Junge filmen Fremde und stellen sie ins Netz – Rechtsexperte warnt

Auf Tiktok tauchen immer wieder Aufnahmen von Fremden auf, die nicht zu wissen scheinen, dass sie gefilmt werden. Das kann eine saftige Busse zur Folge haben.

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Tiktok - Ein junger Mann hat die offenbar ahnungslose Zugpassagierin in Aarau gefilmt und das Video ins Netz gestellt, weil sie ihm gefällt. Nau.ch hat sie verpixelt.

Das Wichtigste in Kürze

  • Ein junger Mann filmt eine Frau in einem Zug in Aarau, weil sie ihm gefällt.
  • Das Video hat er offenbar ohne ihr Wissen aufgenommen – ein Experte warnt.
  • Solche Clips sind illegal. Trotzdem gibt es sie immer wieder.

Grüsel-Alarm im ÖV: Eine junge Frau sitzt in Aarau im Zug, schaut offenbar ahnungslos aus dem Fenster. Sie wird dabei gefilmt – und landet später unverpixelt im Netz, weil sie einem Fremden gefällt. Mit den Hashtags #Girl und #Totenkopfliebe, wegen ihres T-Shirts.

Immerhin nur von hinten abgelichtet wurde aus ähnlichen Gründen eine Frau, die in roten High Heels durch den Bahnhof St. Gallen eilt. Eine Tiktok-Userin postet insgesamt sechs Bilder von der Frau.

Sie findet sie offenbar cool, weil sie auf den hohen Schuhen eine riesige Tasche mit sich herumschleppt. Denn sie lobt die Frau unter dem Video für ihr Modebewusstsein. Doch auch die High-Heels-Trägerin scheint nicht zu merken, dass sie fotografiert wird.

Tiktoker machen sich über Fremde lustig

Längst kein Einzelfall mehr. Über die Jahre sind Inhalte mit nichtsahnenden Fremden in den sozialen Netzwerken immer alltäglicher geworden. Gerade im englischsprachigen Raum, wo man es mit Datenschutz teilweise weniger genau nimmt.

Ein Teil davon sind Videos wie die der beiden Frauen: Fremde nehmen sie auf und posten sie, einfach, weil ihnen eine Person in der Öffentlichkeit auffällt und gefällt.

Doch öfter begegnen einem im Netz Videos, die jemand aufgenommen hat, um sich über Fremde lustig zu machen.

Ein Beispiel: Ein Mann mit langen Haaren, der in Zürich oben ohne und mit nackten Füssen auf einer Ampel sitzt. Der Account «Szene isch Züri» postet ein Video von ihm im Netz und schreibt dazu, «der Tarzan von Zürich».

«Digitale Belästigung»

Solche Inhalte sorgen immer wieder für Kritik. «Die Grenze zwischen harmlosen Sticheleien und digitaler Belästigung» sei schmal, schrieb etwa der «Guardian» letztes Jahr. Und forderte, damit aufzuhören, Fremde in der Öffentlichkeit zu filmen.

Mobbing-Vorwürfe also – aber Achtung: Man befindet sich mit solchen Filmchen auch schnell im Bereich des Illegalen, warnt ein Experte bei Nau.ch.

«Es ist nicht erlaubt, Fremde ohne deren Einverständnis zu filmen und die Videos zu veröffentlichen. Auch nicht auf öffentlichem Grund», erklärt Christian Lenz von Lenz und Caduff Rechtsanwälte.

Umfrage

Wurdest du schon einmal ohne dein Einverständnis gefilmt?

Ja.
67%
Nein.
33%

Zum Video mit der jungen Frau im Zug sagt der Anwalt: «Sollte es tatsächlich ohne ihr Einverständnis aufgenommen und publiziert worden sein, wäre ihre Persönlichkeit verletzt. Sie könnte also beispielsweise auf Unterlassung beziehungsweise Löschung des Videos klagen.»

Das ist nicht immer einfach, «da man ja oft gar nicht weiss, wer das Video publiziert hat». Sie könnte es laut Lenz jedoch bei Tiktok als «unerlaubtes Video» melden. «Ich gehe davon aus, dass es relativ schnell gelöscht würde.»

Gepostet hat das Video ein junger Mann. Warum und wie es entstanden ist, ist unklar – Nau.ch kann ihn nicht für eine Stellungnahme erreichen.

Busse von bis zu 250'000 Franken droht

Klar ist: Das Video kann von der Plattform selbst gelöscht werden. Doch drohen dem jungen Mann auch Konsequenzen?

Einen direkt anwendbaren Straftatbestand gibt es zu dieser Thematik nicht, wie Lenz erklärt. «Anders sähe es aus, sollten intime Bilder veröffentlicht werden oder sollte die Veröffentlichung auch ein Ehrverletzungsdelikt darstellen. Das dürfte aber eher selten der Fall sein.»

Im schlimmsten Fall könnten solche Videos eine Busse von bis zu 250'000 Franken zur Folge haben. (Symbolbild) - keystone

Der Experte erklärt jedoch: «Fotografieren und Online-Stellen könnte, wenn dies ohne Einwilligung geschieht, auch einen Verstoss gegen das Datenschutzgesetz darstellen. Dies könnte schlimmstenfalls mit einer Busse von bis zu 250'000 Franken bestraft werden.»

Ein solches Urteil wurde in der Schweiz aber bislang noch nicht gefällt. Es muss sich also noch zeigen, ob ein Gericht das tatsächlich als Verstoss gegen das Datenschutzgesetz qualifizieren würde.

Anzeigen sind selten

Weniger problematisch sind laut Lenz Aufnahmen von Fremden, wenn das Gesicht nicht erkennbar ist. Zumindest, «sofern die Person nicht für die breite Öffentlichkeit aufgrund anderer Merkmale identifizierbar ist.» Das wäre bei der Fotogalerie mit der Frau in Highheels also nicht der Fall.

Doch auch der junge Mann, der das Video der Frau im Zug gepostet hat, dürfte damit davonkommen. Anzeigen sind in solchen Fällen laut Lenz in der Schweiz selten.

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Möglich ist, dass sich das in Zukunft ändert: «In Deutschland wurden schon diverse Pilotprozesse geführt.» Auch Urteile sind schon da, etwa aus Berlin.

Dort hat das Landgericht entschieden, dass die Veröffentlichung der Videos ohne Einwilligung der gefilmten Personen eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts darstellt. Damit haben die gefilmten Personen einen Anspruch auf Löschung des Videos.