Recep Tayyip Erdogan: Der Mann, der die Türkei umbaut
Das Wichtigste in Kürze
- Recep Tayyip Erdogan hat sich zum Präsidenten gemacht.
- Doch der Weg zum Ziel wurde ihm am Anfang schwer gemacht.
Die Einen hassen ihn, die Anderen lieben ihn. Seit rund 16 Jahren bestimmt der heutige Präsident Recep Tayyip Erdogan massgeblich die Politik der Türkei. Erdogans Geschichte ist die eines Mannes, der aus armen Verhältnissen kam, um es bis ganz nach oben zu schaffen.
Dabei baute er die von Mustafa Kemal Atatürk gegründete türkische Republik komplett um. Wie kein Zweiter verkörpert Erdogan die Hoffnung nach Aufstieg, die viele in der Türkei hegen. Geboren wurde er 1954 in Istanbul als Sohn armer Eltern.
Seine Eltern migrierten von der Schwarzmeerküste nach Istanbul. Dort kam ihr Sohn auf die Welt.
In seiner Kindheit verkaufte Erdogan Sesamkringel und ging in die Schule. Sein Ziel: Fussballer oder Prediger werden. Doch während des Studiums orientierte er sich neu.
Der Aufstieg von Recep Tayyip Erdogan
Statt sein Leben dem Sport zu widmen, schrieb er sich für Wirtschaftswissenschaften ein. Dann kam es zum ersten grossen Schritt seiner politischen Karriere. Recep Tayyip Erdogan wurde 1994 zum Oberbürgermeister von Istanbul.
Bereits damals politisierte er für konservativ-islamische Parteien. Seine heutige Partei, die Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP), gab es damals nicht. Eine Vorgängerpartei Erdogans wurde aufgelöst, die kemalistische Regierung hatte keine Freude an der islamischen Ausrichtung.
Unter Erdogans Regierung etablierte sich im Laufe der Zeit die Religion erneut. So tragen seit seiner Regierung mehr und mehr Frauen wieder ein Kopftuch.
Seine Wahl zum Oberbürgermeister war damals eine Überraschung. Erdogan galt zuvor als chancenlos. Popularität erhielt er etwa durch die Modernisierung der maroden Infrastruktur. Doch der Erfolg hielt vorerst nur vier Jahre.
Im Gefängnis
Als Bürgermeister gehörte Recep Tayyip Erdogan der Wohlfahrtspartei an. Doch die Regierung verbot 1998 diese Partei. Sympathien für den Dschihad und die Einführung der Scharia waren mit den laizistischen Grundsätzen des damaligen türkischen Staates nicht vereinbar.
Erdogan wanderte für zehn Monate in den Knast. Doch das war nur ein kurzer Dämpfer. Nur kurz darauf gelangt Erodgan an die Spitze der Regierung.
2002 siegte er mit seiner damals einjährigen Partei AKP. Doch Erdogan konnte das Ministerpräsidentenamt nicht antreten.
Er war noch immer mit einem Politikverbot belegt, weil er religiöse Texte rezitiert hatte. Stattdessen übernahm sein Stellvertreter Abdullah Gül das Amt. Mittels einer Verfassungsänderung, die Erdogans Politikverbot aufhob, trat der heutige Präsident das Amt ein Jahr verspätet doch noch an.
Umbau der Türkei
Mit Recep Tayyip Erdogan als starkem Mann erzielte die AKP 2002 einen Wähleranteil von 35 Prozent. Bei den nächsten Wahlen waren es bereits 56 Prozent. Vier Jahre später kam seine konservative Partei auf fast 50 Prozent Wähleranteil. Mit der Stärke begann der Umbau.
Anfangs zeigte Erdogan auch Verständnis für die Kurden in der Türkei und ihrem Wunsch nach kulturellen Rechten. Diese gewährte Erdogan auch teilweise. Man durfte etwa neu Kurdisch sprechen.
Doch der «nette» Kurs hielt nicht lange. Denn mitsamt Erdogas Politikwandel – autoritärer, konservativer, religiöser – wandelte er auch seine Kurden-Politik. Ausserdem beschränkte der türkische Präsident immer stärker die Meinungs- und Pressefreiheit. Gegen die Opposition, etwa kritische Journalisten, wurde mit starker Hand vorgegangen.
Oft war der Vorwurf Mitglied in einer Terrororganisation. So wurden die politischen Gegner Stück für Stück ausgeschaltet. 2013 wurde es für Recep Tayyip Erdogan etwas heikel. Im Gezi-Park und nahen Taksim-Platz im Herzen Istanbuls kam es zu Protesten.
Ursprünglich ging es um den geplanten Bau eines Einkaufzentrums auf einer Grünfläche. Die Polizei schritt ein, setzte Gewalt ein. Der Bau-Protest mutierte zu einem Erdogan-Protest. Der Protest gegen die zunehmende autoritären Politik Erdogans verebbte, der Park blieb aber bestehen.
