Wahlen in Istanbul: Wer wird der neue Bürgermeister?
Heute Sonntag findet in Istanbul die Wiederholungswahl um das Bürgermeisteramt der Millionenstadt statt. Der Wahl kommt eine hohe Bedeutung zu.
Das Wichtigste in Kürze
- Heute wählt Istanbul erneut den Bürgermeister.
- Die erste Wahl wurde wegen der Regierungspartei AKP annulliert.
- Für den türkischen Präsidenten Edogan steht Einiges auf dem Spiel.
Die 15 Millionen-Metropole am Bosporus stellt das wohl wichtigste Bürgermeisteramt der Türkei. Die Freude der oppositionellen Kräfte war darum besonders gross, als die konservativ-islamische Regierungspartei AKP gegen die sozialdemokratische Partei CHP die Wahlen Ende März in Istanbul verlor.
Für kurze Zeit war Ekrem Imamoglu der designierte Bürgermeister. Für die Partei von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hingegen war es eine Überraschung, dass sie für einmal eine Niederlage einstecken musste. Doch die Wahlbehörden annullierten zur Freude der AKP das Ergebnis kurz darauf.
Nun findet heute Sonntag die Wiederholungswahl statt. Der wiederholten Wahl wird eine hohe Bedeutung beigemessen. «Die Stadt ist das Herz der Türkei und ist wegbestimmend in vielerlei Hinsicht», sagt Alp Yenen. Er lehrt moderne türkische Geschichte an der Leiden Universität und promovierte zuvor an der Uni Basel.
Istanbul ist wichtig für Türkei
Für Yenen ist klar: Istanbul habe als «volksökonomische Finanzquelle eine lebenswichtige Bedeutung für die AKP in der Aufrechterhaltung der finanziellen Vorteile aus der Vetternwirtschaft und Klientelismus im Beziehungskomplex von Bürokratie und Business».
Gegen Imamoglu tritt der ehemalige AKP-Ministerpräsident Binali Yildirim an. Yildirim ist ein enger Vertrauter des türkischen Präsidenten Erdogan. Laut des Umfrageinstituts Konda wird Imamoglu auf 54 Prozent kommen, sein Konkurrent auf 45 Prozent. Kurz nach der Veröffentlichung der Umfragewerte diese Woche meldete sich Erdogan zu Wort.
Die Daten seien «vollkommen manipulativ und auf Bestellung gemacht» worden. Zudem unterstellte Erdogan laut der deutschen Zeitung «Tagesspiegel» Imamoglu, am Putsch von 2016 beteiligt gewesen zu sein.
Das Erdogan sich derart stark für den AKP-Kandidaten einsetzt, macht Yenen am eigenen Werdegang des Präsidenten fest. Erdogans politischer Aufstieg begann in Istanbul. Doch es gibt einen weiteren Grund.
«Da der AKP-Kandidat Binali Yildirim kein eigenständiges politisches Rückgrat besitzt, ausser seiner Loyalität zum Präsidenten, gilt Erdogan weiterhin als die hauptsächliche Tragkraft, Gesicht und Stimme der Wahlmobilisierung der AKP», sagt Yenen.
Skeptisch wegen Wahlprognosen
Der Türkei-Forscher ist aber skeptisch bezüglich den Umfrageergebnissen, die Imamoglu im Vorteil sehen. Es gebe zu viele Ungereimtheiten. Ein Beispiel: «Wird der Teil der traditionellen AKP-Wählerschaft, die bei der letzten Wahl aus passivem Protest nicht zur Urne gegangen ist, dieses Mal für die AKP stimmen?»
Doch auch wie stark die Opposition mobilisiert wird, sei eine Unbekannte. Für zusätzliche Aufregung sorgte die Wahlempfehlung eines inhaftierten Politikers.
Der Politiker Selahattin Demirtas rief auf, Imamoglu zu wählen. Er sei die einzige Option für Frieden, Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit. Demirtas war bis zu seiner Inhaftierung 2016 Co-Präsident der prokurdischen HDP. Ihm wird, wie vielen Oppositionellen, unter anderem «Terrorpropaganda» vorgeworfen.
Zur Wählerbasis der HDP zählen viele Kurden. Doch der Haken: Als bei führenden HDP-Politikern die Immunität aufgehoben wurde, hatte die CHP die Regierung unterstützt. So landeten Personen wie Demirtas mit Hilfe der CHP in türkischen Gefängnissen.
Yenen ist aber zuversichtlich: «Die heterogene Opposition hat dagegen unter dem Quasi-Einheitskandidat Ekrem Imamoglu einen versöhnlichen und frischen Weg eingeschlagen.»
Dennoch: Es gibt die Chance, dass es in Istanbul nach Jahrzehnten zu einem Richtungswechsel kommt. Wenn denn die Opposition geeint ihre Stimme Imamoglu gibt – und die Wahl nicht erneut annulliert wird.