Coronavirus: Reicht die Kapazität aus für das «Backward Tracing»?
Das Contact Tracing ist im Kampf gegen das Coronavirus am Anschlag. Die Taskforce fordert mit dem «Backward Tracing» einen neuen Denkansatz.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Taskforce des Bundes fordert die Einführung des «Backward Tracings».
- Die Tracer müssten dabei neu sechs statt wie zuvor nur zwei Tage rückverfolgen.
- Besonders fraglich ist, ob die Kantone überhaupt die nötigen Kapazitäten dazu besitzen.
Bereits zweimal musste das Contact Tracing der Schweiz wegen des Coronavirus über seine Kapazitätsgrenzen hinaus gehen. Die Taskforce fordert nun einen neuen Denkansatz. Anstelle des Contact Tracings, welches entlang der Infektionsketten die Neuansteckungen ausfindig macht, soll neu das «Backward Tracing» fokussiert werden.
In einem kürzlich erschienenen Policy-Brief fordert die Expertengruppe Digitale Epidemiologe um Marcel Salathé die Priorisierung auf die Rückverfolgung.
Dieses «Backward Tracing» verfolgt im Gegensatz zum bisherigen Contact Tracing die Infektionsketten rückwärts. Dadurch sollen grössere Infektionsherde, sprich Superspreader, entdeckt werden. Dabei müssen die Tracer bis zu sechs Tage vor der Ansteckung mit dem Coronavirus rückverfolgen. Beim Contact Tracing waren es nur gerade deren zwei.
Doch bei den sonst schon stark ausgelastetenn Kantonen stösst diese Forderung auf Widerstand.
«Schwer bewältigbare Aufgabe»
Bei der Berner Gesundheitsdirektion sagt Gundekar Giebel auf Anfrage, das «Backward Tracing» sei seit Beginn der Pandemie implementiert worden. Einzig Mitte Oktober habe man eine «Zwischenlösung finden müssen». Die Wirksamkeit des Contact Tracings stehe immer in Zusammenhang mit dem verfügbaren Personal.
Zurzeit würden rund 200 Contact Tracer im Kanton Bern daran arbeiten, die Rückverfolgung wieder lückenlos aufzunehmen. Die Erinnerung und Zusammenstellung der engen Kontakte mithilfe der Neuinfizierten spielten dabei eine zentrale Rolle.
Noch komplizierter ist die Lage im Kanton Freiburg. Auf Anfrage teilt die Gesundheitsdirektion mit, die Umstellung auf das «Backward Tracing» sei «schwer umsetzbar». Die verfügbaren Ressourcen seien schlicht zu gering und die Infektionszahlen aktuell zu hoch.
Seraina Grünig, Projektleiterin bei der Gesundheitsdirektorenkonferenz, sagt über die Methode: «Das ‹Backward Tracing› legt grundsätzlich den Fokus auf grössere potenzielle Ansteckungsherde in der Vergangenheit. Es zielt weniger auf die Verfolgung einzelner enger Kontakte nach Vorliegen eines konkreten positiven Falls ab.»
Das «Backward Tracing» werde bereits angewendet, sobald Anzeichen auf grössere Infektionsherde des Coronavirus bestehen, sagt Grünig weiter. Eine grundsätzliche Umstellung würde für die Kantone laut Grünig jedoch grössere Schwierigkeiten bedeuten: «In der aktuellen Situation sind die Fallzahlen sehr hoch. Folglich sind die Contact-Tracing-Teams stark ausgelastet, was die Umstellung für die meisten Kantone zu einer schwer bewältigbaren Aufgabe macht.»
Ähnlicher Ansicht ist auch Thomas Steffen, Kantonsarzt des Kantons Basel-Stadt. «Es braucht mehr Zeit für die Erfassung von Tag drei bis sechs», sagt Steffen auf Anfrage. Zudem sei es ein Problem, dass sich die Kontaktpersonen oftmals nicht mehr so weit zurückerinnern könnten.
Wegen Coronavirus ein Kontakt-Tagebuch zulegen?
Müssen die Schweizerinnen und Schweizer deshalb ein «Kontakt-Tagebuch» führen? In Deutschland wurden bereits erste Stimmen laut, welche dies fordern. Demnach solle man sich jeden Abend notieren, wo und mit wem man an diesem Tag unterwegs war. «Das ist nicht aufwändig», sagt Experte Christian Drosten von der Berliner Charité.
Für Steffen bleibt das Contact Tracing weiterhin ein wichtiges Mittel im Kampf gegen das Coronavirus: «Das bisherige Vorgehen sollte nicht reduziert werden, da dieses zweifellos die Ansteckungshäufigkeit reduziert.»