Harter Brexit: Lassen es Briten wegen Corona drauf ankommen?
Die Verhandlungen stocken, das Coronavirus wirft eine Einigung weiter zurück und Boris Johnson könnte es drauf ankommen lassen. Eine Analyse zum Brexit.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Coronavirus hat den Brexit-Fahrplan weiter ins Stocken gebracht.
- Eine Verlängerung der Verhandlungen kommt für die Briten nicht in Frage.
- Grossbritannien spielt im Brexit-Machtpoker auf Zeit und erzürnt den EU-Chefunterhändler.
Für einen Moment stand die Welt still. Verkehr, Arbeit und Politik wurden mit dem Corona-Lockdown weltweit auf ein Minimum beschränkt.
Doch eine Uhr tickte unbekümmert weiter: Die des Brexit. Bis Ende Jahr müssen EU und Ex-Mitglied Grossbritannien eine Einigung für die künftigen Beziehungen finden. Sonst droht abermals der harte Brexit. Dass mit dem Corona-Lockdown wichtige Zeit verstrichen ist, wurde spätestens beim Start der dritten Verhandlungsrunde diese Woche bewusst.
Auch ohne die Corona-Krise ist die Zeit bis Ende Jahr äusserst knapp berechnet, um eine umfassende Einigung zu erzielen. Und nun sind aufgrund des Virus nötige direkte Treffen zwischen den beiden Seiten nicht möglich.
Verlängerung kommt für Briten nicht in Frage
Ein Ausweg wäre, wenn man sich bis Ende Juni auf eine maximal zweijährige Verlängerung der Übergangsphase einigen würde. Dann wäre genügend Zeit, um sich mit den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise auseinanderzusetzen. Doch das wollen die Briten «selbst dann nicht, wenn die EU uns darum bitten würde». So erklärte der Chefunterhändler David Frost den britischen Standpunkt.
Erschwerend kommt der fehlende Verhandlungswille der britischen Seite hinzu. «Das Land kann sich nicht weigern, die Übergangsfrist zu verlängern, gleichzeitig aber die Verhandlungen verzögern», so der frustrierte Michel Barnier.
Der EU-Chefunterhändler wird nun weiterhin die Geschlossenheit der übrigen EU-Staaten zu erhalten versuchen. Das war bisher das Erfolgsrezept im Pokerspiel gegen die Sturköpfe in London. Doch auch hier ist das Coronavirus ein Faktor.
Die Alleingänge der Staaten in den letzten Wochen offenbarten, dass in der Krise Eigeninteressen dominieren. Die Solidarität unter den EU-Staaten stösst an ihre Grenzen. Der Kompromisswille könnte unterminiert werden, wie Politikwissenschaftler Leonard Schuette gegenüber SRF sagt.
EU drängt auf umfassende Lösung beim Brexit
Die EU drängt auf eine Lösung an allen Fronten. Vor allem sollen die Briten ein Mindestmass an Umwelt-, Sozial- und Arbeitsmarktstandards der EU übernehmen oder den EU-Regeln anpassen.
Die britische Regierung will hingegen nur da ernsthaft verhandeln, wo sie für sich Vorteile sieht. Etwa bei den Themen Handel, Energie und Flugverkehr. Dafür nimmt sie den harten Brexit in Kauf: Das heisst Zölle, strikte Grenz- und Warenkontrollen und zahlreiche weitere wirtschaftliche Hürden.
In Brüssel wächst darum der Eindruck, Boris Johnson gehe «all in». Er beabsichtige die schlimmen wirtschaftlichen Folgen eines harten Brexit ohne Abkommen hinter noch schlimmeren Folgen der Corona-Krise verstecken zu wollen.