Männer pinkeln ständig auf Treppen – Bernern reicht es

Rowena Goebel
Rowena Goebel

Bern,

Die Stadt Bern bekommt ihr Wildpinkler-Problem nicht in den Griff – trotz vieler öffentlicher WCs. Allgemein gibt es kaum Massnahmen, die Wirkung zeigen.

Urin
Flecken zeugen von Wildpinklern unterhalb der kleinen Schanze direkt neben dem Bundeshaus in Bern. - Nau.ch

Das Wichtigste in Kürze

  • Ein Berner erwischt einen Biertrinker in flagranti beim Wasserlassen auf einer Treppe.
  • Ein grösseres Problem: Die Stadt erhält immer wieder entsprechende Meldungen.
  • Mitarbeiter putzen den Grüseln fleissig nach – andere Massnahmen fruchten nicht.

Eigentlich stehen in der Stadt Bern zahlreiche WCs und -Pissoirs. «Aber das ist gewissen Leuten egal», ärgert sich Einwohner Nando Meister*.

Als er am frühen Dienstagabend in der Stadt unterwegs ist, pinkelt ihm ein Mann fast vor die Füsse. «Er war ganz entspannt, meinte nur, ich solle nicht hinschauen. Es müsse schliesslich raus.»

Hast du Verständnis für Wildpinkler?

Meister traut seinen Augen kaum. Direkt neben der Pfütze hat der Mann noch sein Bier abgestellt. «Der Typ machte einfach auf die Treppe, obwohl nur wenige Meter entfernt ein öffentliches WC steht.»

Tatsächlich: Oberhalb der Treppe, die zur kleinen Schanze, einem Park direkt neben dem Bundeshaus, führt, hat es eine frisch sanierte Toilettenanlage.

Wildpinkler
Nur wenige Meter vom Wildpinkler-«Tatort» entfernt gäbe es eigentlich ein öffentliches WC. - Nau.ch

Trotzdem – wer regelmässig an der Treppe vorbeikommt, weiss: Wildpinkler sind dort keine Seltenheit.

Immer wieder stinkt es nach Urin. Sowohl die Steinmauer als auch die Treppe sind von dunklen Flecken übersät.

«Regen kommt nicht heran»

Und es ist nicht die einzige Baustelle: Auch die Nydeggtreppe, die von der Altstadt zur Aare führt, stinkt «bestialisch» nach Urin, wie ein anderer Einwohner Nau.ch berichtet.

«Man merkt, dass Spargelsaison ist», meint er zynisch. «Perfid: Die Treppe ist überdacht, der Regen kommt also nicht heran.»

Eine Nau.ch-Leserin, ebenfalls aus der Stadt Bern, ergänzt: «Ich habe auch schon beobachtet, wie ein Typ mitten in einem gut besuchten Park in einen Busch machte! Direkt daneben waren mehrere Familien mit Kindern.»

Stadt-Mitarbeiter rücken mit Duftspray aus

Die Stadt Bern kennt das Problem. Wie der Informationsdienst auf Anfrage von Nau.ch erklärt, gebe es ab und zu «diesbezügliche Meldungen aus der Bevölkerung».

In solchen Fällen würden die Mitarbeitenden der Reinigung ausrücken, um die betroffene Stelle zu «bearbeiten». Mit «Wasser und einem Duftspray», wie es heisst.

Hast du auch schon einmal an eine Mauer oder auf eine Treppe gepinkelt?

Es braucht aber nicht jedes Mal eine Beschwerde, bis geputzt wird, beteuert der Informationsdienst.

«Wenn die Mitarbeitenden bei ihrer täglichen Arbeit selber unangenehme Gerüche wahrnehmen, werden sie von sich aus aktiv. Kleine Seitengässchen in der unteren Altstadt werden ohnehin periodisch kontrolliert und wenn nötig gereinigt.»

Viel tun kann man nicht

Dem Problem Herr zu werden, ist schwierig, wie auch der Informationsdienst der Stadt zugibt.

«Die erwähnten Beispiele mit öffentlichen WC-Anlagen in unmittelbarer Nähe zum jeweiligen ‹Tatort› zeigen es: Das Problem des wilden Urinierens kann auch mit einem dichten Netz an öffentlichen WC-Anlagen nicht gänzlich gelöst werden.»

Stadt
In der Stadt Bern hat es eigentlich viele öffentliche WCs. - Stadt Bern

Zusätzliche Massnahmen wie noch mehr WCs oder gar Kameras an häufigen Wildpinkler-«Tatorten» sind also nicht in Planung.

