Schafft es mit Kamala Harris erstmals eine Frau ins Oval Office? In den USA scheint man dafür bereit zu sein. Sexismus gibt es im Wahlkampf aber nach wie vor.
Kamala Harris
Kamala Harris will Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika werden. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Im US-Wahlkampf fallen immer wieder sexistische Bemerkungen über Kamala Harris.
  • Laut Experten dürfte sie aber aufgrund ihres Geschlechts nicht geringere Chancen haben.
  • Harris befindet sich zudem in einer anderen Lage als etwa Hillary Clinton vor ihr.
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Seit dem Rückzug von Amtsinhaber Joe Biden (81) als Präsidentschaftskandidat der Demokraten gilt Kamala Harris (59) als Favoritin. Die jetzige US-Vizepräsidentin erfreut sich in den letzten Tagen grosser Zustimmung. Ihre Nomination ist mittlerweile sehr wahrscheinlich.

Donald Trump (78) wird es im Präsidentschaftsrennen deshalb wohl zum zweiten Mal nach 2016 mit einer Frau zu tun bekommen.

Und: Seine republikanische Partei schiesst bereits gegen Harris.

Kamala Harris Donald Trump
Donald Trump muss sich im Rennen um die US-Präsidentschaft wohl wie 2016 gegen eine Frau durchsetzen. Stand jetzt nominieren die Demokraten Kamala Harris. - keystone

Bis zur Präsidentin hat es in den USA noch nie eine Frau geschafft. In der Vergangenheit wurde Harris aus den Reihen der Republikaner schon mehrfach sexistisch beleidigt. Ein häufiger Spruch: Sie habe sich «hochgeschlafen», weil ihr Ex-Partner ein einflussreicher Politiker war.

Welche Rolle spielt Sexismus heute noch im Wahlkampf – hat die 59-jährige Biden-Vizepräsidentin als Frau einen Nachteil? Nau.ch hat bei US-Expertinnen und einem US-Kenner nachgefragt.

Die Antworten lauten: Nicht zwingend – oder gar: im Gegenteil.

Kamala Harris in anderer Lage als Hillary Clinton

Caroline Leicht von der Universität Southampton beschäftigt sich mit der Repräsentation von Frauen in der US-Politik und mit politischer Kommunikation. Sie sagt zu Nau.ch: «Aktuelle Studien zeigen, dass Frauen in der Politik nun weniger Nachteile haben als noch vor einigen Jahren.»

«Auch weltweit haben wir nun viel öfter Frauen in politischen Führungsrollen gesehen, sodass es weniger ‹neu› ist», sagt Leicht. Trotzdem sei es gerade in den USA noch ein Thema.

«Dort hat es eben noch nie eine Frau im höchsten Amt gegeben. Viele Wählerinnen und Wähler assoziieren deshalb das Amt mit stereotypischen, maskulinen Attributen.»

Zeige eine Frau die gleichen Attribute, hiesse es dann oft, sie sei zu hart oder nicht feminin genug. «Also entgegen der stereotypischen Rolle.»

Wünschst du dir mal eine Frau im Oval Office?

Kamala Harris befinde sich jedoch in einer anderen Ausgangslage als noch Hillary Clinton im Jahr 2016. «Die Leute kennen sie als Vizepräsidentin und da ist es vielleicht weniger schwierig, sie sich auch als Präsidentin vorzustellen.»

Dazu kommt, dass Amerikanerinnen und Amerikaner für eine Frau im obersten politischen Amt bereit seien. «Gerade unter den jüngeren Wählerinnen und Wählern scheint eine gewisse Euphorie zu herrschen.» Bei anhaltender Begeisterung habe Kamala Harris «gute Chancen, die stereotypischen Assoziationen mit dem Amt zu überwinden.»

Frauen werden in der Politik «anders betrachtet»

Amerika-Expertin Claudia Franziska Brühwiler von der Uni St. Gallen verweist auf Umfragen.

Demnach ist der Grossteil der US-Bevölkerung bereit für eine Frau, sagt die Politikwissenschaftlerin. Jedoch würden weibliche Kandidaten «anders betrachtet werden».

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Wird Kamala Harris die erste Präsidentin der USA?
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Die derzeitige Vizepräsidentin ist seit dem Rückzug von Präsident Joe Biden die Favoritin der Demokraten.
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Sexismus spielt im Wahlkampf eine Rolle – die USA scheinen aber bereit für eine Frau im Oval Office.
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Mit dem Oval Office wird aber noch immer vor allem ein Mann in Verbindung gebracht.
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Weil Kamala Harris bereits Vizepräsidentin ist, falle es Leuten vielleicht einfacher, sie sich als Präsidentin vorzustellen, sagt USA-Expertin Caroline Leicht.

