Demenz-Kranke: Erfinder der Todeskapsel bastelt an Gift-Implantat
Der Erfinder der Suizidkapsel Sarco bastelt schon am nächsten Projekt: ein Gift-Implantat, das bei fortgeschrittener Demenz tötet.
Das Wichtigste in Kürze
- Philip Nitschke engagiert sich seit den Neunzigerjahren als Freitodaktivist.
- Der Australier ist der Erfinder der umstrittenen Sarco-Suizidkapsel.
- Nun bastelt er offenbar an seiner nächsten Erfindung: ein Gift-Implantat für Demenzkranke.
Für viele Schweizer ist eine Existenz mit einer degenerativen Gehirnkrankheit keine lebenswerte Option. Entsprechend können sich zahlreiche Menschen vorstellen, im Fall einer Demenz freiwillig aus dem Leben zu scheiden.
In der Schweiz und in vielen anderen Ländern können Sterbehilfeorganisationen jedoch nur Menschen in den Tod begleiten, die voll urteilsfähig sind. Mit anderen Worten: Demenzkranke dürfen den Moment nicht verpassen, ab dem sich ihr geistiger Zustand rasch verschlechtert, um ihren Suizidwunsch noch umsetzen zu können.
Dieser Moment lässt sich jedoch nicht exakt prognostizieren. Betroffene müssen sich deshalb frühzeitig entscheiden, sich vom Leben zu verabschieden. Es ist ein Dilemma, das der Australier Philip Nitschke nun auf technische Weise lösen möchte. Der ehemalige Arzt engagiert sich seit den neunziger Jahren als Freitodaktivist – weltweit bekannt geworden ist er als Erfinder der Suizidkapsel Sarco.
Laut «NZZ» tüftelt Nitschke an einem Implantat, das seinen Träger zum «richtigen» Zeitpunkt töten soll. Das Prinzip: Zu einem festgelegten Zeitpunkt beginnt das Gerät zu piepen und muss innerhalb weniger Stunden manuell deaktiviert werden. Geschieht dies nicht – etwa weil der Nutzer die Bedeutung des Tons vergessen hat – wird ein Gift aus dem Implantat freigesetzt.
Auf Anfrage der Zeitung schreibt der Australier: «Das ist eine wirklich befriedigende Art, mit dem ‹Demenz-Dilemma› umzugehen.» Wie weit er mit der technischen Umsetzung seiner Idee ist, dazu will er keine Angaben machen. «Wir sind bei der Entwicklung in einer entscheidenden Phase und werden so bald wie möglich Details bekanntgeben.» Nitschke hat jedoch bereits angekündigt, dass er sich eine Testversion mit Kochsalzlösung implantieren lassen will.
«Grosse Verantwortung für Träger»
Stefanie Becker, Direktorin der gemeinnützigen Organisation Alzheimer Schweiz, sieht das Implantat nicht als Lösung für das «Demenz-Dilemma». Sie findet die Änderung im Entscheidungsprozess, die das Gerät mit sich brächte, problematisch: «Die Tötung erfolgt nicht aufgrund einer aktiven Willensäusserung, sterben zu wollen, sondern aufgrund einer unterlassenen Willensäusserung, leben zu wollen.»
Dem liege die Annahme zugrunde, dass eine Person, die nicht mehr in der Lage sei, das Signal zur Deaktivierung zu erkennen und zu verstehen, sich in einem Zustand befindet, in dem sie das Leben als nicht mehr lebenswert betrachte. «Eine Annahme, die in dieser Einfachheit nicht haltbar ist», so Becker.
Becker warnt weiter davor, dass das Implantat seinem Träger eine grosse Verantwortung auferlege: Die regelmässige Notwendigkeit, das Gerät zu deaktivieren, könne erheblichen psychischen Druck erzeugen, vor allem bei Menschen, die sich ohnehin als Belastung für Angehörige oder die Gesellschaft empfinden. «Die Angst, einen Fehler zu machen, könnte das Leben der Person zusätzlich stark negativ beeinflussen und so den Suizidwunsch sogar noch verstärken.»
Becker betont, dass sie grundsätzlich Mühe mit den sehr negativen Vorstellungen von Alzheimer und anderen Demenzformen habe, die hinter Nitschkes Erfindung stecken. «Es handelt sich um ein wenig informiertes Bild von Demenz, das ausschliesslich von würdelosem Leiden und Abhängigkeit geprägt ist. Das löst Ängste aus.» Ein gutes Leben mit Demenz sei aber möglich, betont Becker.
Vorsätzliche Tötung? «Lächerlich und absurd!»
Übrigens: Der Name von Sarco-Erfinder Philip Nitschke tauchte schon am Montag in zahlreichen europäischen Zeitungen auf. Es wurde berichtet, dass die Schaffhauser Staatsanwaltschaft nach dem ersten Einsatz seiner Suizidkapsel hierzulande eine Ermittlung wegen vorsätzlicher Tötung gegen Florian Willet, den Co-Präsidenten von «The Last Resort», einer der Organisationen hinter Sarco, führe.
Der Grund dafür sollen Spuren am Hals der in einem Waldgebiet bei Schaffhausen verstorbenen US-Amerikanerin gewesen sein. Gegen diese Behauptungen haben sich am Dienstag die Organisationen hinter Sarco – «The Last Resort» und «Exit International» heftig gewehrt und sie als «lächerlich und absurd» bezeichnet.
Die Organisationen beharrten darauf, dass die erste Sarco-Benutzerin die Kapsel freiwillig betrat und einen Knopf drückte, um die Kammer mit Stickstoff zu füllen, was ihren eigenen Tod zur Folge hatte.
«The Last Resort» und «Exit International» liessen öffentlich verlauten, dass Aufnahmen aus dem Inneren und Äusseren der Kapsel dies zeigen würden. «Sie hat genau wie geplant funktioniert und die Benutzerin ist am 23. September friedlich an Stickstoffhypoxie gestorben», hiess es.