In dieser Zeit ging die Regierung stärker gegen soziale Medien wie Twitter vor. 2014 folgte der nächste Schritt. Erdogan wurde als repräsentativer Präsident vereidigt.
Der neue Präsident der Türkei versuchte von nun an, die Macht des Präsidialamtes sukzessive auszubauen. Damit verabschiedete sich die Türkei weiter von der Demokratie.
Repression gegen Medien
Das Land spaltete sich weiter. Es kam zu Auflösungen von einer Trans-Pride-Parade und weitere (rhetorische) Angriffe auf die Opposition. Darunter leidet etwa die regierungskritische Zeitung «Cumhuriyet».
Die Zeitung beklagte, dass immer stärker gegen sie vorgegangen wird. 2015 wurden der Chefredakteur Can Dündar sowie ein weiterer Reporter festgenommen. Sie hatten zuvor einen Bericht über Waffenlieferung der Türkei an den Islamischen Staat berichtet. In diesem Zeitraum änderte Recep Tayyip Erdogan auch seine Politik gegenüber den Kurden.
Nachdem diese in der neuen Freiheit mit der HDP den parlamentarischen Weg gewählt hatten, verzeichnete die Partei Erfolge. Erdogan und seine Mitstreiter begannen, die Kurden wieder zu Feinden zu machen. Dies gelang auch. Bei den Wahlen 2015 verlor die HDP, die AKP gewann.
Diverse Politiker der HDP sitzen im Gefängnis. Der Vorwurf: «Terrorismus». Damit verschwand auch die Hoffnung auf eine baldige Beendigung des Konfliktes zwischen Kurden und Türken.
2016 kam es zu bisher höchsten Eskalationsstufe in der Türkei. In der Nacht vom 15. auf den 16. Juli versuchten Teile des Militärs gegen Erdogan zu putschen.
Der Putsch misslang. Wer hinter dem Putsch steht, ist weiterhin unklar.
Erdogan machte dafür die Güllen-Bewegung verantwortlich. Fetullah Gülen ist ein in den USA lebender islamischer Geistlicher. Die Opposition sagt aber, dass der Putsch von Erdogan kontrolliert wurde. An die 240 Zivilisten starben, dazu eine unbekannte Zahl an Militärs.
Mit dem Notstand zur Macht
Im Zuge des Putsches rief Recep Tayyip Erdogan den Notstand auf. Beobachter sagen, dass damit der türkische Präsident seine Macht weiter ausbauen konnte. Per Notstandsdekret wurden oppositionelle Kräfte aus Bildung, Sicherheit und Verwaltung vertrieben beziehungsweise entlassen.
2017 kam es dann zum Verfassungsreferendum. 51 Prozent stimmten dafür, dass das Präsidialamt gestärkt wird. Die Opposition sprach von Wahlbetrug. Seitdem kann der türkische Präsident etwa per Dekret Gesetze erlasse und das Parlament nach Belieben auflösen.
Zwei Jahre nach dem Putsch endete der Notzustand in der Türkei. In dieser Zeit erfuhr die Türkei auch in der Bildung und Justiz weitreichende Veränderungen. Erdogans Macht war auf dem Höhepunkt.
Bei den Präsidentschaftswahlen 2018 gewann der Machthaber mit 52,59 Prozent. Auf dem zweiten Platz mit 30,64 Prozent landete der Oppositionskandidat Muharrem Ince von der sozialdemokratischen CHP.
Ist Erdogans Stern am Sinken?
Doch ein Jahr später ändert sich die Lage in der Türkei allmählich. Bei den jüngsten Wahlen, die Kommunalwahlen 2019, erlebte Erdogans AKP einen herben Verlust. Die Wirtschaftsmetropole Istanbul ging an die CHP – vorerst.
Kurzerhand wurde die Wahl für ungültig erklärt. Die Opposition und verschiedene westliche Politiker haben den Entscheid kritisiert. Die Wahl wird nun wiederholt. Wie sie ausgehen wird, ist unklar.
Es ist möglich, dass die Opposition geeint gegen den türkischen Präsidenten Antritt (mitsamt kritischen AKP-Mitgliedern) und damit Erfolg hat. Anderseits kam es 2015 zu einer ähnlichen Situation, aus der Recep Tayyip Erdogan gestärkt hervorging.
Die Parlamentswahl vom Juni 2015 wurde wiederholt, weil keine Mehrheit gebildet werden konnte. Dank der Wiederholung legte die AKP kräftig zu. Stolze 8,6 Prozent mehr Stimmen holte sie und kam damit auf 49,5 Prozent. Damit stand einer Koalition nichts mehr im Weg.
Auch damals gab es viel Kritik. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kritisierte die Gewalt vor der Abstimmung sowie unfreie Medien. Möglich ist dennoch, dass sich die AKP-Stärkung bei der neuen Wahl in Istanbul wiederholt. Und damit Recep Tayyip Erdogan, als Mann an der Spitze, bestätigt wird.