Wilde Insel Korsika: Schroffe Lavafelsen und grandioser Meeresblick
«Gebirge im Meer» wird Korsika genannt. 2700 Meter ragen die höchsten Gipfel auf, der Wanderweg GR 20 über Korsikas Rückgrat ist weltberühmt. Und es gibt mehr.
Das Wichtigste in Kürze
- Die französische Insel Korsika ist ein faszinierendes Ferienziel für Wanderer.
- Sie liegt ausserdem in dem Weltnaturerbe Golf von Porto, der mit Klippen und Felsen reizt.
- Familienwanderwege und Hirtenpfade bieten Attraktionen für abenteuerlustige Reisende.
In der Welt des Tourismus mangelt es üblicherweise nicht an Superlativen. Liest man aber im Reiseführer, dass Piana zu einem der schönsten Dörfer Frankreichs gekürt wurde, ist doch die Neugier geweckt.
Schliesslich dürfen gerade mal zwei korsische Dörfer den wohlklingenden Titel tragen – und das auf einer Insel, die schon die antiken Griechen schlicht «die Schöne» nannten.
Wie privilegiert die knapp 500 Bewohner Pianas leben, verrät bereits der Blick auf die Karte: Piana liegt an der Westküste der französischen Mittelmeerinsel Korsika inmitten eines Weltnaturerbes, rund 450 Meter über dem Golf von Porto.
Entsprechend hübsch ist schon die Anreise über die kurvige Landstrasse von Ajaccio. Spätestens aber, wenn man den Mietwagen schweissgebadet durch das Labyrinth aus Gassen steuert, weiss man: Die Juroren haben sich nicht geirrt.
Auf Treppen und Fensterbänken der unverputzten Steinhäuser stehen Blumentöpfe, über den Ziegeldächern ragen grüne Berggipfel auf.
Ein paar Feriengäste sitzen vor Restaurants, schlendern herum oder stöbern in Läden nach Schafskäse und Wildschwein-Salami.
Naturwunder liegt nur wenige Gehminuten von Piana entfernt
Doch Reisende zieht es auch vor die Tore des kleinen Dorfes. Denn fussläufig liegt das Naturwunder Calanche – eine bizarre Gesteinslandschaft aus rotem Granit.
Mutter Natur hat die Felsen so geformt, dass einzelne von ihnen an Monster oder Fabelwesen erinnern. Wer genau hinsieht, kann zum Beispiel Greifvögel, Drachen oder aufgesperrte Schildkrötenmäuler erkennen.
Entsprechend dicht ist der Verkehr auf der Panoramastrasse, die mitten durch die Calanche führt. Gefesselt von der Natur, rollen die Besucher in ihren Mietwagen, Oldtimern und Wohnmobilen durch die Haarnadelkurven.
Wer kann, fährt rechts ran – allerdings ist der schmale Streifen zu Füssen der Felswände meist schon zugeparkt.
Am entspanntesten lässt sich das Spektakel daher von der Terrasse des «Chalet Les Roches Bleues» betrachten. Nahe dem Ausflugsrestaurant starten aber auch mehrere Wanderwege, die in puncto Panorama noch einen drauf legen können.
Ein Hauch von Australien thront über dem Golf von Porto
Der längste von ihnen heisst «La Châtaigneraie» und führt als steiler Pfad durch Kiefern hinauf in das namensgebende Kastanienwäldchen.
An den Erdbeerbäumen am Wegesrand hängen zuhauf reife Früchte, offenbar muten sich nur wenige Abenteuerlustige den knackigen Anstieg zu.
Am höchsten Punkt der Tour ragt ein rosafarbener Monolith auf, der wie eine Miniversion des australischen Uluru wirkt. Wer etwas kraxelt, wird mit einem fantastischen Ausblick über den Golf von Porto belohnt.
