine Vorbereitungszeit zu gewähren.
Nau.ch: Hatten Sie Angst, dass sich einige nicht an die Vorschriften halten und Sie den Anschluss verlieren?
Wiget: Nein, ich wusste auch von vielen Berner Spitzenschwingern, dass sie sich an die Regeln halten. Daher gab es kein grosses Bedürfnis.
Nau.ch: Der Verband hat mit der Absage mehrerer Feste und des Jubiläumsschwinget lange zugewartet. Wie war das für Sie?
Wiget: Es war schwer. Denn es war das Saisonhighlight. Solange dieses nicht abgesagt wurde, versuchte jeder, sich fit zu halten.
Nau.ch: Das Virus wird uns noch lange beschäftigen. Sind Schwingfeste ohne Zuschauer denkbar?
Wiget: Nein, «Geisterschwingfeste» könnte ich mir nicht vorstellen. Die Fans würden in der Arena fehlen. Die Emotionen würden niemals dieselben sein. Der Verband hat bereits mitgeteilt, ein Schutzkonzept zu erstellen. Falls nötig, werden aber auch «Geisterschwingfeste» durchgeführt.
Nau.ch: Würden Sie dann auch antreten?
Wiget: Ja, die Sportart an sich bleibt die gleiche. Aber eine ganze Saison ohne Zuschauer wäre unglaublich traurig.
Nau.ch: Sie haben nach ihren Erfolgen letztes Jahr gleich mit mehreren Unternehmen Partnerschaften abgeschlossen. Können Sie nun vom Sport leben?
Wiget: Meine Ausgaben sind jetzt gedeckt und ich kann mich voll aufs Studium konzentrieren. Zudem habe ich das Glück, dass ich weiterhin zu Hause wohnen kann und daher einige Kosten einsparen kann.
Nau.ch: Mit den Partnerschaften werden Sie Teil der Diskussion, ob Sponsoren die Tradition des Schwingens zerstören.
Wiget: Für mich persönlich war es wichtig, dass ich hinter jedem Partner stehen kann. Und dies kann ich bei allen Firmen, die mich aktuell unterstützen. Dort sehe ich kein Problem, denn es ist ein Geben und ein Nehmen. Ich glaube, dass man es in einem humanen Rahmen machen muss.
Nau.ch: Bewegt sich Ihr Verbandskollege Remo Käser in einem «humanen Rahmen»?
Wiget: Ich glaube, das muss er selbst entscheiden. Es gibt sicherlich viele Schwinger, die einen ähnlichen Weg einschlagen würden. Meiner Meinung nach vermarktet er sich gut.
Nau.ch: Verstehen Sie die Leute, die sich gegen zu viel Sponsoring einsetzen?
Wiget: Ja. Wenn ich arbeiten würde, sähe es anders aus bei mir. Ich befinde mich aktuell aber im Jus-Studium und benötige die finanzielle Unterstützung.
Daher verstehe ich beide Ansichten. Aber wenn diese Entwicklung sich weiterhin fortsetzt, könnte es gefährliche Ausmasse annehmen.
Nau.ch: Inwiefern gefährlich?
Wiget: Das Eidgenössische gehört zu den grössten Volksfesten der Welt und hat in der Vergangenheit neue Dimensionen erreicht. Irgendwann sollte aber damit Schluss sein, dass das Kommerzielle nicht das Sportliche überwiegt. Deshalb hat der ESV angekündigt, das Eidgenössische in Pratteln zu verkleinern.
Nau.ch: In einem Interview haben Sie erwähnt, dass Sie in die Politik einsteigen wollen.
Wiget: Ja, ich möchte die Chance nutzen, die wir hier in der Schweiz haben, und an unserem politischen System teilnehmen. Ich möchte mich früher oder später einer Partei anschliessen, um meine Werte zu vertreten.
Nau.ch: Welcher Partei?
Wiget: Schwierig zu sagen. Es wird wahrscheinlich eine bürgerliche Partei sein.
Wiget: Bürgerlich.