Ariella Kaeslin: «Kinderkriegen? Bin selbst noch ein Kind»

Dem Spitzensport hat Ariella Kaeslin (32) längst den Rücken gekehrt. Ihre Zukunft könnte sich die Luzernerin dennoch in diesem Bereich vorstellen.

Ariella Kaeslin beim Frauenlauf 2017 in Bern. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • 2011 beendete Ariella Kaeslin völlig überraschend ihre erfolgreiche Kunstturnkarriere.
  • Die Luzernerin widmete sich ihrer Ausbildung und distanzierte sich vom Spitzensport.
  • Im grossen Interview erzählt die 32-Jährige, wie ihr Leben heute aussieht.

Mit ihren 32 Jahren hat Ariella Kaeslin bereits ein bewegtes Leben hinter sich. 2011 trat sie vom Spitzensport zurück und enthüllte erst vier Jahre später die Gründe dafür. Mittlerweile setzt die Luzernerin ihre Prioritäten anders, wie sie im grossen Interview mit Nau.ch verrät.

Nau.ch: Ariella Kaeslin, was machen Sie momentan beruflich?

Ariella Kaeslin: Nach meinem Sportstudium habe ich ein Physiotherapiestudium angefangen, das ich momentan in Landquart absolviere. Dies wird mich noch zwei weitere Jahre beschäftigen. Schulunterricht haben wir nur noch etwa acht Wochen, während der restlichen Zeit werde ich Praktika machen.

Ariella Kaeslin zeigt, dass sie auch nach ihrer Kunstturnkarriere topfit ist. - Instagram

Nau.ch: Sehen Sie ihre berufliche Zukunft im Bereich Sport?

Ariella Kaeslin: Ja, absolut. Ich fühle mich am wohlsten unter Sportlern und bin selbst fast täglich sportlich aktiv. Schön wäre es natürlich, wenn ich die drei Bereiche Sport, Psychologie und Physiotherapie kombinieren könnte.

Momentan halte ich noch viele Vorträge und führe Workshops durch. Das bereitet mir megaviel Spass und vielleicht baue ich diese Tätigkeit noch etwas aus.

Nau.ch: Welche Themen behandeln Sie in Ihren Vorträgen? Wollen Sie damit vor allem jungen Athletinnen und Athleten mit Ihren Erfahrungen weiterhelfen?

Ariella Kaeslin: Darauf liegt sicherlich mein Hauptaugenmerk. Ich halte aber auch viele Vorträge für Firmen und da kommt es darauf an, was sie wollen. Motivation ist dabei immer ein Thema oder wie man am besten mit Hochs und Tiefs umgeht. Mit Burn-out und dem Umgang mit Stress kenne ich mich aus meiner Spitzensportlerzeit bestens aus.

Allgemein bietet der Leistungssport viel Stoff, den man vermitteln kann. Da gibt es auch viele Verbindungen zur Wirtschaft, die gemacht werden können.

Nau.ch: In Ihrem Buch «Leiden im Licht» gehen Sie vor allem auf die psychische Belastung des Spitzensports ein. Ist das auch etwas, das Sie an Ihren Workshops ansprechen?

Ariella Kaeslin: Mein Ziel ist es, die Menschen in diesem Bereich zu sensibilisieren und aufzuklären. Das ist ein wichtiges Thema, das man bei Athleten schön früh berücksichtigen muss.

Nau.ch: Sie haben gesagt, dass Sie praktisch jeden Tag Sport treiben. Wie gestaltet sich da Ihr Wochenprogramm?

Ariella Kaeslin: Das ist ein bisschen nach Lust und Laune. Momentan brauche ich die tägliche Bewegung als Ausgleich zu meinem Studium. Aber es gibt auch Wochen, wo ich weniger Lust habe und nicht so viel trainiere. Ich versuche mich von meinem Körper und meiner Psyche leiten zu lassen.

