Afghanistan: Ein Drittel der Bevölkerung hungert
Afghanistan leidet an den Folgen des jahrzehntelangen Konflikts. Die Hälfte der Menschen lebt unterhalb der Armutsgrenze. Nun droht auch noch eine Hungersnot.
Das Wichtigste in Kürze
- 18 Millionen Menschen sind in Afghanistan auf humanitäre Hilfe angewiesen.
- Lebensmittel sind unter anderem wegen einer gravierenden Dürre teuer und zu knapp.
- Die UNO befürchtet, dass in den kommenden Monaten eine gravierende Hungersnot droht.
- Hilfsorganisationen wie World Vision können nach wochenlanger Pause wieder arbeiten.
40 Jahre Krieg und Konflikt setzten Afghanistan zu. Die Machtübernahme der Taliban im August verschärfte die Situation zusätzlich.
Das Land leidet nicht nur unter der politischen Unsicherheit. Nach Einschätzung der UNO droht Afghanistan spätestens im Winter eine Hungersnot.
«Jeder dritte Afghane weiss nicht, woher seine nächste Mahlzeit kommen wird», sagt UN-Generalsekretär António Guterres. «Mehr als die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren wird im nächsten Jahr voraussichtlich akut unterernährt sein.»
Die Gründe für die unsichere Ernährungslage sind vielfältig:
Hitze und Trockenheit
Afghanistan spürt die Auswirkungen des Klimawandels. Das Land leidet seit Jahren unter steigenden Temperaturen und Trockenheit. Die derzeit herrschende Dürre ist bereits die zweite in vier Jahren.
Laut dem UN-Welternährungsprogramm (WFP) ist wegen des trockensten Winters seit 30 Jahren die Weizenernte um 40 Prozent zurückgegangen. Die Weizenpreise sind zudem bereits 24 Prozent über dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre.
Abhängigkeit von der Landwirtschaft
Die Landwirtschaft ist in Afghanistan enorm wichtig. Sie sorgt für den Lebensunterhalt von rund 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung. Da so viele Menschen von der Landwirtschaft abhängig sind, sind sie auch besonders anfällig für Wetterextreme und Naturkatastrophen.
Durch den Vormarsch der Taliban konnten viele Bauern ihre Ernte nicht einbringen. Die Felder und Gärten wurden zurückgelassen, die Ernte verdorrte.
Binnenmigration
Die langanhaltende Dürreperiode zwischen 2017 und 2018 führte zu einer starken Zunahme der Binnenflüchtlinge. Der Vormarsch der Taliban brachte einen zusätzlichen Anstieg.
Die Flucht endete für viele Menschen in einem der Flüchtlingslager rund um Kabul. Gerade in den Flüchtlingslagern in Afghanistan sei die Versorgungslage dramatisch, sagt die für Afghanistan zuständige Regionaldirektorin des UN-Welternährungsprogramms (WFP) Anthea Webb. In den Flüchtlingslagern gibt es weder fliessendes Wasser noch Elektrizität. Den Flüchtlingen fehlt es an fast allem.
«Die Zahl der Familien, die zu extremen Massnahmen greifen müssen, um zu überleben, hat sich verdoppelt. Familien müssen nun Mahlzeiten auslassen oder die Eltern verzichten zugunsten ihrer Kinder auf das Essen», schildert Webb die aktuelle Situation.
Mangelnde Infrastruktur durch den Konflikt
Aufgrund des langanhaltenden Konflikts gab es in den letzten 40 Jahren kaum Investitionen in die Infrastruktur des Landes.
Die Landwirtschaft Afghanistans florierte einst durch ein ausgeklügeltes unterirdisches Bewässerungssystem, das Wasser aus den Bergen transportierte und so die Felder der Landwirte versorgte. Dadurch wurde vermieden, dass Wasser in der Hitze verdunstete.
Doch nur noch wenige dieser Systeme, Karez genannt, sind noch funktionsfähig. Die meisten wurden zerstört oder sind wegen des Jahrzehnte dauernden Konflikts zerfallen.
Abhängigkeit vom Ausland
Afghanistan ist durch den jahrelangen Krieg stark von ausländischen Geldgebern und Hilfsorganisationen abhängig.
Die Abhängigkeit von Lebensmitteleinfuhren sei auch einer der Gründe für die Ernährungsunsicherheit im Land, sagt der FAO-Programmdirektor (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) für Notlagen in Afghanistan, Kaustubh Devale.
Die Einwohnerzahl Afghanistans ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Die Nahrungsmittelproduktion konnte mit diesem Wachstum nicht mithalten. Einfuhren schlossen diese Lücke bis anhin.
Mit der Machtergreifung der Taliban und dem damit einhergehenden Rückgang der finanziellen Hilfe westlicher Staaten, könnte nun allerdings schnell eine grosse Versorgungslücke entstehen, warnt Devale.
Humanitäre Hilfe dringend nötig
Die Herausforderung besteht nun darin, die Menschen in Afghanistan mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Umso wichtiger sind deshalb Hilfsorganisationen, die ihre Arbeit trotz der unsicheren Zukunft fortsetzen.
Das internationale Hilfswerk World Vision konnte nach wochenlanger Unterbrechung, seine Arbeit kürzlich wiederaufnehmen.
Asuntha Charles, die Landesdirektorin von World Vision, sagt: «Wir sind erleichtert, dass wir nach Wochen der Ungewissheit, der Not und des Konflikts wieder an die Arbeit gehen können. Wir konzentrieren uns jetzt auf den Wiederaufbau unserer Aktivitäten.»
World Vision will insbesondere sicherstellen, dass unterernährte Kinder sofort in Ernährungsprogramme aufgenommen werden.
Ein wichtiger Schritt wurde zudem an der ersten UN-Geberkonferenz nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan am 13. September unternommen. Es wurden insgesamt 1,2 Milliarden US-Dollar für humanitäre Zwecke zugesagt.
Dieses Geld ist dringend nötig, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern.