Zeitenwende in Sicht: Südafrika steuert auf Koalitionsregierung zu

Nach der Parlamentswahl am Mittwoch in Südafrika läuft die Regierungspartei ANC erstmals seit 1994 Gefahr, die absolute Mehrheit zu verlieren.

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa. (Archivbild) - POOL/AFP

In Südafrika haben die Menschen ein neues Parlament gewählt. Nach der Abstimmung vom Mittwoch läuft die Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC) erstmals seit Einführung der Demokratie 1994 Gefahr, ihre absolute Mehrheit zu verlieren. In den vergangenen 30 Jahren regierte die Partei des einstigen Anti-Apartheid-Kämpfers Nelson Mandela allein. Umfragen zufolge soll der ANC diesmal unter die 50-Prozent-Marke fallen und eine Koalition eingehen müssen.

Die Ergebnisse werden am Sonntag erwartet. Als Grund für das absehbar schlechtere Abschneiden des ANC in dem Land mit 61 Millionen Einwohnern wird die Regierungsbilanz angeführt: eine schwächelnde Wirtschaft, hohe Arbeitslosigkeit und Armut, marode Staatsunternehmen, regelmässige Stromabschaltungen und Ausfälle in der Wasserversorgung, ein bröckelndes Gesundheitssystem sowie hohe Kriminalität und eine dysfunktionale Strafjustiz. Die politische Elite gilt als korrupt.

«Tor zu Afrika»

Die Wahlen sind auch für Europa relevant. Südafrika ist die grösste Volkswirtschaft und ein politisches Schwergewicht auf dem Kontinent. Es gilt als «Tor zu Afrika», als Zugangsland zu einem Kontinent, der aufgrund seiner für die Energiewende benötigten Rohstoffvorkommen international immer wichtiger wird. Obwohl Südafrika gute Beziehungen zu westlichen Ländern unterhält, ist die Regierung eng mit Russland und China verbunden.

Im Gaza-Krieg vertritt Südafrika eine starke propalästinensische Position. Es hat vor dem Internationalen Gerichtshof Klage gegen Israel wegen Völkermords im Gazastreifen erhoben. Präsident Cyril Ramaphosa wählte am Mittwoch in Soweto, einem Township am Rande der Wirtschaftsmetropole Johannesburg. «Ich glaube ohne Zweifel aus tiefstem Herzen daran, dass die Menschen dem Afrikanischen Nationalkongress eine weitere Chance geben werden», sagte Ramaphosa.

Der Ex-Präsident Kgalema Mothlanthe betonte, dass jede einzelne Stimme für den ANC zähle. Vor Wahllokalen in vielen Teilen des Landes bildeten sich lange Schlangen, was nach Angaben der Nationalen Wahlbehörde (IEC) auf eine hohe Wahlbeteiligung schliessen liess. Trotz kurzer Verzögerungen in einigen Wahllokalen und vereinzelten Protesten sowie Versuchen, die Arbeit von Mitarbeitern der Wahlbehörde zu behindern, sei die Wahl grösstenteils friedlich und reibungslos verlaufen, so die Behörde.

27,4 Millionen Wahlberechtigten registriert

Mitglieder von 52 Parteien konkurrierten um die 400 Sitze des Nationalparlaments. Auch Provinzregierungen wurden neu gewählt. Von den 40,1 Millionen Wahlberechtigten hatten sich 27,4 Millionen registriert. Das neugewählte Parlament muss innerhalb von 14 Tagen nach Verkündung der Ergebnisse eine Regierung bilden und einen Präsidenten wählen.

Die grösste Konkurrenz für den ANC ist die wirtschaftsliberale Democratic Alliance (DA). Sie regiert auf Landesebene bereits das Westkap, in der sich die Touristenmetropole Kapstadt befindet. Auch die marxistisch geprägte Partei Economic Freedom Fighters (EFF), die vom ehemaligen Vorsitzenden des ANC Jugendverbands, Julius Malema, geführt wird, macht dem ANC Stimmen streitig. Hinzu kam ein Neuling Parteienspektrum, der schnell an Popularität gewonnen hat – die von Ex-Präsident Jacob Zuma angeführte uMkhonto we Sizwe (MK) Partei.