Stille Nacht - Gott und Corona

Unser atheistischer Kolumnist predigt zum Dritten Advent über Nächstenliebe, Egoismus und Corona.

Reda el Arbi predigt zum Zweiten Advent über Nächstenliebe, Egoismus und Corona. - Nau.ch/Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Nau.ch-Kolumnist Reda El Arbi hält eine Predigt zum zweiten Advent.
  • Reda El Arbi erlangte als Blogger und Journalist Bekanntheit.
  • Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
  • Er lebt mit Frau und zwei Hunden in Stein am Rhein SH.

Normalerweise lesen Sie am Freitag bei meinem Kollegen Sam Sachen über Gott und Glauben, aber heute klau ich ihm aus aktuellem Anlass das Thema.

Obwohl selbst Atheist, respektiere ich Menschen, die an eine höhere Macht glauben. Natürlich nur, solange sie ihren Glauben nicht über das Leben anderer Menschen stellen. Aber das tun eigentlich nur islamische Fundamentalisten, nicht?

Ich weiss nicht, wer beim Bundesrat lobbyiert hat, die Gottesdienste von den Versammlungsbeschränkungen auszunehmen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es die Pfarrer und Pfarrerinnen waren. Diejenigen PfarrerInnen, die ich kenne, sorgen sich nämlich um das Wohl ihrer Gemeinden. Ihnen ist bewusst, dass gerade die oft älteren Menschen, die Trost in der Messe suchen, diejenigen sind, die der Gefahr der Pandemie am stärksten ausgesetzt sind. Und ganz sicher haben sie nicht die Absicht, ihre Schäfchen möglichst schnell zu ihrem Schöpfer zu bringen. Diejenigen, die mit einem frommen «Näher mein Gott zu dir!» die Alten und die Kranken über die Corona-Schwelle ins Paradies schubsen, haben wenig mit Gott, Kirche und Glauben zu tun.

Pfarrerin Sibylle Forrer erinnert an die ersten Weihnachten. - Twitter

Denjenigen, die jetzt am lautesten und am empörtesten über die Beschränkungen an Weihnachten jammern, und manchen Vollidioten, die Anleitungen zur Umgehung dieser Beschränkungen liefern, geht es nicht um das Fest und dessen Bedeutung. Es geht ihnen um sich selbst, ihre Profilierung und ihren Egoismus. Es sind die Trotzköpfe, die wie Dreijährige vor dem Christbaum «Ich! Ich! Ich!» schreien und auch die Geschenke der Anderen aufreissen wollen.

Diejenigen, die jetzt am lautesten weinen, dass die armen Grosseltern Weihnachten nicht im Kreise der Grossfamilie verbringen dürfen, sind gleichzeitig oft diejenigen, die vor ein paar Wochen noch meinten, «diese Alten hätten ja sowieso den Löffel abgegeben» und «man müsse halt die Risikopatienten und die Alten rigoros isolieren, damit die anderen sich frei bewegen können».

Es sind diejenigen, die sich die letzten Monate lautstark gegen jegliche Massnahmen sperrten, Massnahmen, die es möglich gemacht hätten, jetzt ein einigermassen normales Weihnachtsfest zu feiern. Es geht ihnen nicht um ein sinnliches Fest mit ihren Liebsten, es geht um pubertären Trotz gegen Massnahmen, die das Leben ihrer Liebsten, und das Leben der Liebsten anderer Menschen retten könnten. Und wenn ich diese Heuchelei schon erkennen kann, wird es Gott sicher auch nicht entgehen. Es wird wohl zu den Dingen gehören, die diese Leute erklären müssen, wenn sie erst einmal vor dem Himmelstor stehen.

Weihnachten ist das Fest der Nächstenliebe. In den letzten Jahrzehnten ist es in unserer Gesellschaft aber mangels anderer Ausdrucksweise für unsere Liebe zum Fest des Weihnachtsgeschäftes verkommen. Geschenke kaufen bedeutet Liebe. Diejenigen, die sich gegen strengere Massnahmen wehren, weil diese den Weihnachtsumsatz einbrechen lassen, wären von Jesus wohl wie die Geldwechsler mit ein paar Ar***tritten aus dem Tempel befördert worden. Sie wägen in einer Hand dreissig Silberlinge und in der anderen Hand das Leben der Gefährdeten.

Nächstenliebe zeigt sich nicht in den Geschenken, nicht in den drei Festtagen, auch nicht in den drei Wochen vor Weihnachten, sondern in den anderen elf Monaten davor. Wenn Sie sich diese Monate best möglich um Ihre älteren Angehörigen gekümmert haben, werden diese auch einige Einschränkungen über die Festtage ertragen. Wenn Sie sich aber die restliche Zeit des Jahres ignoriert und vernachlässigt haben, werden sie wirklich darunter leiden, dass sie in dieser Zeit isolierter sind als sonst.

Sie wollen Nächstenliebe zeigen? Dazu müssen Sie nicht in die Weihnachtsmesse in die Kirche rennen, die Sie den Rest des Jahres ignoriert haben. Begeben Sie sich für 14 Tage in Quarantäne, verzichten Sie auf Skifahren, Beizenbesuche, Weihnachtsshopping in Menschenmengen und stellen Sie sicher, dass Sie virenfrei sind. Dann rufen Sie im nächsten Alters- oder Pflegeheim an und fragen Sie, wie Sie helfen können. Schreiben Sie einen Brief an jemanden, der kaum noch Angehörige hat, oder fragen Sie die PfarrerIn ihrer Gemeinde, wie Sie sie unterstützen können.

Aber jammern Sie um Himmels willen nicht darüber, wie gross Ihr Opfer ist, wenn Sie Ihren Braten oder Ihr Fondue Chinoise einmal nicht mit all den Familienmitgliedern verspeisen können, die Ihnen sowieso nach dem zweiten Glas Wein auf den Sack gehen.

Eines der grössten Geschenke von Gott an die Menschen ist in allen Religionen das Leben an sich, dieses zu Ehren eines der höchsten Gebote. Wenn Sie das tun wollen, hören Sie auf über Ihre Einschränkungen zu jammern und halten Sie sich an die Massnahmen. Nicht nur an die vorgeschriebenen, sondern an alle, die Leben retten.

Also, geniesst die Feiertage mit euren Liebsten, aber bleibt bis dahin zu Hause, verlasst das Haus nur wenn nötig und macht so euren Angehörigen das grösste Geschenk: Die Möglichkeit, auch noch Ostern mit Euch zu verbringen.

Schöne Weihnachten wünsche ich.