US-Präsident Donald Trump hat sich bei der Wahl in den Vereinigten Staaten noch während der Auszählung der Stimmen selber zum Sieger erklärt. Der Republikaner sprach angesichts des verzögerten Wahlergebnisses am Mittwochmorgen (Ortszeit) von «massivem Betrug an unserer Nation». Trump kündigte an, im Zusammenhang mit der andauernden Auszählung vor das Oberste US-Gericht zu ziehen. Die Demokraten um Herausforderer Joe Biden warfen ihm vor, die Auszählung rechtmässig abgegebener Stimmen stoppen zu wollen. Das sei «empörend, beispiellos und falsch».
Donald Trump, Präsident der USA, spricht am frühen Mittwochmorgen im Ostsaal des Weissen Hauses. Foto: Evan Vucci/AP/dpa
Donald Trump, Präsident der USA, spricht am frühen Mittwochmorgen im Ostsaal des Weissen Hauses. Foto: Evan Vucci/AP/dpa - sda - Keystone/AP/Evan Vucci

Das Wichtigste in Kürze

  • Trump sagte bei einem nächtlichen Auftritt im Weissen Haus: «Wir waren dabei, diese Wahl zu gewinnen.
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Offen gesagt haben wir diese Wahl gewonnen.« Allerdings war das Rennen in Wahrheit noch offen: US-Medien prognostizierten noch keinen Sieger. Biden hatte sich kurz zuvor in seinem Heimatort Wilmington ebenfalls siegessicher gegeben. »Wir glauben, dass wir auf dem Weg sind, diese Wahl zu gewinnen.« Er fügte hinzu: »Ich oder Donald Trump können nicht verkünden, wer die Wahl gewonnen hat. Das ist die Entscheidung der Bürger Amerikas.«

Nach bisherigem Zwischenstand haben weder Trump (74) noch Biden (77) derzeit die Mehrheit von 270 Wahlleuten aus den Bundesstaaten sicher, die für einen Sieg nötig wären. Beide haben rechnerisch Chancen, die Wahl zu gewinnen. Mehrere entscheidende Bundesstaaten wie Pennsylvania waren noch umstritten. Rechtlich hat Trumps Siegeserklärung keine Bedeutung. Der Präsident kann nach der Wahl versuchen, vor Gericht zu erwirken, Stimmen oder Ergebnisse aus bestimmten Bundesstaaten anzufechten.

Trump sagte: «Wir werden vor den Supreme Court gehen. Wir wollen, dass alle Stimmabgaben stoppen. Wir wollen nicht, dass sie um vier Uhr morgens irgendwelche Stimmzettel finden und sie auf die Liste setzen.» Die Wahllokale sind seit Dienstagabend (Ortszeit, Mittwoch 7.00 Uhr MEZ) geschlossen. In manchen umkämpften Bundesstaaten wie Pennsylvania können Briefwahlstimmen aber noch Tage später gezählt werden.

Der amtierende Präsident hatte zuvor auf Twitter geschrieben: «Sie versuchen, die Wahl zu stehlen.» Im Wahlkampf hatte Trump bereits wiederholt gefordert, dass ein Wahlergebnis noch in der Nacht feststehen müsse. In den vergangenen Wochen hatte er auch immer wieder ohne Beleg und entgegen wissenschaftlicher Untersuchungen behauptet, Briefwahl würde Betrug Vorschub leisten.

Wegen der Pandemie wurde mit einer Rekordzahl an Briefwählern gerechnet. Umfragen zufolge wollten landesweit vor allem Demokraten von der Möglichkeit der Briefwahl Gebrauch machen, während deutlich mehr Republikaner am Wahltag persönlich abstimmen wollten. Trump schürt seit Monaten Zweifel an der Rechtmässigkeit der Wahl. Mehr als 100 Millionen Amerikaner gaben dieses Mal vorab die Stimme ab. Die Wahlbeteiligung lag sehr hoch.

