Olympia zwischen Protz und Nachhaltigkeit
Wohl kaum schneeweiss, aber «grün». Nicht pompös, sondern «schlicht» sollen die Winterspiele in Peking werden. Die Widersprüche sind gross, der Aufwand ist gigantisch.
«Das Wetter hier ist wirklich gut zur Herstellung von Schnee», sagt Pierpaolo Salusso über die hügelige Gegend von Zhangjiakou und Yanqing vor den Toren Pekings, wo die Skiwettbewerbe der Olympischen Winterspiele stattfinden. «Es ist allgemein trocken und sehr kalt.»
Der Italiener führt durch die örtliche Werkshalle von TechnoAlpin und zeigt die neuesten Schneekanonen des Südtiroler Herstellers. Der Weltmarktführer für Beschneiungsanlagen wird dafür sorgen, dass ausreichend und guter Schnee auf den Skipisten liegt, wenn vom 4. bis 20. Februar die Winterspiele stattfinden.
Ausgerechnet in einer der trockensten Regionen der Welt findet das olympische Schneespektakel statt. Peking ist die erste Stadt, in der sowohl Sommer- als auch Winterspiele stattfinden. Wie schon 2008 scheuen die chinesischen Olympia-Macher auch diesmal keine Mühen und Kosten. Umstritten sind die Spiele nicht nur wegen der weiter um sich greifenden Pandemie oder der Menschenrechtsverstösse des repressiven Systems, sondern auch wegen der Kritik an mangelnder Nachhaltigkeit oder einem gewissen Gigantismus in China. Der sozialistische Staatsapparat wirft sein volles Gewicht hinter die Austragung.
Kritiker bemängeln Verschwendung von Wasser und Strom für die Schneeproduktion in Peking, wo es im Winter oft monatelang keine Niederschläge gibt. Aber Kunstschnee wird auf allen Pisten der Welt gebraucht, egal, ob es schneit oder nicht. «Kunstschnee ist kein Hilfsmittel im Notfall», sagt Yan Jiarong vom Organisationskomitee. «Es ist in Wirklichkeit eine objektive Notwendigkeit, um die Qualität des Schnees für grosse internationale Wettkämpfe zu garantieren.» Auch sei nur ein kleiner Prozentsatz des lokalen Wasserkonsums nötig.
«Nachhaltigkeit bleibt ein trügerisches Konzept»
Der Strom für die Schneekanonen und die Olympia-Stätten fliesst über das Umspannwerk in Gonghui 75 Kilometer von Zhangjiakou. «Erstmals in der olympischen Geschichte werden die Austragungsorte mit 100 Prozent grüner Elektrizität versorgt», sagt ein Elektriker und stellt die moderne Anlage vor. Windräder und Solarzellen seien in der Region installiert worden. «Das Versorgungsnetz kann den ganzen Bedarf der 26 Stätten decken.» Vor allem aber die Heizungen der Hotels, Gebäude und Wohnungen fressen im kalten Winter den Strom, schildern die Verantwortlichen. Und sollte es mal nicht reichen, könne auch das nationale Netz angezapft werden, räumen sie ein. Die landesweite Stromversorgung speist sich allerdings vor allem aus Kohlestrom.
«Kohlendioxidneutral» lautet das hehre Ziel: 85 Prozent der Olympia-Fahrzeuge sollen mit Strom oder Wasserstoff fahren. Zum Ausgleich für Emissionen wurden Bäume gepflanzt - sogar in Mali und Senegal. Aber wie grün werden die Spiele wirklich? «Nachhaltigkeit bleibt ein trügerisches Konzept in Olympischen Spielen und generell bei Mega-Veranstaltungen», fasst nüchtern eine Studie internationaler Forscher zusammen, die das Magazin «nature» veröffentlichte. «Alle Olympischen Spiele geben vor, nachhaltig zu sein, aber schaffen es gleichermassen nicht, eine kohärente Definition oder ein Modell für eine unabhängige Überprüfung zu liefern.»
Da wegen der Pandemie keine ausländischen Zuschauer an den Spielen teilnehmen, ist der Ausfall der Flugreisen wahrscheinlich einer der grössten Beiträge für einen ökologischen CO2-Fussabdruck. Zum Thema Nachhaltigkeit heben Pekings Olympia-Macher auch hervor, dass Olympia-Stätten der Sommerspiele 2008 ja ein zweites Mal benutzt werden. Der «Wasserwürfel» für die Schwimmwettbewerbe wurde zum «Eiswürfel» für Curling. In der Wukesong-Basketball-Arena wird Eishockey gespielt. Und die Eröffnungs- und Schlussfeiern finden wie 2008 im «Vogelnest» statt. Dass das Nationalstadion in den 14 Jahren seither kaum für Veranstaltungen genutzt wurde, sondern ein Dasein vor allem als architektonische Attraktion fristet, bleibt unerwähnt.
Andreas Scheid: Aufwand «gigantisch»
Dass die Spiele «schlicht» ausfallen sollen, wie offiziell beteuert wird, steht gleichwohl im Widerspruch zum eigentlichen Aufwand. Pekings Olympia-Macher investierten Milliarden für den «Eisschleife» (Ice Ribbon) genannten Hallenneubau, die grosse Skischanze oder die auch als «protzig» kritisierte Bob- und Rodelbahn - ganz zu schweigen von der Hochgeschwindigkeitsbahn zu den entfernt gelegenen Stätten vor den Toren Pekings. Und die Skipisten wurden ausgerechnet in das frühere nationale Naturreservat Songshan gebaut, dessen Grenzen 2015 kurzerhand dafür neu gezogen wurden, was Biologen empörte.
«Gigantisch» findet der Sportdirektor der deutschen Snowboarder, Andreas Scheid, den Aufwand. «Was hier an Beschneiungsanlagen, Liftanlagen und so weiter aus dem Boden gestampft wurde, ist der Wahnsinn», sagte der 49-Jährige. «Für uns Europäer wirkt das in der heutigen Zeit etwas befremdlich.»