Ist Serbiens Vucic an Eskalation in Bosnien interessiert?
Bosniens Staatsanwaltschaft hat Haftbefehle für die politische Spitze der Republika Srpska ausgestellt. Ein Experte ordnet ein, ob eine Eskalation droht.

Das Wichtigste in Kürze
- In der Republik Srpska (RS) in Bosnien-Herzegowina kam es zu einer politischen Eskalation.
- Die Staatsanwaltschaft hat deswegen Haftbefehle gegen die RS-Spitze ausgestellt.
- Laut einem Experten wären diese wohl nur mit Gewaltanwendung umzusetzen.
- Der Präsident des Nachbarlandes Serbien könne nicht an einer Eskalation interessiert sein.
Die bosnische Staatsanwaltschaft hat Haftbefehle für die Politik-Spitze des serbischen Landesteils, der Republika Srpska (RS), ausgestellt.
RS-Präsident Milorad Dodik, RS-Ministerpräsident Radovan Viskovic und RS-Parlamentspräsident Nenad Stevandic werden wegen verfassungsfeindlicher Aktivitäten gesucht.
Edvin Pezo, Südosteuropahistoriker am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung, erklärt gegenüber Nau.ch, weswegen es dazu gekommen ist. Es handle sich um «eine Folgereaktion einer bewusst herbeigeführten politischen Eskalation in der RS».
Zuvor sei RS-Präsident Milorad Dodik in erster Instanz verurteilt worden: zu einem Jahr Haft und einem sechsjährigen Amtsverbot als RS-Präsident.
«Dieser hatte per Verfügung Gesetze bewilligt, die zuvor vom Hohen Repräsentanten Christian Schmidt für nichtig erklärt worden waren. Da sie mitunter dem Verfassungsgericht Bosnien-Herzegowinas dessen Rechtmässigkeit auf dem Territorium der RS absprachen», so Pezo.

Zur Erklärung: Aufgabe des Hohen Repräsentanten ist die Überwachung des Dayton-Friedensabkommens von 1995. Dazu verfügt er über weitreichende Vollmachten in der Gesetzgebung und der Besetzung von Staatsämtern.
Dodik treibt «möglichst weitgehende politische Loslösung der RS» voran
«In den Tagen nach der Urteilsverkündung wurden mehrere ganz offensichtlich verfassungswidrige Gesetze im RS-Parlament verabschiedet. Damit einher ging das stufenweise verfassungswidrige Vorantreiben einer möglichst weitgehenden politischen Loslösung der RS aus den im Laufe der letzten Jahrzehnte schrittweise ausgebauten gesamtstaatlichen Institutionen», erklärt der Historiker.
«Und damit aus dem Vertragswerk von Dayton. Ein solcher institutioneller Rückbau kann allerdings nur im Einvernehmen auf höchster Staatsebene erfolgen.»
Die drei RS-Politiker seien noch vor der Ausstellung der Haftbefehle aufgefordert worden, sich einer Anhörung zu stellen. Das hätten sie verweigert.
Als Folge habe Bosnien-Herzegowina am 12. März die Haftbefehle ausgestellt. «Alle drei Politiker wurden des Angriffs auf die verfassungsgemässe Ordnung des Landes bezichtigt.»
Eine Umsetzung der Haftbefehle wäre laut Pezo «aller Wahrscheinlichkeit nach nur mit Gewaltanwendung möglich. Dabei obsiegt wiederum die Angst vor unbeabsichtigten und unkontrollierbaren Kettenreaktionen». Zumal davon auszugehen sei, dass Teile der Polizeikräfte in der RS, begünstigt durch Klientelverhältnisse, loyal zur RS-Führung seien.
Vucic kann an Eskalation «nicht wirklich interessiert sein»
Doch welche Rolle spielt dabei Aleksandar Vucic, der Präsident des Nachbarlandes Serbien? «Insbesondere Vucic spielt mit seiner Schaukelpolitik zwischen Ost und West eine zentrale Rolle», erläutert Pezo.
Innenpolitisch sei er aber stark unter Druck geraten, zudem würden seine Beliebtheitswerte sinken. Das zeigen etwa auch die anhaltenden Proteste in Serbien.
«An einer Eskalation in Bosnien-Herzegowina kann er nicht wirklich interessiert sein. Da das nur für kurze Zeit die Aufmerksamkeit von ihm weglenken würden. Er aber den Status eines ‹Friedensbewahrers› (Serbien ist Mitunterzeichner des Friedensabkommens von Dayton) verlieren und damit erheblich an politischer Reputation einbüssen würde.»
Dodik wiederum sei politisch auf Serbien und Vucic angewiesen. Dieser habe immer wieder auf die friedenswahrende Rolle Serbiens in Bosnien-Herzegowina hingewiesen. «Vucic spielt zwar eine zweifelhafte Rolle in Bosnien-Herzegowina, jedoch kann ihm derzeit kaum an einer Eskalation der Situation gelegen sein.»
Eine Loslösung der RS von Bosnien-Herzegowina sei zwar fester Bestandteil von Dodiks politischer Rhetorik und Folklore. An einen Zerfall des Gesamtstaates oder eine Abspaltung der RS glaubt Pezo aber nicht.
Gesellschaftlicher Rückhalt für Loslösung fehlt
«Zumal das Voranpreschen und Handeln der RS-Führung seitens der dortigen Opposition scharf kritisiert wird. Und Dodik auch nicht den notwendigen gesellschaftlichen Rückhalt für einen derart radikalen Schritt haben dürfte.»
Dementsprechend sieht der Experte auch nicht die Gefahr eines weiteren Krieges in der Region. Der sogenannte Westbalkan sei zwar aufgrund der internationalen Grosswetterlage weitgehend aus dem Gesichtsfeld der internationalen politischen Akteure verschwunden.
«Westliche Kräfte sind jedoch militärisch präsent.» So etwa die Eufor in Bosnien oder die Unmik im Kosovo. Und sie hätten unmissverständlich klargemacht, dass sie als Friedensbewahrer vor Ort agieren werden.
«Viel wichtiger dürfte jedoch sein, dass weder in Bosnien-Herzegowina noch in Serbien, den beiden zentralen ‹Krisenherden›, eine ausgeprägte Kriegsbereitschaft in der Bevölkerung herrscht; ganz im Gegenteil und ganz anders als in den 1990er-Jahren.»
Mittel- und langfristig werde man sich aber zunehmend in Bosnien-Herzegowina die Frage nach institutionellen Reformen stellen müssen, die das Land voranbringen und auch seitens der EU eingefordert werden. Um Schritte in Richtung EU-Beitritt gehen zu können.