Einsam wird es auf den etablierten Wegen um Piana selten. «Das hier ist ein Familienwandergebiet», sagt Edgar Eberle, der seit elf Jahren seine Sommer als Guide auf Korsika verbringt.
«Es gibt aber genauso schöne Touren auf unmarkierten Hirtenwegen, wo viel weniger Leute unterwegs sind.» An diesem Nachmittag hat er für seine drei jungen Kundinnen eine Standardtour ausgesucht: das Capu Rossu.
Der Pfad beginnt an einem Kiosk an der Landstrasse zum Strand Arone und taucht bald in dichtes, niedriges Gehölz ab.
Wacholder, Mastix- und Erdbeerbäume leuchten golden in der tief stehenden Sonne. Immer wieder zweigen Nebenpfade zur Felskante ab, wo sich ein grandioser Blick hinab auf Felsinselchen im türkisen Meer öffnet.
Das Ziel der Tour hat man ohnehin stets im Blick: Wie ein roter Zuckerhut ragt die Felskuppe des Capu Rossu mit dem Wachturm auf.
Der schönste Weg hinauf ist der direkte – eine herrliche Kraxelei über den Grat. Für Bergerfahrene ist sie kein Problem: Der Granit ist griffig, einfache Griffe und Tritte sind überall zu finden.
Und Steinmännchen weisen durchgehend den Weg durch die Felsbrocken.
Für Abenteuerlustige gibt es eine Wachturm-Übernachtung
Über eine Wendeltreppe geht es die letzten Schritte hinauf zur Brüstung des Turms. Wo einst Soldaten der Genueser Wache hielten, hat nun Edgar Eberle seine Isomatte ausgerollt, daneben sind Kocher und Flaschen aufgereiht.
Seine Gäste fotografieren sich vor dem Sonnenuntergang, eilig haben sie es dabei nicht. Denn die vier werden hier unter Sternen schlafen – oder eine Etage tiefer im Turm, falls der Wind ungemütlich wird.
Am nächsten Morgen geht das Panorama-Erlebnis weiter – und das schon vom Bett aus. Durchs Fenster sieht man jenseits des Golfs die Klippen von Scandola rot leuchten.
Die Halbinsel ist das Herz des Weltnaturerbes. Um sie aus der Nähe zu sehen, muss man allerdings mit dem Boot übersetzen. Im 20 Fahrminuten entfernten Hafen von Porto liegt dafür eine Flotte von Ausflugsbooten – vom gemächlichen Kutter bis zum Rennboot.
Eine Reise in eine Welt vor unserer Zeit
Die Wahl fällt auf ein schnittiges Hartgummiboot mit 600 Pferdestärken. Der wilde Ritt katapultiert in eine Welt vor unserer Zeit.
Rote Felsen schauen aus schwarzen und petrolgrünen Hügeln hervor, die aussehen wie erstarrte Lava. «Alles Vulkangestein», bestätigt der Kapitän. Porphyr, Rhyolith und Basalt, emporgeflossen und herausgeschleudert in einer Serie von Unterwasser-Eruptionen.
Teppiche von Sträuchern polstern die Hänge zwischen den Zacken und Türmen, auf einigen Felsnadeln finden sich Astgeflechte von Vogelnestern wieder.
Kormorane und Möwen, seltene Fischadler und Sepiasturmtaucher leben auf der Halbinsel, die seit 1975 streng geschützt ist.
Im Meer tummeln sich Muränen und Zackenbarsche, Schwertfische und Delfine.
Das Boot gleitet vorbei an den kantigen, horizontal gestapelten Basaltsäulen der «Paradiestreppe» und hinein in die «Kathedrale von Scandola»: eine Grotte mit 80 Meter hohen Wänden.
Um ihre Akustik vorzuführen, rezitiert der Kapitän zum Abschluss ein korsisches Gedicht. Selbst wer den Wortlaut nicht versteht, ahnt die Botschaft:
Gepriesen sei die Insel der Schönheit!