Verstiess Ursula von der Leyen gegen geltendes EU-Recht?
Ursula von der Leyen, neue EU-Kommissionspräsidentin, will 50 Prozent Frauen in ihrer Kommission. Das hat sie vor ihrer Wahl versprochen – ist sie dazu befugt?
Das Wichtigste in Kürze
- Seit einer Woche ist Ursula von der Leyen gewählte Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker.
- Als EU-Kommissionspräsidentin will sie die Frauen mit einer Quote stärken.
- Solche Vorschriften an die Mitgliedstaaten seien unzulässig, so eine CVP-Nationalrätin.
Die Kandidatur von Ursula von der Leyen zur EU-Kommissionspräsidentin lief alles andere als glatt und geplant. Der Applaus zu ihrer Wahl war von kritischen Stimmen durchsetzt. Doch nun ist sie da – und sie hat grosse Pläne.
Die aktuelle EU soll zu den «Vereinigten Staaten Europas» werden, mit einer kühlen Klimapolitik. Auch anderswo will die erste Frau an der Spitze der EU Hand anlegen: Bei der Frauenquote. Auf Twitter bekräftigt von der Leyen, was sie bereits in ihrer Antrittsrede sagte.
Frauenquote für die EU
«Ich werde in meiner Kommission vollständige Geschlechtergerechtigkeit sicherstellen. Wenn Mitgliedstaaten nicht genügend Kommissarinnen vorschlagen, werde ich nicht zögern, nach neuen Namen zu verlangen.»
Seit 1953 hatte die EU-Kommission 183 Mitglieder. Nur 35 davon waren bisher Frauen. Von den aktuellen 28 Kommissaren sind gerade mal acht weiblich. Es scheint, als sollte sich das nun schleunigst ändern.
Doch die Reaktionen auf von der Leyens Twitter-Ankündigung sind gespalten. Viele ärgern sich, dass das Geschlecht zum Auswahlkriterium wird. Die Frage ist – darf es das überhaupt?
Bricht Ursula von der Leyen EU-Recht?
«Nein», sagt CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter zu Nau. Schneider, selber oft auf europäischem Parkett anzutreffen, erklärt: «Gemäss meinen Informationen erlaubt es das EU-Recht nicht, den Mitgliedsstaaten Quoten vorzuschreiben.»
Andrea Schläpfer, Assistent am Institut für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht (IEW) der Universität Bern, schüttelt den Kopf. Zwar kann Ursula von der Leyen nicht eigenmächtig eine Quote einführen.
Aber: «Frau von der Leyen hat in dieser Hinsicht sogar sehr grosse Kompetenzen», sagt er dann. Die Geschlechterquote könnte gar zum Prüfstein für die neue Kommissions-Chefin werden.
Geschlechterquote als Prüfstein
«Einerseits ist Ursula von der Leyen als eher konservativ bekannt. Andererseits wurde sie knapp gewählt. Für eine Mehrheit brauchte sie auch Stimmen aus anderen politischen Lagern. Deshalb gab sie das Versprechen für ausgewogene Anteile beider Geschlechter in ihrer Kommission zu sorgen.»
Das Instrument dazu ist Artikel 17, Absatz 7 des EU-Vertrags. Dort ist festgelegt, wie die Auswahl der Kommissionsmitglieder von statten gehen soll. Jeder EU-Mitgliedstaat darf ein Kommissions-Mitglied nach Brüssel schicken.
Ursula von der Leyen darf neue Vorschläge einfordern
«Die Mitgliedstaaten dürfen Vorschläge machen, allerdings muss die Präsidentin einverstanden sein. Ursula von der Leyen kann also reichlich Einfluss nehmen», erklärt Schläpfer.
Ursula von der Leyen könne nicht nur nach neuen, besseren Kandidaten verlangen, falls eine Liste ihr nicht gefällt. Aus den Vorschlägen kann sie schliesslich ihre Kommissionsmitglieder auswählen.
Zudem entscheidet sie, wer welchen Posten bekleiden soll. «Wenn sie will, kann sie versuchen, alle wichtigen Ämter mit Frauen zu besetzen. Zudem entscheidet sie, wer ihre Vizes werden sollen.»
Einfluss auf Privatwirtschaft
Von der Leyens fertige Kommissions-Liste muss danach vom Rat gebilligt und vom Parlament angenommen werden, um in Kraft zu treten. Es ist also ein politisches Seilziehen. «Aber schlussendlich gilt: An Ursula von der Leyen geht nichts vorbei.»
Von der Leyens Macht geht weit über die Zusammensetzung des Kollegiums hinaus. «Die Kommission ist das Organ, dass Gesetze initiiert und überwacht», so Schläpfer. Wenn ihr neues Kollegium das will, können also neue Gesetze im Bereich Gleichstellung angestossen werden.
«Zudem kann sie die Kommission deren Umsetzung strenger überprüfen. Damit kann sie auch Einfluss auf die Gleichstellung der Frauen in der Privatwirtschaft der einzelnen Mitgliedstaaten nehmen.»