Verwüstung und Trauer nach Durchzug tödlicher Tornados
Das Wichtigste in Kürze
- Nach verheerenden Überschwemmungen, Hurrikanen und Waldbränden sind die USA nun von heftigen Tornados mit vermutlich Dutzenden Toten heimgesucht worden.
Besonders schwer betroffen ist der Bundesstaat Kentucky, dessen Gouverneur Andy Beshear mit Blick auf die Zerstörung meinte: «Wir sind Ground Zero.»
Im Sender CNN sagte Beshear am Sonntag, er gehe auf Grundlage der ihm vorliegenden Berichte inzwischen von mehr als 80 Toten alleine in seinem Bundesstaat aus und rechne damit, dass die Zahl über 100 steige. «Das ist das tödlichste Tornado-Ereignis, das wir je hatten.»
Das Ausmass der Zerstörung sei niederschmetternd. «Ich habe Orte, die sind verschwunden. Ich meine, einfach weg», sagte der Gouverneur. «Die massiven, weit verbreiteten Schäden machen die Rettungsbemühungen zu einer Herausforderung.»
Auch aus anderen Bundesstaaten wurden Todesopfer gemeldet, Kentucky wurde aber mit Abstand am härtesten getroffen. CNN berichtete von insgesamt mehr als 30 Tornados in Kentucky, Mississippi, Missouri, Arkansas, Illinois und Tennessee. Es dürften Tage vergehen, bis das volle Ausmass der Katastrophe bekannt wird.
Schneise der Verwüstung
Allein in Kentucky hinterliessen die Tornados über 200 Meilen (320 Kilometer) hinweg eine Schneise der Verwüstung. «Alles in ihrem Pfad ist weg. Häuser, Geschäfte, Regierungsgebäude - einfach weg. Teile von Industrieanlagen, Dächer sind in Bäumen. Es ist schwer vorstellbar, dass das überhaupt möglich ist», sagte Beshear. «Die Verwüstung ist mit nichts zu vergleichen, was ich in meinem Leben gesehen habe, und ich habe Mühe, es in Worte zu fassen.»
Besonders schwer betroffen ist der Ort Mayfield mit rund 10.000 Einwohnern. Dort verwandelten die Tornados unter anderem eine Kerzenfabrik in ein Trümmerfeld. In der Fabrik wurde wegen des Hochbetriebs zur Weihnachtszeit in der Nacht zu Samstag gearbeitet. Nur 40 der rund 110 Menschen in dem Werk seien gerettet worden, sagte der Gouverneur. Wo die Fabrik gestanden habe, liege jetzt ein mehr als vier Meter hohes Trümmerfeld mit Metallschrott und Autowracks. «Es wäre ein Wunder, würde dort jemand lebendig gefunden.»
Mayfield erlangt traurige Berühmtheit
Mayfields Bürgermeisterin Kathy O'Nan sagte CNN am Sonntag, über Nacht seien keine Überlebenden aus der Fabrik geborgen worden. Im Ort gebe es derzeit kein fliessendes Wasser. Nach Informationen der Seite poweroutage.us, die Informationen zu Stromausfällen aus dem ganzen Land sammelt, waren am Sonntagmorgen mehr als 75.000 Menschen in Kentucky ohne Elektrizität. Im Katastrophengebiet herrschten Tiefsttemperaturen um den Gefrierpunkt.
Beshear hatte die Betroffenen auf schwierige Stunden eingeschworen. «Es wird eine harte Nacht für viele Menschen in Kentucky werden», sagte er am Samstagabend. Dem Gouverneur drohte zwischenzeitlich die Stimme zu versagen - etwa, als er vom Heimatort seines Vaters namens Dawson Springs mit rund 2700 Einwohnern erzählte. «Einen Block von dem Haus meiner Grosseltern steht kein Haus mehr», sagte Beshear. «Und wir wissen nicht, wo all diese Menschen sind.» Die Liste der Vermissten alleine in diesem Ort umfasse acht eng bedruckte Seiten.
In Illinois stürzte das Dach eines Verteilzentrums des Online-Händlers Amazon teilweise ein. Dort starben 6 Menschen, 45 wurden nach Angaben der Feuerwehr aus den Trümmern gerettet. Amazon-Gründer Jeff Bezos äusserte sich bestürzt über die «tragischen Berichte» aus Edwardsville. «Wir sind untröstlich über den Verlust unserer Teammitglieder», twitterte er in der Nacht zum Sonntag.
Ein Jahr der Naturkatastrophen in den USA
Das Sturmsystem ist die jüngste einer ganzen Reihe von Naturkatastrophen in den USA. Die Vereinigten Staaten litten in diesem Jahr unter Stürmen, Überflutungen und Waldbränden. US-Präsident Joe Biden sieht in der Häufung und Heftigkeit der Katastrophen eine Folge des Klimawandels, dessen Bekämpfung er zu einer seiner Top-Prioritäten gemacht hat.
Nach den Worten des Meteorologen Marco Manitta vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach sind die Tornados in Kentucky im Zusammenhang mit einer langlebigen Superzelle - einer grossen Gewitterwolke - entstanden. In den USA gebe es für die Entstehung solcher Gewitterwolken gelegentlich günstige Bedingungen. Die aktuellen Tornados hätten eine Stärke von F4 auf der sogenannten Fujita-Skala erreicht, die die Schadensklasse angibt. Das entspreche der zweithöchsten Stufe. Bei solchen Tornados könnten auch feste Gebäude einstürzen oder stark beschädigt werden, sagte Manitta.
Gerade in den USA, wo viele Gebäude aus Holz gebaut seien, könnten die Zerstörungen umso heftiger ausfallen. Hinzu komme, dass die Tornados über teils dicht besiedeltes Gebiet gezogen seien. Dadurch nehmen die Stürme auch mehr Trümmer auf, die dann zusätzliche Zerstörungskraft entfalten können. Tornados der Stärke F4 könnten ohne weiteres auch Autos durch die Luft wirbeln, sagte Manitta. Ein starker Unterdruck könne dafür sorgen, dass Häuser regelrecht explosionsartig zerstört werden.
Präsident verspricht Hilfe
Biden sagte den von den Tornados betroffenen Bundesstaaten Hilfe zu. «Ich verspreche Ihnen, was auch immer benötigt wird, die Bundesregierung wird einen Weg finden, es zu liefern», sagte er. Der Präsident stimmte einer Notstandserklärung für Kentucky zu, mit der Hilfe des Bundes beschleunigt wird. Der Gouverneur hatte zuvor bereits den Notstand in Kentucky verhängt und die Nationalgarde aktiviert.
Biden stellte auch einen Besuch im Katastrophengebiet in Kentucky in Aussicht. Er sagte aber, er wolle damit warten, bis er die Rettungsoperationen nicht behindere. Gemeinsam mit First Lady Jill Biden bete er für die Opfer und deren Angehörigen.
Auch Russlands Präsident Wladimir Putin drückte seine Anteilnahme aus. «Seien Sie meines aufrichtigen Mitgefühls im Zusammenhang mit den tragischen Folgen des Tornados versichert, der Kentucky und eine Reihe weiterer US-Staaten verwüstet hat», hiess in dem am Sonntag vom Kreml veröffentlichten Telegramm an den US-Präsidenten.