Fatales Wimbledon-Aus: Der rätselhafte Abschied von Kerber
Nach ihrem blamablen Wimbledon-Aus wollte Angelique Kerber weg. Ein Jahr nach ihrem Triumph in London gibt es nun akuten Gesprächsbedarf mit ihrem Team. Konsequenzen anderer Art stehen schon fest.
Das Wichtigste in Kürze
- Nur Erfolge bei den US Open können Angelique Kerbers Saison noch retten.
Das blamable Zweitrunden-Aus in Wimbledon bringt die Vorjahressiegerin ins Dilemma. Drei Grand Slams sind schon schief gegangen - jetzt bleibt der besten deutschen Tennisspielerin nur noch New York.
«Die grossen Turniere sind die Ziele. Deswegen ist es umso enttäuschender, wenn es da nicht klappt», räumte Kerber frustriert und traurig nach ihrem desaströsen Aus auf der prestigeträchtigsten aller Tennis-Bühnen ein.
Wie der ebenfalls schon früh ausgeschiedene Alexander Zverev wollte sie Wimbledon mit Ruhm und Ehre verlassen, nun rutscht sie nach einer unerklärlichen Klatsche in der Weltrangliste von Platz fünf mindestens auf Platz zwölf ab und damit erstmals seit gut einem Jahr wieder aus den Top Ten. Wie der herbe Rückschlag zu erklären ist, wusste auch die deutsche Damen-Chefin Barbara Rittner nicht genau. «Es war einfach ein schlechter Tag. Es ist schwer darüber zu urteilen, ob das einer Titelverteidigerin passieren darf», sagte die ehemalige Fed-Cup-Teamchefin am Freitag.
Für Kerber und ihr Team standen am Tag nach dem blamablen Aus interne Gespräche an. Für das deutsche Tennis ist schon jetzt zu schlussfolgern, dass die diesjährigen All England Championships fatal verlaufen sind. Die beiden Vorzeigeathleten Alexander Zverev und Kerber verloren in Runde eins und zwei gegen Spieler, die aus der Qualifikation kamen. Das schlechteste Wimbledon-Abschneiden seit zwölf Jahren ist bittere Realität. Nur Julia Görges mit der Chance auf die Halbfinal-Revanche von 2018 gegen US-Star Serena Williams und Jan-Lennard Struff gegen den Kasachen Michail Kukuschkin haben noch die Chance, den Deutschen Tennis Bund vor einer Zuschauerrolle in der zweiten Woche in Wimbledon zu bewahren.
Mit traurige Augen sass Kerber am Abend nach dem 6:2, 2:6, 1:6 gegen die angeschlagene Davis, die Anfang des Jahres nicht unter den Top 250 stand, vor dem leuchtenden Wimbledon-Emblem und gab nur vage Erklärungen ab. Sie habe alles gegeben, behauptete sie. Nur ein Jahr nach ihrem schillernden Endspiel-Coup war ihr Auftritt gegen die krasse Aussenseiterin aus den USA tatsächlich aber ohne Esprit, ohne Präsenz, ohne grosses Aufbäumen. Es könne sein, dass sie von dem Druck, in Wimbledon überzeugen zu müssen, eingeholt worden sei, sagte Rittner: «Den unbändigen Kampfgeist hat sie nicht zeigen können. Von der ganzen Ausstrahlung her hat sie bestätigt, dass sie sich nicht wohlfühlt.»
«Man kann es jetzt nicht mehr zurückdrehen, ich muss es akzeptieren. Die ersten Matches sind für mich immer sehr schwer», sagte Kerber. Wie Zverev wollte die Kielerin die berühmte Tennis-Anlage an der Church Road, an der Bilder und Gravuren sie an ihren Titel 2018 erinnern, so schnell wie möglich verlassen. Sie werde «irgendwo abtauchen, wo man mich hoffentlich nicht findet».
Manches erinnert an die Saison 2017, als sie sich nach ihren ersten beiden Grand-Slam-Titeln aus dem Vorjahr im tiefen Fall befand. In der Weltrangliste verliert sie mit nur einem statt sieben Siegen in Wimbledon eine Menge Punkte. Bei den Australian Open war sie ins Achtelfinale gekommen. Bei den French Open war für sie, eingeschränkt von einer Knöchelverletzung, gar in Runde eins Schluss.
In ihrer auch von einem Infekt beeinträchtigten wechselhaften Saison wartet die zwölffache Turniersiegerin noch auf ihren ersten Titel seit dem Neuanfang mit dem früheren Tennisprofi Rainer Schüttler als Trainer. Gegen Davis wirkte Kerber ratlos, reagierte unwirsch in Richtung ihrer Box und winkte ab. Die 31-Jährige erklärte das mit ihren «Emotionen». Rittner sagte, die Zusammenarbeit mit Schüttler habe mit der Niederlage nichts zu tun, die habe sich Kerber selbst zuzuschreiben: «Sie wirken sehr harmonisch. Angie ist niemand, der immer wieder gern neue Dinge ausprobiert.» Sie glaube, dass Schüttler ein Ende wählen würde, falls er merke, seine Arbeit fruchte nicht.
Den Wimbledon-Erfolg zu bestätigen, wie von ihr selbst erhofft, hat Kerber nicht geschafft. Dabei wollte sie den Neuanfang nach Wimbledon 2018 mit einer neu gewonnen Reife angehen. «Ich bin momentan nicht wirklich zufrieden», bilanzierte Kerber nach der ersten Hälfte der Saison. «Es war ein erstes halbes Jahr, was man auf jeden Fall besser hätte spielen können». Sie müsse nun versuchen, den Kopf wieder zu «sortieren» und «frisch» zu werden für die anstehende Hartplatz-Saison, sagte Rittner. Als nächstes Turnier steht Anfang August Toronto auf dem Plan, die US Open beginnen am 26. August in New York.