Fight-Flight-Freeze: So regulieren Sie Ihr Nervensystem
«Ich konnte nicht anders» – Ihr Nervensystem kann der Grund sein, warum Sie manchmal die Kontrolle verlieren. Wie Sie es in den Griff kriegen, erkläre ich hier.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Nervensystem reguliert unser Denken, Fühlen und Handeln.
- Der Fight-Flight-Freeze-Modus schaltet den präfrontalen Cortex «offline».
- Ladung ist gespeicherte Energie im Nervensystem.
Gehen Sie manchmal schon bei der kleinsten Kleinigkeit an die Decke und fragen sich hinterher, was bloss in Sie gefahren ist? Oder fühlen Sie sich so verletzt oder überfordert, dass Sie wie gelähmt sind und kaum noch reagieren können?
Keine Sorge, Sie sind damit nicht allein! Und vor allem ist es keine Charakterschwäche, sondern eine ganz normale Reaktion Ihres Nervensystems.
In den letzten Jahren hat die Wissenschaft immer besser verstanden, wie unser Nervensystem auf Stress und Trigger reagiert. Diese Erkenntnisse revolutionieren nicht nur die Psychotherapie, sondern zeigen uns auch, wie wir mithilfe einfacher Techniken wieder in die Balance kommen und Kontrolle über unsere Emotionen zurückgewinnen können.
Aufklärung ist die halbe Miete
Doch das eigentlich Spannende daran: Dieses neue Wissen ist längst nicht mehr auf Therapie-Räume beschränkt. Immer mehr Menschen lernen gerade, wie sie ihr Nervensystem im Alltag regulieren und stärken können – durch somatische und spirituelle Praktiken.
Begriffe wie Aktivierung, Ladung oder die Rolle des präfrontalen Cortex rücken dabei in den Fokus. Sie sind der Schlüssel, um besser zu verstehen, wie eng unsere emotionalen und körperlichen Reaktionen miteinander verwoben sind.
Klaro, müssen Sie auch das üben. Aber wenn Sie den Dreh erstmal raus haben und realisieren, wann Sie in der Trauma-Trigger-Falle sind und wie Sie aus ihr rauskommen, verspreche ich: Es wird Ihr Leben verändern.
Das Nervensystem und seine zentrale Rolle
Das Nervensystem, bestehend aus Gehirn, Rückenmark und einem weit verzweigten Netz von Nerven, bildet die biologische Grundlage unseres Denkens, Fühlens und Handelns. Es reguliert alles, vom Herzschlag bis zur emotionalen Reaktion auf Stress.
Bessel van der Kolk betont in seinem Buch The Body Keeps the Score, dass psychische Gesundheit nicht allein eine Frage von Gedanken und Gefühlen ist, sondern tief in unserem Körper und insbesondere in unserem Nervensystem verankert ist.
Traumata hinterlassen Spuren in unserem Gehirn und Körper, die oft nur durch eine gezielte Arbeit am Nervensystem gelindert werden können.
Aktivierung und der Fight-Flight-Freeze-Modus
Traumatische Erlebnisse und chronischer Stress bringen das autonome Nervensystem aus dem Gleichgewicht. Die Folge: eine erhöhte Aktivierung, die sich in Anspannung, Unruhe oder Überforderung zeigt. In schwereren Fällen kann es sogar zu Panikattacken, Schockstarre oder Suchtverhalten kommen.
Diese Aktivierung versetzt den Körper in den sogenannten Fight-Flight-Freeze-Modus, eine evolutionär bedingte Reaktion auf Bedrohungen. Der Fight-Modus mobilisiert Energie für den Angriff, der Flight-Modus ermöglicht die Flucht, und der Freeze-Modus führt zur Erstarrung, wenn weder Flucht noch Kampf möglich erscheinen.
Während diese Reaktionen in akuten Gefahrensituationen überlebenswichtig sind, können sie bei anhaltender Aktivierung problematisch werden. Der Körper bleibt in einem Zustand der Alarmbereitschaft, der sich in Symptomen wie Angst, Schlaflosigkeit oder Erschöpfung äussert.
Vor allem, wenn man diese Energie nicht körperlich abbaut durch Tätigkeiten, die Entladung erlauben. Dann entstehen die bekannten Blockaden: Hexenschuss, Verspannungen und Schmerzen aller Art.
Ladung: Wenn der Zug Fahrt aufnimmt
In diesem Zusammenhang spielt die sogenannte «Ladung» eine entscheidende Rolle. Ladung beschreibt die Energie, die durch Aktivierung im Nervensystem entsteht.
Wenn ein Trigger – also ein äusserer oder innerer Reiz, der ein altes Trauma stimuliert – auftritt, kann dies wie ein Zug wirken, der Fahrt aufnimmt. Ein Trigger aktiviert das im Nervensystem gespeicherte Erinnerungsmuster an ein vergangenes Ereignis, das als bedrohlich empfunden wurde.
Diese Ladung baut sich auf und kann – ohne Regulation – «durch die Decke gehen», das heisst, in unkontrollierbare emotionale oder körperliche Reaktionen münden. Diese Dynamik versetzt das Nervensystem in eine Art Schleife, die uns daran hindert, klar zu denken oder bewusst zu reagieren.
Dabei wird der präfrontale Cortex, der Teil des Gehirns, der für rationales Denken, Entscheidungsfindung und Realitätsprüfung zuständig ist, regelrecht «offline» geschaltet, wie Stephen Porges in seiner Polyvagal-Theorie erklärt.
