Rettung in der Sackgasse
Der Fall Sea-Watch spaltet die Gesellschaft. Das Problem ist aber nicht eine Deutsche, die zur «Kapitänin der Herzen» avanciert ist. Es ist auch nicht Italiens Hardliner Salvini. Die Justiz muss nun das richten, wobei Europas Politik scheitert.
Das Wichtigste in Kürze
- Carola Rackete steigt aus einem Auto, sie sagt kein Wort, sieht konzentriert aus.
Ein Polizist mit Sonnenbrille empfängt die Frau mit den langen Dreadlocks, an der sich gerade die Geister scheiden.
Die NGOs positionieren sich selbst - gewollt oder ungewollt - als politische Gegner. Rackete muss klar gewesen sein, dass sie mit ihrer Entscheidung, das Verbot der italienischen Regierung zu ignorieren, Salvini Auftrieb gibt. Für ihn ist es der endgültige Beweis, dass Seenotretter kriminell sind. Rackete jedoch sagt, sie war durch Selbstmorddrohungen der Migranten an Bord gezwungen, die Menschen an Land zu bringen.
Mit einem grauen Schiff der Finanzpolizei fährt die deutsche Kapitänin von Lampedusa zum Ermittlungsrichter. Ironie des Schicksals: Es ist eines jener Schiffe, das sie vor einigen Tagen an der Einfahrt in den Hafen von Lampedusa hindern wollte.
Man kann den Sarkasmus und die Kaltblütigkeit von Salvini verdammen. Es hilft aber nicht. Deutschlands Politiker wettern gegen die Kriminalisierung der Seenotretter. Doch was tut das Land für eine Lösung? Es hat sich aus der Operation Sophia zurückgezogen, mit der Schlepper bekämpft werden sollen. Und Deutschland unterstützt mit der gesamten EU offiziell die italienische Linie, dass die libysche Küstenwache die Migranten abfängt und zurück in die schrecklichen Lager des zerrütteten Landes bringt.
Rackete fuhr dennoch mit 40 Migranten an Bord der «Sea-Watch 3» los und wurde festgenommen. Für viele ist sie nun die «Kapitänin der Herzen». Sogar das deutsche Staatsoberhaupt, Präsident Frank-Walter Steinmeier, setzte sich für die 31-Jährige aus Niedersachsen ein. Minister der Bundesregierung fordern ihre Freilassung und kritisieren Roms populistische Regierung. Italienische Medien sehen eine diplomatische Krise und «Eiszeit» zwischen Deutschland und Italien heraufziehen.
Deutschland war zwar bis jetzt bei jedem Rettungsschiff vor Malta oder Italien bereit, Migranten aufzunehmen. Doch Rufe von Kommunen und die Bereitschaft in der Zivilgesellschaft, Migranten zu übernehmen, scheinen in Berlins Regierungsgebäuden zu verhallen.
Worte wie «Solidarität» und «moralische Werte» hängen in der Luft. Und sind doch nur leere Hülsen. «Worte allein bringen uns nicht weiter», sagte Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer, «wir erwarten Taten».
Die Lage ist bei der Sea-Watch nun angeblich deshalb eskaliert, weil die aufnahmewilligen EU-Länder nicht bereit waren, Roms Regierung Garantien zu geben, dass die Migranten nicht in Italien festhängen. Denn die Staaten wollen nicht jeden Menschen aufnehmen. Italien müsste erst prüfen, ob sie eine Chance auf Asyl haben. Bei Menschen zum Beispiel aus Bangladesch ist das in der Regel nicht der Fall.
Dort, wo die EU-Länder - eingeschlossen Deutschland - sich seit Jahren politisch entzweien, muss nun die Justiz entscheiden. Die Staatsanwaltschaft wirft der Deutschen Widerstand gegen ein Militärschiff und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vor. Die Hilfsorganisation sieht sich jedoch im Recht. Sie sagt, jedes Rettungsschiff müsse den nächsten sicheren Hafen ansteuern - und das war im letzten Fall Lampedusa.
Doch Italien ist nicht zur Aufnahme von Migranten verpflichtet. Wenige Tage vor der unerlaubten Einfahrt der «Sea-Watch 3« hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen Antrag der Organisation abgewiesen, in Italien anlegen zu dürfen. «Es gibt keine seerechtliche Regelung, wie jetzt zu verfahren ist. Es ist nicht eindeutig so, dass Italien die Flüchtlinge aufnehmen müsste», sagte der Seerechtsexperte von der Universität Hamburg, Valentin Schatz.
Zwar gibt Italiens rechtspopulistischer Innenminister Matteo Salvini gerne an, dass er die Ankünfte in Italien weitestgehend gestoppt hat. Doch unbemerkt von den Medien kommen kontinuierlich Migranten an. Sie landen mit kleinen «Geisterbooten» auf Lampedusa oder werden von der italienischen Küstenwache geleitet.
Allein in den letzten Wochen sollen es fast 300 Migranten gewesen sein. Einige von ihnen sind sogar an der «Sea-Watch 3» vorbeigefahren, als diese vor Lampedusa auf Einlass wartete. Auch nach Malta bringen die Streitkräfte immer wieder Dutzende Migranten.
«Heute Nacht die x-te Anlandung und kein Aufschrei», kommentierte Lampedusas Ex-Bürgermeisterin Giusi Nicolini eine weitere Ankunft auf der Insel. «Warum sind da die 40 Geretteten der Sea-Watch gefährlich für die Staatssicherheit?»
Auch die Schlepper, denen durch die Hafenblockade angeblich das Handwerk gelegt ist, profitieren weiter. Denn die Migranten aus libyschen Lagern geben nicht nur ihr ganzes Geld, sondern ihr Leben, um die Bürgerkriegshölle zu verlassen. So bezahlen sie die Schlepper zwei, drei, vier Mal, bis sie es endlich nach Europa schaffen.
Die Schmuggler bedienen sich dabei neuer Tricks. Ein Video der EU-Grenzschutzagentur Frontex veranschaulichte das zuletzt sehr gut: Es zeigt, wie ein «Mutterschiff» auf dem Meer Migranten auf ein kleineres Boot bringt. Mit dem die Menschen dann ohne die Schleuser an Bord in italienische oder maltesische Gewässer fahren sollen.
Aber vor allem an den NGOs entzündet sich die politische Debatte. Weil sie in der Rethorik von Rechtspopulisten wie Salvini gut als Gegenspieler funktionieren. Er nennt Rackete «eine Kriminelle» und betont, Italien wolle nicht «die Müllhalde Europas» werden. Salvini erfährt von den Italienern deshalb sehr viel Zuspruch.
Salvini hat schon gedroht, nicht alle Ankommende zu registrieren. Das würde die Dublin-Regeln allerdings ausser Kraft setzen. Danach muss sich das Land um die Flüchtlinge kümmern, in dem sie zuerst die EU betreten haben. Über diese Regel wird seit Jahren gestritten.
Es ist nur eine Frage, bis das nächste NGO-Schiff kommt, das dann wieder vor Italien oder Malta auf Einlass wartet. So ist derzeit gerade die «Alan Kurdi» der Regensburger Organisation Sea-Eye unterwegs ins Einsatzgebiet vor Libyen.