Ukraine-Konferenz im Vorfeld höchst umstritten
An der Ukraine-Konferenz in Lugano werden auch Präsident Selenskyj und andere Staatsoberhäupter erwartet. Ein Problem für die Neutralität?
Das Wichtigste in Kürze
- Im Juli will Bundespräsident Cassis in Lugano TI eine Ukraine-Konferenz durchführen
- Der ukrainische Präsident Selenskyj, aber auch andere Staatschefs sollen daran teilnehmen.
- Bei der SVP schrillen die Alarmglocken, währen FDP und SP den Anlass loben.
Es könnte die ganz grosse Kiste werden: die erste Auslandsreise des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Er soll am ursprünglich als Ukraine-Reformkonferenz geplanten Anlass Anfang Juli in Lugano TI teilnehmen. Aussenminister und Bundespräsident Ignazio Cassis würde dadurch zum Gastgeber für ein Weltereignis an seinem Geburtsort.
Auch, weil sich namhafte Staatsoberhäupter wie Boris Johnson, Emmanuel Macron und Olaf Scholz zu Selenskyj gesellen wollen. Das wäre für die Schweiz nicht nur sicherheitstechnisch eine Herausforderung, sondern es stellen sich auch Fragen zur Neutralität.
Köppel: «Von allen guten Geistern verlassen»
Für eine äusserst schlechte Idee hält dies auf Anfrage von Nau.ch SVP-Nationalrat Roger Köppel: «Ein weiterer Sargnagel für die Neutralität. Ich frage mich, ob ‹die in Bern oben› von allen guten Geistern verlassen sind.»
Nicht einmal der Zweck der Veranstaltung sei klar: «Soll die Schweiz Geld zahlen? Ist es eine verkappte Nato-Konferenz?» Die Schweiz ergreife jedenfalls klar Partei zugunsten der Ukraine, konstatiert Köppel. Der Weltwoche-Chef erläutert seine Fassungslosigkeit mit einem Vergleichsszenario.
«Stellen Sie sich vor, wenn die Schweiz das im Zweiten Weltkrieg gemacht hätte: Wenn wir einseitig mit England eine Konferenz abgehalten hätten.» Es sei unglaublich: Die Ukraine-Konferenz in Lugano sei eine Selbstzerstörung der Schweizerischen Neutralität. «Einen derart krassen Bruch mit allem, das hat es in der Schweiz noch gar nie gegeben.»
FDP-Portmann sieht keine Verletzung der Neutralität
Aussenpolitiker anderer Parteien beschwichtigen jedoch. «Die Konferenz ist richtig und wichtig», sagt FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann, und ausserdem schon lange geplant, ergänzt SP-Kollege Fabian Molina. Anders als Roger Köppel sieht Molina auch kein Katastrophenszenario unter den geänderten Vorzeichen des Ukraine-Kriegs. «Dass die Konferenz doch in der Schweiz durchgeführt werden kann, ist ein Erfolg für die Schweizer Diplomatie», findet Molina.
Nachdem Russland nicht bereit sei zu Friedensverhandlungen auf Schweizer Boden, habe man das Thema der Konferenz ja angepasst, betont Portmann. «Es geht in Lugano nicht um Moderation oder Vermittlung, sondern um den Wiederaufbau der Ukraine. Hier kann die russische Seite ja nicht viel dazu beitragen, solange sie der Aggressor ist.»
Natürlich stärke es die Ukraine, wenn Staaten ihr Unterstützung zusicherten, räumt Portmann ein. «Aber es ist nicht eine Parteinahme und nicht eine Verletzung der Neutralität.»
Sicherheitsrisiko Bundesrat: Schiesst Putin Raketen auf die Schweiz?
Für SVPler Roger Köppel befindet sich die Schweiz aber in einer Art Steigerungslauf weg von der Neutralität. Dieser beginnt für ihn schon bei der Übernahme der Sanktionen gegen Russland. Dann der Entscheid der Aussenpolitischen Kommission, der dem Bundesrat auch eigene Sanktionen ermöglichen soll. «Jetzt diese Konferenz», schüttelt Köppel den Kopf.
«So wird der Bundesrat zum Sicherheitsrisiko für die Schweiz», glaubt Köppel. Er verweist auf Drohungen aus Russland, das die Schweiz trotz Neutralität bereits auf die Liste der «unfreundlichen Staaten» gesetzt hat. «Putin hat – zu unserem Entsetzen – immer das gemacht, was er gesagt hat», betont Köppel. «Wer garantiert uns, dass nicht dereinst eine Rakete in die Schweiz fliegt?»
Sicherheitsrisiko Scholz & Johnson
Köppels Nationalrats-Kollegen glauben indes nicht, dass die unverhofft zum AAA-Ereignis avancierte Konferenz eine Gefahr für die Schweiz darstellt. Fabian Molina sieht die Rolle der Schweiz genau entgegengesetzt, als Anwältin des Völkerrechts. «Im Falle eines brutalen Angriffskrieges braucht das Opfer die Unterstützung unseres Landes.»
Auch wenn das heissen sollte, dass dann nicht nur Vertreter des Opfers, sondern auch hochkarätige Staatschefs ein Stelldichein geben sollten. Im Tessin vergleicht man das dafür notwendige Sicherheitsdispositiv mit der Eröffnungszeremonie für den Gotthard-Basistunnel. Der Einsatz von bis zu 2000 Polizei- und Armeeangehörigen soll damals rund 3 Millionen Franken gekostet haben.
Solche Kosten seien gerechtfertigt, findet Hans-Peter Portmann. «Wir können nicht meinen, nur von der Welt profitieren zu können.» Ob statt hoher Beamter nun Bundeskanzler und Premierminister für ein Familienfoto anreisen oder nicht: Es gelte aktuell auch etwas flexibel zu sein. «Es geht hier wirklich um die Sache: Wie geht es weiter, wenn mal Waffenstillstand herrscht.»