Harris werde mit anderen Klischees konfrontiert als ihr männlicher Gegner Trump. «So wird sie wohl direkt oder indirekt gegen den Stereotypen der ‹angry black woman› (Deutsch: ‹zornige schwarze Frau›, Anmerkung d. Redaktion) angehen müssen.»

Republikaner nutzen Sexismus als Wahlkampf-Strategie

Man habe seit Bidens Rückzug gesehen, dass Sexismus durchaus noch «als Wahlkampf-Strategie» genutzt werde, sagt Leicht.

Das habe sich bei Worten der Republikaner gezeigt: Harris sei keine geeignete Präsidentin, weil sie eine Frau ist oder weil sie noch nie selbst ein Kind geboren habe. «Das sind natürlich Statements, die man so nicht über männliche Kandidaten hört.»

Kamala Harris und ihr Team seien sich darüber aber im Klaren. «Sie werden sich dementsprechend vorbereiten.»

Sexismus «entspricht Trumps Naturell»

Thomas Greven, Politikwissenschaftler an der FU Berlin und spezialisiert auf die USA, erwartet im Wahlkampf ebenfalls Sexismus. «Es entspricht Trumps Naturell», sagt Greven. «Aber es kann nach hinten losgehen.»

Es sei gar «von Vorteil», dass Kamala Harris eine Frau ist, meint er. Anders als 2016 würden sich Wechselwählerinnen in den entscheidenden Staaten genau darauf achten, «ob Trump misogyne und sexistische Angriffe unternimmt».

Zudem seien die USA bereit für eine Frau, denn: «Selbst die Republikaner hatten ja ernsthafte Kandidatinnen für die Vizepräsidentschaft.»

Mehr Frauen sind gut für die Politik

Caroline Leicht betont, dass es für Harris wichtig werde, wie sie in den Nachrichtenmedien dargestellt wird. Gemäss Studien gehe es in der Berichterstattung über Frauen öfter um ihr Privatleben und ihre Charakterzüge als bei Männern. Dort würde öfter auf die politischen Inhalte geschaut.

«Als Kandidatin hat Kamala Harris auch selbst ein wenig Einfluss auf die Berichterstattung. Es ist wichtig, wie sie sich selbst darstellt, worauf sie den Fokus legt. Denn auch das kann die Berichterstattung stark beeinflussen.»

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Das Rennen um den Platz im Weissen Haus wird jetzt so richtig lanciert. - keystone

In Ländern wie der Schweiz oder Deutschland sei es nichts Spezielles mehr, eine Frau im Wahlkampf zu sehen, sagt Leicht. Weltweit gebe es mittlerweile viele Frauen in Führungspositionen. Das wirke sich laut Studien positiv auf die Politik aus.

«Es wird weniger Fokus auf das Geschlecht gelegt, zum Beispiel in der Berichterstattung oder im Wahlkampf. Und Wählerinnen und Wähler assoziieren politische Ämter weniger mit stereotypisch maskulinen Attributen.»

In den USA werde das höchste Amt aber oft immer noch mit einer männlichen Rolle assoziiert. «Deshalb ist es im Wahlkampf ein grösseres Thema, wenn eine Frau kandidiert.»

Frauen in den USA präsenter

Zuletzt habe es aber positive Entwicklungen gegeben: «Mit Hillary Clinton 2016 hat zum ersten Mal eine Frau die Nominierung ihrer Partei gewonnen. 2020 gab es mit Kamala Harris die erste Vizepräsidentin. Bereits 2007 wurde Nancy Pelosi die erste Sprecherin des Repräsentantenhauses.»

«Es ist also nun weniger ‹neu›, Frauen in diesen Positionen in den USA zu sehen», erklärt auch Leicht. «Das führt laut Studien langfristig zu weniger Sexismus in der Politik.»

Wen willst du im Oval Office?

Auch aus Sicht von Claudia Franziska Brühwiler hat sich in den USA «in den letzten Jahren viel getan».

«Vier der neun Supreme Court-Richter sind Frauen, darunter mit Ketanji Brown Jackson auch die erste schwarze Richterin. Im House of Representatives sind mit 29 Prozent fast ein Drittel der Abgeordneten Frauen, im Senat ein Viertel.»

Dieser Anteil sei zwar geringer als in der Schweiz. «Allerdings stellt die Politik in den USA auch ganz andere Anforderungen als in einem Milizparlament.»

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