Albisgüetli: Guy Parmelin liest SVP die Corona-Leviten
Bundespräsident Guy Parmelin musste in die Höhle des Löwen: Auf das Albisgüetli «seiner» SVP. Dabei erlaubt er sich keinen einzigen Corona-Ausrutscher.
00:00 / 00:00
Das Wichtigste in Kürze
- Die jährliche SVP-Tagung auf dem Albisgüetli fand heuer in einem Livestream statt.
- Bundespräsident Guy Parmelin (SVP) war als Gastredner eingeladen.
- In seiner Ansprache verteidigte er den Lockdown und die Haltung des Bundesrats eisern.
Es ist ein historischer Moment. Erstmals findet die legendäre Albisgüetli-Tagung der SVP am 15. Januar 2021 nur virtuell statt. Statt Bier und Schulterklopfer heisst es Facebook-Stream und Whatsapp-Lästereien.
Guy Parmelin verteidigt den Lockdown
Denn die Ausgangslage ist brisant. Nach dem geselligen Online-Apéro um 17 Uhr sprechen Parteiübervater Christoph Blocher und der aktuelle Bundespräsident Guy Parmelin zum Parteivolk. Letzterer ist in einer unangenehmen Situation.
Einerseits muss er als Chef des Bundesrats der Bevölkerung erklären, warum sie nicht mehr in der Beiz essen darf. Oder warum sie ab Montag nicht mehr einkaufen kann und wieso das Geburtstagsfest zum 50. absagt gehört. Auf der anderen Seite vertritt Parmelin die SVP in der Landesregierung.

Dumm nur: Die Sünneli-Partei eskalierte kommunikativ nach dem Lockdown-Entscheid des Bundesrats komplett. «Den Bezug zur Realität» habe sie verloren, teilte die grösste Partei des Landes mit.
Und attackierte Medien, welche berichteten, Parmelin selbst habe ebenfalls für den Lockdown gestimmt. Fraktionschef Thomas Aeschi sagte im Nau.ch-Interivew, das wisse er aus «erster Quelle».
Partei-Übervater Christoph Blocher referierte dann auf dem Albisgüetli wie üblich gefühlt stundelang. Böse EU, beim EWR 1992 habe man gewonnen, Pascal Couchepin habe fragwürdige Entscheidungen getroffen. Gefolgt von einiger Kritik an der Corona-Politik des Bundesrats. Eigentlich alles fast wie immer.
Hat Parmelin der SVP den Rücken gekehrt?
Bundespräsident Parmelin selbst zeigte sich darob wenig beeindruckt. Formell bedankte er sich erst für die «Einladung» - was selbst dann eine Selbstverständlichkeit wäre, falls er Sozialdemokrat wäre. Inhaltlich geht der Romand zuallererst auf die am Coronavirus verstorbenen Schweizerinnen und Schweizer ein.
Um sogleich zu sagen: Aufgrund der britischen Mutation habe sich der Bundesrat zu strengeren Massnahmen gezwungen gesehen. Es gelte Kontakte zu reduzieren, der Entscheid sei unumgänglich gewesen.
«Wir müssen nun zusammenstehen», so Parmelin in landesväterlicher Manier. Und so weiter und so fort. Die Rede der SVP-Magistraten ist mehr oder weniger eine Kopie jener vom Mittwoch.
00:00 / 00:00
Nur: Damals sprach er zur gesamten Bevölkerung, am Freitag aber zur stinkhässigen SVP-Basis. Diese dürfte während der Rede «ihres» Bundesrats komplett übergeschnappt sein. Hat Parmelin seiner Partei den Rücken gekehrt?
Keine einzige Andeutung lässt der Waadtländer zu, dass er den Lockdown nicht mittragen würde. Vielmehr lässt er einige nichtssagende Plattitüden zur Europapolitik fallen. Und spricht zu der vor dem Smartphone versammelten SVP-Fanschaft über Umwelt-Standards im Freihandelsabkommen mit Indonesien.
Zusätzliche Munition bleibt aus
Selbstverständlich sagt Parmelin zum Schluss, dass er hoffe, das Virus sei bald weg. Endlich dürften sich auch die SVP-Anhänger ein bisschen gefreut haben. Nur: Selbst bei aller Feindseligkeit hat noch kein SVPler der Linken vorgeworfen, sie sei «für» das Coronavirus.
Für Diskussionen dürfte SVP-intern also gesorgt sein. Bereits zuvor attackierte nämlich Roger Köppel den Zürcher SVP-Regierungsrat Ernst Stocker in aller Schärfe. Doch auch ausserhalb der Rechts-Partei dürfte der staatsmännische Auftritt Parmelins zu reden geben. Dieser schliesst mit einem knappen Merci an die Organisatoren.

Im Gegensatz zu «normalen» Jahren ist dann plötzlich fertig. Ein (sehr) bescheidener Applaus hallt in die Stuben der Schweizer Rechten. Der Dank der Moderatorin geht an die Sponsoren (Magdalena Martullo-Blocher und Thomas Matter) des Anlasses, eine Kapelle spielt.
Derweil dürften sich viele SVP-Wähler gefragt haben, was da gerade geschehen ist. Nach einer wie gewohnt leidenschaftlichen Rede von Doyen Blocher beruhigt der «eigene» Bundepräsident. Und er tut dies ohne der SVP auch nur ansatzweise zusätzliche Munition zu liefern.
Sicher ist: Guy Parmelin hat sich am Albisgüetli-Freitag viele neue Freunde geschafffen. Allerdings wohl nicht in seiner Partei, sondern in der Landesregierung sowie in jenen Teilen der Öffentlichkeit, die nicht SVP wählt.