Michela Seggiani (SP): 1. Mai zeigt Spaltung der Gesellschaft auf
Der 1. Mai-Zug wurde in Basel von der Polizei aufgelöst. Dies sei für die Gesellschaft als Ganzes höchst problematisch, meint Michela Seggiani. Ein Gastbeitrag.
Das Wichtigste in Kürze
- Am Maifeiertag wurde in Basel der 1. Mai-Zug von der Polizei gestoppt.
- In der Folge wurde viel darüber diskutiert wie zeitgemäss solche Proteste noch seien.
- Michela Seggiani (SP) hält Strassen-Demos weiterhin für ein legitimes Protestmittel.
- In ihrem Gastbeitrag sieht sie die Gefahr eines gesamtgesellschaftlichen Problems.
Die Stimmen, die lautstark behaupten, Demonstrationen gehörten der Vergangenheit an und heute würde man nicht mehr auf die Strasse gehen, täuschen sich gewaltig. Dies ist pures bürgerliches Wunschdenken. Das Gegenteil ist der Fall.
So zeigt gerade in Zeiten von Krise, Krieg und Kapitalismusversagen die traditionelle 1. Mai-Demonstration, dass auf die Strasse zu gehen und für die Rechte der Arbeitnehmenden einzustehen noch immer ein wichtiges politisches Instrument ist, seine Stimme zu erheben und Raum dafür einzunehmen. Das eindrücklichste Beispiel, für wieviel Wirbel es sorgen kann, die Strassen friedlich zu blockieren, haben uns in jüngster Zeit Organisationen wie die «Letzte Generation» aufgezeigt.
Klar, das macht Angst und ist unbequem. Davon, sich auf die Strasse zu kleben oder zu randalieren, waren alle Teile des 1. Mai-Zuges in Basel-Stadt aber weit entfernt, als dieser von der Polizei gestoppt wurde.
Wenn also an der bewilligten 1. Mai-Demo Menschen präventiv eingekesselt wurden, ohne dass sie gewalttätig oder randalierend waren, sollte man darüber diskutieren können, ob dies noch ein verhältnismässiger Akt war oder nicht.
Demonstranten zeigten sich solidarisch
Die Einkesselung war von langer Hand geplant und sogenannte Kollateralschäden wurden in Kauf genommen. Diese «Kollateralschäden» waren friedlich demonstrierende Menschen. Menschen, die grundlos Tränengas abgekriegt haben und in Panik versetzt wurden. Es war ein Zeichen von Stärke und Gemeinsinn, dass der gesamte Demonstrationszug stehen blieb und nicht über eine alternative Route weitermarschierte, sondern sich solidarisch mit den Menschen, die eingekesselt wurden, gezeigt hat.
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Sich im öffentlichen Raum Platz zu schaffen, hat Tradition. Tradition deshalb, weil immer wieder versucht wird, unangenehme Stimmen und unbequeme Forderungen zu verdrängen und unsichtbar zu machen. Wenn nun in Zeitungen zu lesen ist, zu demonstrieren sei ein veraltetes Mittel und nur noch Folklore, ist das nicht nur lächerlich, sondern auch ein Alarmsignal.
Ein Alarmsignal deshalb, weil es eine Spaltung der Gesellschaft aufzeigt in Arm und Reich, Gebend und Nehmend, in Bestimmende und Bestimmte. Dieser Teil, der bestimmt und vom System massiv profitiert, der seine Macht erhalten will, wehrt sich gegen Demonstrationen.
Und der andere Teil, der aus Arbeitnehmenden, die für immer mehr Leistung immer weniger Lohn erhalten, besteht und aus Menschen, die sich gegen diese Ungerechtigkeit wehren und dafür auf die Strasse gehen. Wenn diese Stimmen am Tag der Arbeit im Keim erstickt werden, haben wir ein Problem als ganze Gesellschaft.
Zur Autorin: Michela Seggiani ist für die SP Mitglied des Grossen Rates des Kantons Basel-Stadt. Sie setzt sich laut eigenen Angaben für gleiche Bildungschancen unabhängig von «Geschlecht, Herkunft und Portemonnaie» ein.