Ariella Kaeslin hält sich auch mit regelmässigem Crossfittraining fit. - Instagram

Nau.ch: Wo liegt dabei der Fokus?

Ariella Kaeslin: Mehrheitlich auf Ausdauersport. Aber seit rund einem Jahr mache ich noch Crossfittraining. Nach meiner Kunstturnkarriere habe ich viel an Muskelmasse verloren und habe gemerkt, dass mein Rücken nicht mehr so stabil ist.

Ich habe dann mal ein Crossfit-Schnuppertraining besucht und das hat mir viel Spass gemacht. Ich kann dabei auch noch ein paar meiner Gymnastikskills anwenden.

Nau.ch: Vergangene Woche sind Sie für das «Team Davos Klosters» beim fünftägigen «Swiss Epic»-Rennen an den Start gegangen. Suchen Sie bei solchen kräfteraubenden Events bewusst Ihre körperlichen Grenzen?

Ariella Kaeslin: Unbedingt! Im Spitzensport hast du den Adrenalinkick täglich. Und der normale Alltag ist da schon etwas monotoner es fehlen die Hochs und Tiefs. Deshalb verlasse ich gerne ab und zu meine Komfortzone.

Ariella Kaeslin bei der Kunstturn-WM in Rotterdam 2010. - Keystone

Nau.ch: Vermissen Sie manchmal den Leistungssport?

Ariella Kaeslin: Was ich ab und zu vermisse, ist, dass du jeden Tag weisst, wofür du täglich hart arbeitest. Das war mein Leben und ich war mit voller Leidenschaft dabei. Dafür habe ich jetzt mehrere Sachen, die mein Leben prägen, für die ich mich auch begeistern kann. Es hat also Vor- und Nachteile.

Nau.ch: Wie weit sind Sie heute vom Kunstturnen, das früher Ihr Leben bestimmt hat, entfernt?

Ariella Kaeslin: Auf der einen Seite ist die Distanz gross. Andererseits fühle ich mich immer noch verbunden mit dem Sport und verfolgen ihn auch heute noch. Direkt nach der Karriere habe ich mich bewusst etwas davon distanziert, um noch andere Dinge zu erleben und entdecken.

Aufgrund meiner prägenden Geschichte war ich halt auch etwas negativ gegenüber dem Kunstturnen gestimmt. Je mehr ich aber an Distanz gewinne, desto mehr kann ich die schlechten Dinge ausblenden und vergessen. Heute erinnere ich mich eher an die schönen und positiven Eindrücke.

Kaeslin und ihr Chihuahua Chloë. - Instagram

Nau.ch: Kürzlich wurden im Bereich der rhythmischen Gymnastik mehrere Trainerinnen wegen vermeintlich qualvollen Trainingsmethoden entlassen. Was hat diese Nachricht in Ihnen ausgelöst?

Ariella Kaeslin: Das macht mich sehr traurig. Es ist das gleiche Muster, das sich bei diesen Missbrauchsfällen immer wiederholt. Ich möchte meine Erfahrungen nicht direkt damit vergleichen, aber ich sehe da schon gewisse Ähnlichkeiten.

Ich finde es wichtig, dass solche schlimmen Dinge aufgedeckt werden und man die Menschen darauf sensibilisiert. Es ist halt ein Milieu, wo junge Athletinnen sehr intensiv trainieren und diese können sich kaum wehren. So etwas darf schlicht nicht passieren.

Nau.ch: Wenn Sie noch etwas weiter in die Zukunft blicken: Ist da bereits eine Familienplanung mit dabei?

Ariella Kaeslin: Ich habe bereits eine Familie (lacht). Mein kleiner Chihuahua heisst Chloë und im Moment bin ich glücklich mit der Situation. Ans Kinderkriegen denke ich noch nicht, weil ich selbst noch ein Kind bin. Zudem bin ich noch in der Ausbildung und investiere viel für Sport – aber vielleicht eines Tages, warum nicht.