Warum nur?

Für hässige Einwohner wie Nando Meister bleibt die Frage nach dem Warum. «Warum an die Mauer und nicht direkt daneben ins WC? Ich werde es nie verstehen», nervt er sich.

Ja, warum eigentlich?

Eine Antwort auf die Frage hat Natalie Essig. Sie ist Professorin für Baukonstruktion und Bauklimatik an der Universität München – und Expertin für Wildpinkler.

Natalie Essig
Natalie Essig ist Professorin für Baukonstruktion und Bauklimatik und hat Wildpinkler untersucht. - Hochschule München

In einer Untersuchung hat sie die Pinkel-Täter nach ihrer Motivation gefragt.

«Das Problem ist keineswegs der Mangel an Klos», sagt sie zu Nau.ch. Sie und ihr Team hätten festgestellt, dass viele Toiletten nicht einladend wirken, stinken oder ungünstig positioniert seien.

«Scheinbar ist ‹Mann› beim Pieseln nicht gern allein»

Doch manchmal helfen auch einladende WCs nicht, wie das Beispiel aus Bern zeigt. Denn: «Das Wildpinkeln geschieht auch aus reiner Geselligkeit – scheinbar ist ‹Mann› beim Pieseln nicht gern allein.»

Wenn Alkohol im Spiel ist, sei die Wildpinkel-Hemmschwelle zudem umso niedriger.

Dass die Expertin von «Mann» spricht, ist übrigens kein Zufall: «Bei unseren Untersuchungen haben wir herausgefunden, dass das Wildpinkeln eher Männer betrifft als Frauen.»

Blick zurück zeigt: Offene Gesellschaften pinkeln eher öffentlichkeitswirksam

Zurück zum Warum. Eigentlich ist der Toilettengang «grundsätzlich etwas Intimes», wie Essig sagt. Dass viele trotzdem lieber in der Öffentlichkeit statt im stillen Kämmerli Wasser lassen, erklärt die Expertin mit einem Blick zurück.

Die Römer verrichteten ihr Geschäft bekanntlich gemeinschaftlich. Trennwände zwischen den Schüsseln gab es nicht.

Und: «Im Schloss Versailles gab es im 17. Und 18. Jahrhundert für rund 1000 Personen nur zwei Toiletten», sagt Natalie Essig.

«So waren die Röcke der Damen sehr weit, sodass man auch während des Laufens einfach Wasser oder sonstiges ‹lassen› konnte.» Die Bediensteten hinter den Damen mussten dann aufwischen.

Die Professorin zieht den Vergleich zu heute: «Ich habe den Eindruck, je offener und freizügiger eine gesellschaftliche Entwicklung ist, desto niedriger sind die ‹Hemmschwellen›. Wie hier beim Wildpinkeln.»

«‹Alpha›- Männer verlassen Toiletten am dreckigsten»

Doch nicht nur die Offenheit einer Gesellschaft spiele eine Rolle. «Es gibt Studien, die zeigen: je höher der Bildungsgrad und die Rolle einer Person in der Gesellschaft, desto schmutziger hinterlässt sie die Toilette.»

Und: «Insbesondere ‹Alpha›- Männer verlassen die Toiletten am dreckigsten.» Rücksichtsloses Geschäfteverrichten scheint also auch eine Art Dominanzgebaren zu sein.

Urin
Rücksichtsloses Geschäfteverrichten scheint eine Art Dominanzgebaren zu sein. (Symbolbild) - keystone

Ernüchternd: «Bei unseren Untersuchungen haben wir festgestellt, dass es nur wenige wirksame Massnahmen gibt.»

Sie und ihr Team hätten damals aber zwei Konzepte entwickelt. «Mobile Toiletten, die aussehen wie grosse Pflanzenkübel, und stationäre Pinkelbeete.»

Braucht es mehr Massnahmen gegen Wildpinkler?

So könnten Wildpinkler auch in Zukunft ihr Geschäft im Freien verrichten – und hätten Flächen, auf denen sie das dürfen.

Ein ähnliches Konzept aus Paris, ein Urin-Blumentopf, hat sich allerdings nicht durchgesetzt.

*Name von der Redaktion geändert

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Kommentare

User #4463 (nicht angemeldet)

Eine Sauerei, Erziehung hat versagt, kein Respekt, das ist heute einfach so

User #3048 (nicht angemeldet)

Abspritzen mit der Wasserpistole!

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