Coronavirus: Ist eine BAG-konforme Demo überhaupt möglich?
Der Klimastreik hält sich an Abstand- und Hygieneregeln, trotzdem greift die Polizei ein. Auch die Demos wegen dem Coronavirus werden unterbunden. Zurecht?
Das Wichtigste in Kürze
- Statt einer Demonstration führen Klimajugendliche viele kleine Aktionen durch.
- Am Wochenende trotzen viele Lockdown-Gegner dem Verbot und demonstrieren.
- Amnesty International kritisert das absolute Versammlungs-Verbot.
Am Freitag hätte eine grosse Klimademo stattfinden sollen. Doch die Massnahmen gegen das Coronavirus haben die Verantwortlichen davon abgehalten. Die aktuelle Verordnung des Bundesrates verbietet sämtliche Veranstaltungen. Dazu gehören auch politische Versammlungen ab einer Person.
Auch für die angekündigten Corona-Demos vom Wochenende droht beispielsweise die Berner Polizei mit einem grösseren Aufgebot und Bussen. Ist eine Demo mit Einhaltung der BAG-Richtlinien überhaupt möglich?
Coronavirus: Klimaaktivisten werden verwiesen oder gebüsst
Der Klimastreik hat gestern auch ohne Demo ein Beispiel geliefert, wie politische Aktionen in Zeiten des Coronavirus funktionieren könnten.
Statt einer grossen Demo haben die Klimajugendlichen heute zahlreiche Aktionen in kleinen Gruppen durchgeführt. In Bern beispielsweise hat eine Gruppe um 11.59 Uhr beim Zytglogge «Klimaalarm» geschlagen.
Doch selbst mit den Aktionen, die Abstand- und Hygieneregeln respektieren, verstösst der Streik gegen das Versammlungsverbot. Entsprechend ist es heute zu mündlichen Platzverweisen, Bussen und Androhungen von Anzeigen gekommen. Laut Maria Weidtmann vom Klimastreik Bern seien auch Personen daran gehindert worden, an der Aktion beim Zytglogge teilzunehmen.
Erneute Lockdown-Gegner-Demo am Wochenende
Ein grösseres Polizeiaufgebot ist am Wochenende zu erwarten. Dann wollen erneut Lockdown-Gegner in der ganzen Schweiz gegen die Massnahmen demonstrieren. Wie bereits letzten Samstag werden sich diese Menschen vermutlich nicht an Distanz- und Hygieneregeln halten.
Im Gegensatz dazu bemühen sich die Klimaaktivisten stark darum, Hygiene- und Distanzvorschriften einzuhalten. Sie haben deshalb auch andere Aktionsformen gesucht als eine klassische Demonstration.
Provokation ist nicht das Ziel
Weidtmann vom Klimastreik sagt gegenüber Nau.ch: «Ziel ist nicht eine Provokation der Polizei, sondern zu zeigen, dass es den Klimastreik und die Klimakrise immer noch gibt.» Entsprechend wehren sich die Klimajugendlichen auch nicht gegen die Personenkontrollen und Wegweisungen durch die Polizei.
Beim Zytglogge dauerte die Klima-Aktion gerade so lange, wie die Polizei benötigte, um alle IDs zu kontrollieren. «Dann gingen wir wieder», sagt Weidtmann. Ein Ziel hat die Klimabewegung auch mit der kurzen Aktion erreicht: gute Fotos schiessen, die in den Medien und im Internet für Aufmerksamkeit sorgen.
Doch einzelne Leute mit Plakat verhaften: «Das geht gar nicht.» Wenn eine einzelne Person ein Plakat hochhalte, sei es nicht schlimmer als wenn fünf Leute zusammen ein Bier trinken. Wiedtmann: «Das ist unverhältnismässig und nicht vereinbar mit unseren demokratischen Rechten.»
Amnesty International: Absolutes Verbot wegen Coronavirus ist nicht legitim
In diesem Punkt erhalten die Klimajugendlichen Rückendeckung von Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation kritisiert das absolute Versammlungsverbot. Beat Gerber, Sprecher von Amnesty Schweiz, sagt gegenüber Nau.ch: «Geschäfte und Restaurants öffnen wieder, doch für jegliche Aktionen im öffentlichen Raum gilt weiterhin ein Pauschalverbot.»
Zwar hält Amnesty das Verbot von grossen Demonstrationen wegen dem Coronavirus zurzeit für verhältnismässig und deshalb legitim. Das betrifft beispielsweise die geplante Anti-Corona-Demo. Was jedoch übers Ziel hinausschiesse, sei das Verbot selbst von kleinen Aktionen, die die Gesundheit nicht gefährdeten, so Gerber. «Wenn man zum Coiffeur gehen kann, kann man auch zu zweit mit Sicherheitsabstand vor dem Bundeshaus demonstrieren.»
Klimastreik macht selber Schutzkonzepte
Laut Amnesty muss ein Schutzkonzept für freie Meinungsäusserung im öffentlichen Raum her. «Das Pauschalverbot führt zu Kriminalisierungen und ist völkerrechtswidrig.» Wer seine Meinung mit einem Plakat kundtue ohne irgend jemanden zu gefährden, laufe Gefahr, bestraft zu werden, so Gerber. «Das ist nicht okay.»
Aktionen von kleinen Gruppen oder symbolische Aktionen ohne grosse Menschenmenge sollten aus Sicht von Amnesty Schweiz erlaubt sein. Sie können so durchgeführt werden, dass sie die öffentliche Gesundheit nicht gefährden. Beispielsweise dank Schutzkonzepten, die Ansteckungen verhindern.
Der Klimastreik versucht, selber solche Schutzkonzepte zu entwerfen. Die Streikenden sind deshalb mit höchstens 15 Leuten unterwegs, in Grüppchen aufgeteilt. «Wir legen sehr grossen Wert darauf, dass wir Schutzmasken tragen und Abstand halten», sagt Maria Weidtmann. Das gelte auch beim Kontakt mit der Polizei.
Nichts ersetzt die Demo
Doch welche Wirkung haben Proteste von Einzelpersonen und Aktionen im Internet? «Es ist durchaus realistisch, dass auch Kleinst-Aktionen Aufmerksamkeit erhalten», sagt Gerber. Dafür müssten die Aktionen originell oder überraschend sein und ein dringendes Thema aufgreifen.
Grosse Demonstrationen können diese Aktionen trotzdem nicht ersetzen. Gerber: «Es gibt im Moment wohl nichts, was der Kraft von tausenden Menschen gleichkommt, die sich auf der Strasse versammeln.» Sobald keine Gefahr durch das Coronavirus mehr präsent ist, müsse die vollständige Meinungs- und Versammlungsfreiheit wieder garantiert sein.