In Bosnien-Herzegowina brodelt es nach Wahlen
Bosnien steht für alles, was man in demokratischen und marktwirtschaftlichen Ländern nicht will. Aber es gibt auch einige Funken Hoffnung.
Das Wichtigste in Kürze
- Bosnien-Herzegowina ist der Inbegriff von Misserfolg.
- Nach den Wahlen haben im Balkanland nun die Nationalisten das Sagen.
Ein kompliziertes und nicht funktionierendes politisches System. Der Reformstau und ein riesiger Staatssektor. Korruption und undemokratisch organisierte Parteien. Wirtschaftliche und soziale Misere, die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten. Der kleine Balkanstaat Bosnien-Herzegowina ist seit langem der Inbegriff von Misserfolg. Zwar hatten die USA und die EU dem Land nach dem Bürgerkrieg (1992-1995) mit einem zwischen muslimischen Bosniern, christlichen Serben und Kroaten austarierten Politsystem Frieden beschert. Heute ist Bosnien aber praktisch unregierbar, weil die drei Völker nach Kräften gegeneinander arbeiten.
Die Annäherung an die Nato und EU steht seit Jahren still. Doch die politischen Eliten der drei Völker haben sich eingerichtet. Sie haben alle Ressourcen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in Beschlag genommen. Führende NGO-Vertreter wie die Serbin Sonja Biserko oder Srdjan Blagovcanin, der die bosnische Filiale von «Transparency» führt, sind sich einig: Die Spitzenpolitiker des Landes sind gar nicht an Reformen interessiert, weil die ihre eigene Machtposition bedrohen würden. Daher seien ihre Reformversprechen reine Lippenbekenntnisse.
Tiefe Wahlbeteiligung
Das sorgt für Resignation: Knapp die Hälfte der 3,4 Millionen Wahlberechtigten blieb bei den Parlaments- und Präsidentenwahlen am Sonntag zu Hause. So stimmten vor allem die Gefolgsleute der nationalistischen Parteien ab, die sich ihre Loyalität mit Jobs und Privilegien bezahlen lassen. Und sorgten für deren Sieg: Die SDA-Partei für die muslimischen Bosnier sowie die SNSD für die Serben bleiben stärkste Kraft. Sie kontrollieren darüber hinaus Justiz und Medien.
Und doch gibt es Parteien wie die Sozialdemokraten, die Demokratische Front oder Unsere Partei («Nasa stranka»), die dem Konzept der Nationalisten einen bürgerlichen Ansatz entgegenstellen. Das gilt vor allem für den neu ins dreiköpfige Staatspräsidium gewählten Zeljko Komsic. Nicht die Nation sei das Mass aller Dinge, sondern der einzelne Bürger, lautet dessen Credo. Sein Konzept sei «die Chance und einzige Alternative für eine bessere Zukunft dieses Landes», kommentierte Radio Sarajevo heute Montag.
Blockade des politischen Systems
Ob Komsic allerdings in der Staatsspitze etwas gegen die nationalistischen Hardliner Sefik Dzaferovic und Milorad Dodik ausrichten kann, ist mehr als fraglich. Dzaferovic ist Vertreter der muslimischen Bevölkerungsmehrheit (SDA), der Serbe Dodik dürfte mit seiner prorussischen und antiwestlichen Politik für Konfrontation sorgen. Auf Konfrontation sind auch die Kroaten als kleinste Nation eingestellt. Nachdem ihr langjähriger Führer Dragan Covic gegen Komsic eine herbe Niederlage erlitten hat, strebt er als Druckmittel jetzt eine Blockade des politischen Systems an.
«Wir kommen in eine sehr ernste Lage», drohte Covic am Tag nach der Wahl. Eine «nie gesehene Krise» sei möglich. Schützenhilfe erhielt er heute Montag vom Regierungschef der benachbarten «Mutterrepublik» Kroatien, der Covic massiv unterstützt hatte. Ministerpräsident Andrej Plenkovic sieht eine «gar nicht gute Entwicklung». Viele heimische Medien erwarten daher, dass Zehntausende vor allem junge und gut ausgebildete Menschen ihrer Heimat den Rücken kehren, sollte die Lage weiter so aussichtslos bleiben. Angeblich sind in den letzten fünf Jahren schon eine halbe Million Menschen ausgewandert. «Es bleiben nur diejenigen ohne Grips zurück», titelte der TV-Sender «N1» im Sommer.