Das erklärt, warum Menschen in getriggerten Zuständen oft nicht mehr angemessen auf die aktuelle Situation reagieren können, sondern aus alten Überlebensmustern heraus handeln.
Den Zug anhalten: Zurück in den präfrontalen Cortex
Ein zentraler Bestandteil der Arbeit mit dem Nervensystem ist es, diesen «Zug» anzuhalten und die Ladung schrittweise abzubauen. Nervensystemübungen helfen, die Aktivierung zu regulieren und das Gehirn in den präfrontalen Cortex zurückzubringen. Hierbei geht es darum, den Körper aus dem Zustand der Alarmbereitschaft in einen Zustand von Sicherheit und Ruhe zu führen.
Die spirituelle Lehrerin Orama ist spezialisiert auf Nervensystemarbeit und bietet Ihren Schülern und Klienten genau das an. Die deutsche Ausbilderin hat ein Lichtzentrum auf Ibiza und lehrt hier (und online) in Seminaren, Privatsessions und Fortbildungen, welche Techniken dabei unterstützend wirken.
Techniken wie bewusstes Atmen, Grounding oder somatische Übungen unterstützen diesen Prozess. Wenn der Zug, der durch die Aktivierung Fahrt aufgenommen hat, rechtzeitig gestoppt wird, lernt das Nervensystem, nicht jedes Mal in dieselben Muster von Fight, Flight oder Freeze zu verfallen.
Es kann auch helfen, sich wieder mit der Natur zu verbinden. Gehen Sie raus, lassen Sie das Handy zu Hause und konzentrieren sich nur auf Ihre Sinne.
Was sehen Sie? Was hören, riechen oder schmecken Sie? Der Mensch ist ein Teil der Natur und Studien belegen immer und immer wieder, dass Menschen, die sich bewusst in die Natur begeben, ausgeglichener sind.
Somatische Ansätze zur Regulation
Somatische Ansätze bieten direkte Möglichkeiten, um die Ladung im Körper zu erkennen und zu regulieren. Eine wirksame Methode ist das «Orienting», bei dem die Aufmerksamkeit bewusst auf die Umgebung gerichtet wird.
Indem wir langsam umherschauen und beruhigende Objekte fokussieren, signalisieren wir unserem Gehirn, dass keine unmittelbare Gefahr besteht. Dies beruhigt die Amygdala und erlaubt es dem präfrontalen Cortex, wieder die Kontrolle zu übernehmen.
Grounding-Übungen, wie barfuss auf der Erde zu stehen, fördern eine tiefe Verbindung zum Körper und helfen, überschüssige Ladung abzubauen. Studien, wie jene von Ruth Lanius, zeigen, dass Erdung die Stresshormone im Körper reguliert und die Herzfrequenzvariabilität verbessert.
Eine weitere einfache, aber wirkungsvolle Technik ist es, die Augen sanft nach oben und hinten zu rollen, was den Parasympathikus aktiviert und Entspannung fördert.
Spirituelle Ansätze als Ergänzung
Spirituelle Ansätze wie Yoga, Meditation und Qigong bieten eine weitere Dimension in der Arbeit mit dem Nervensystem. Authentisches Hatha-Yoga kombiniert Bewegung, Atmung und Achtsamkeit und fördert eine ganzheitliche Balance zwischen Körper und Geist.
Meditation, insbesondere in Form von achtsamer Atemarbeit, unterstützt die Rückkehr in den präfrontalen Cortex, indem sie das limbische System beruhigt und den Fokus auf das Hier und Jetzt lenkt.
Deb Dana betont in ihrem Buch, dass diese Praktiken nicht nur helfen, die Ladung zu regulieren, sondern auch langfristig die Fähigkeit stärken, mit Stress und Triggern umzugehen.
Ein Paradigmenwechsel in der Psychotherapie
Die wissenschaftliche Grundlage für diese Ansätze ist solide. Studien zeigen, dass körperorientierte Therapien bei posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und Angststörungen oft effektiver sind als rein kognitive Methoden.
Peter Levine, der Entwickler von Somatic Experiencing, zeigt in seinem Werk, dass insbesondere diese Technik sowie traumafokussierte Bewegungstherapien helfen, Spannungen im Körper abzubauen und das Nervensystem nachhaltig zu regulieren.
Der Körper als Schlüssel zur Heilung
Die Arbeit mit dem Nervensystem ist mehr als ein Trend – sie ist ein Paradigmenwechsel in der Psychotherapie. Indem wir verstehen, wie Aktivierung, Ladung und der präfrontale Cortex miteinander verbunden sind, können wir neue Wege finden, um aus chronischen Stresszuständen herauszukommen.
Bessel van der Kolk fasst es treffend zusammen: «Man muss sich mit dem Körper versöhnen, um die Seele zu heilen». Der Weg zu mentaler Gesundheit führt über den Körper – und genau hier liegt das Potenzial für eine tiefgreifende Transformation.
Über die Autorin
Judith Heede ist eine deutsche Autorin, die sich seit über 20 Jahren intensiv mit dem Thema mentale Gesundheit auseinandersetzt. Als ausgebildete Journalistin schreibt sie heute für verschiedene Medien und arbeitet als Lebensberaterin und ganzheitlicher Coach mit den Schwerpunkten Trauma und Sucht.
Neben ihrer praktischen Arbeit erweitert Judith Heede ihr Wissen in akademischen Kontexten. Sie nimmt an den Master-Events zu Trauma, psychischer Gesundheit und Wohlbefinden an der University of Oxford teil und studiert hier zudem Psychologie im Rahmen eines «Certificate of Higher Education».