Fake News, KI: Bringt uns Social Media zurück ins Mittelalter?
Fake News, Hass, Provokationen: Die sozialen Medien können ein Schlachtfeld sein. Das wirkt sich auf die Aufklärung der Bevölkerung aus. Rückschritte drohen.
Das Wichtigste in Kürze
- KI und die sozialen Medien erleichtern die Verbreitung von Fake News.
- Experten sorgen sich um die Aufklärung der Gesellschaft und um die Demokratie.
- Schon heute zeigen sich Auswirkungen in der Politik.
«Meghan Markle bringt mit süssen neuen Fotos der zweijährigen Lilibet Herzen zum Schmelzen!», steht da. Dazu das Foto einer Frau, die ihr ähnelt – und eines Mädchens, das völlig anders aussieht als ihre echte Tochter.
Auffallen tut das vielen nicht. «Sie ist so herzig», oder «sie sieht aus wie Mama Meghan», steht unter anderem in den über 4000 Kommentaren.
Eine kurze Recherche zeigt jedoch: In Wirklichkeit ist die Frau eine Doppelgängerin, das Meitli ihre Tochter. Sie selbst warnt auf ihrem Instagram-Account vor Fake News zum Foto.
Der Post zeigt beispielhaft, wie leicht sich viele auf Social Media hereinlegen lassen. Doch natürlich enden Fake News nicht mit Unterhaltungsthemen.
Russland und China streuen Fake News
Geleakte Dokumente enthüllten kürzlich, wie Russland versucht, die politische Stimmung im Westen mit Lügen zu beeinflussen.
Die Dokumente aus einer Kreml-nahen Agentur enthalten unter anderem Daten zu geplanten Desinformationskampagnen für verschiedene Länder. Das zeigt die Auswertung der Sender WDR, NDR und der «Süddeutschen Zeitung».
Vor den US-Wahlen 2016 lancierte der Kreml zudem bekanntlich Falschmeldungen, um Trump zum Sieg zu verhelfen. Auch viele Schwurbeleien zum Coronavirus wurden durch Russland und China verbreitet, schreiben etwa die deutschen Behörden.
Forscher zieht Vergleich zum Mittelalter
Gleichzeitig sind Tiktok, X, Instagram und Co. über die Jahre zunehmend zur Konkurrenz des Journalismus geworden. In einer deutschen Studie geben 30 Prozent der Unter-30-Jährigen Social Media gar als ihre wichtigste Nachrichtenquelle an.
Das birgt Risiken. Denn auf Tiktok und Co. können praktisch alle unkontrolliert alles veröffentlichen: von der Fake-Meghan, über bizarre Ernährungs-Tipps ohne wissenschaftliche Grundlage bis hin zu Kriegspropaganda und Hass.
Droht in Sachen Aufklärung ein Rückschritt?
In einem «PBS»-Interview zieht der Historiker Yuval Noah Harari tatsächlich einen Vergleich zur Vergangenheit. Ähnlich wie heute Social Media ermöglichte im Mittelalter der Buchdruck plötzlich viel mehr Menschen, viel mehr Informationen zu verbreiten.
Und das brachte der Menschheit erstmal wenig, so der Experte. Bevor die Erfindung die wissenschaftliche Revolution brachte, vergingen 200 Jahre. Ihr erster Haupteffekt: «Eine Welle der Religionskriege, Hexenjagden und Ähnlichem.»
Denn damals habe man herausgefunden: Gibt man ein Buch über Mathematik heraus, kauft es niemand. Anders aber, wenn man ein Buch über eine weltweite Verschwörung über Hexen veröffentlicht.
Der daraus folgende 30-jährige Krieg sei aus denselben Gründen entstanden, wie Verschwörungstheorien und Fake News heute: «Wenn du die Herstellung von Information vereinfachst, erhältst du nicht unbedingt Fakten. Was du erhältst, ist viele unnütze Informationen.»
Deshalb brauche es Institutionen, die sich bemühen, Fakten von unnützem Wissen zu trennen. Also beispielsweise Zeitungen und wissenschaftliche Institute.
Social Media belohnt Hass und Fake News
Die Auswirkungen von Fake News auf Social Media beschäftigen auch Zukunftsforscher wie Lars Thomsen. «Die Möglichkeit einer objektiven Meinungsbildung auf einer gut informierten Basis ist sehr gefährdet», sagt er zu Nau.ch
Es werde immer einfacher und lukrativer, Fake News der ganzen Welt zu präsentieren. Schuld sind die Social-Media-Algorithmen: «In der Regel werden Inhalte nicht auf Richtigkeit überprüft, sondern von Influencern erstellt, deren Ziel Klicks, Likes und Shares sind. Denn das bringt Geld und Bekanntheit.»
Die Folge: Belohnt und gefördert wird, was schockiert, Hass, Wut oder Aufregung auslöst – denn das klicken die Menschen. «Viele fallen dabei auf die Tricks herein, die moderne KI nun praktisch allen bietet: Fake-Inhalte.»
Experten befürchten negative Folgen für die Demokratie
Hinzu kommt das Phänomen der kürzeren Aufmerksamkeitszeit. «Es wird zunehmend versucht, komplexe Fragestellungen auf Schlagworte oder 15-sekündige Videoclips zu reduzieren. Das ermöglicht eine differenzierte und informierte Auseinandersetzung kaum.»
Das zeigt sich auch in der Politik: Oft werde kaum noch über die Themen diskutiert. «Stattdessen bestimmen vor allem Parolen, Verleumdungen oder Ablenkungen mit Falschmeldungen den Diskurs.»
Der Experte befürchtet, dass sich all das auf das Funktionieren unserer Demokratie auswirken könnte. «Dieser Verdacht liegt nahe.»
Ein demokratischer Diskurs könne nur unter bestimmten Bedingungen richtig funktionieren: «Es muss sichergestellt werden können, dass Informationen entweder journalistischen Standards entsprechen oder redaktionell auf Richtigkeit überprüft wurden.»
Berufskollege Georges T. Roos stimmt zu: «Das Schwinden der Glaubwürdigkeit von Medien ist eine Gefahr für unsere Gesellschaft und für die Demokratie.»
Leute tauschen sich weniger aus
Dem Zukunftsforscher bereitet Sorgen, dass es immer weniger Räume gibt, wo sich Menschen über Politik austauschen. «Radio, TV und Tageszeitungen haben diesen öffentlichen Raum geschaffen. Fake-News, Lügen und haltlose Behauptungen können dort schneller und leichter widersprochen werden.»
Anders die sozialen Medien: «Sie fördern Echokammern, wo ich kaum mehr mit abweichenden Meinungen konfrontiert werde. Der Algorithmus glaubt zu wissen, wohin ich tendiere und füttert mich mit immer mehr davon. Selbst, wenn es haltlose Positionen sind.»
Immerhin: In voraufklärerische Zeiten, also ins Mittelalter und die Zeit der Hexenjagden danach, fallen wir «auf keinen Fall zurück», glaubt Roos. «Dafür ist der Zugang zu Wissen und Informationen heute viel zu leicht und allgegenwärtig.»
Aber für ihn steht fest, dass faktenorientierter Journalismus mit ethischen Grundsätzen in Zukunft wichtiger sei denn je. «Es geht um Vertrauen in den Absender von Informationen.»