Die Auszählung von Stimmen auch nach dem Wahltag ist in vielen Bundesstaaten gängige Praxis. In den USA ist es üblich, dass die Präsidentenwahl noch in der Nacht auf der Basis von Prognosen grosser Medienhäuser entschieden wird. Die amtlichen Ergebnisse kommen teils erst viel später.

Am frühen Mittwochmorgen waren in vielen Bundesstaaten Hunderttausende möglicherweise entscheidende Stimmen noch nicht ausgezählt. In einigen Staaten darf erst am Wahltag mit der Auswertung der Briefwahlstimmen begonnen werden - das führt zu Verzögerungen. Teils ist dabei der Abgleich von Unterschriften mit Wählerverzeichnissen vorgeschrieben.

In einigen weiteren Staaten werden ausserdem auch noch Stimmen ausgezählt, die einige Tage nach der Wahl eingehen. Hier zählt dann der Poststempel, der spätestens vom Wahltag stammen muss. Die Wahlleiter mehrerer Staaten im Mittleren Westen hatten angekündigt, dass die korrekte Auszählung einige Tage dauern könnte. Offen waren auch noch die endgültigen Ergebnisse aus North Carolina.

Zuletzt hatten sich am frühen Morgen aber positive Zeichen für Biden gemehrt, unter anderem, weil er einzelne Wahlleute in Nebraska und Maine gewann - die Staaten folgen nicht dem sonstigen US-System, wonach alle Wahlleute eines Staates einem einzigen Kandidaten zugeschlagen werden. Ihm gelang auch ein Sieg in Arizona. 2016 war der Staat im Südwesten noch an die Republikaner gegangen.

Biden musste diesen Boden auf Trump gut machen. Ihm gelang nicht der von einigen Experten prognostizierte Erdrutschsieg - die Entscheidung läuft nun auf die Staaten des Mittleren Westens hinaus. Trump konnte sich unter anderem den wichtigen Bundesstaat Florida sichern.

Der Präsident hatte seine Anhänger im Wahlkampf mehrfach darauf eingeschworen, dass er die Wahl nur verlieren könne, wenn die Demokraten sie manipulierten. Kritiker warfen ihm vor, das Vertrauen in den Wahlprozess untergraben zu wollen, um im Fall seiner Niederlage das Ergebnis anzweifeln zu können. Trump hat nicht zugesagt, dass er das Resultat anerkennen wird. Für den Fall seiner Niederlage wollte er auch keine friedliche Machtübergabe zusichern.

Vor der Wahl hatte das Statistik-Portal «FiveThirtyEight» nur eine Wahrscheinlichkeit von rund zehn Prozent für seinen Sieg errechnet. Trump hatte schlechte Umfragewerte vor der Wahl als «Fake News» abgetan und eine «rote Welle» am Wahltag vorhergesagt - rot ist die Farbe seiner Republikaner.

Bei den meisten vergangenen Wahlen räumte der unterlegene Kandidat aufgrund der Prognosen und eigener Informationen aus umstrittenen Bundesstaaten noch in der Wahlnacht seine Niederlage ein, spätestens am nächsten Morgen. Es handelt sich dabei aber um eine Gepflogenheit. Rechtlich ist ein unterlegener Kandidat nicht dazu verpflichtet. Solange es noch keine amtlichen Endergebnisse gibt und Klagen anhängig sind, kann ein Kandidat auch einfach abwarten.

Der US-Präsident wird nicht direkt von den Bürgern gewählt, sondern von Wahlleuten. Deren Stimmen fallen fast überall komplett dem Sieger in dem Bundesstaat zu, der diese Wahlleute entsendet - egal, wie knapp das Ergebnis dort ausgefallen ist. Für den Einzug ins Weisse Haus sind 270 Stimmen von Wahlleuten nötig. 2016 hatte Trump zwar landesweit weniger Wählerstimmen als Hillary Clinton geholt, aber mehr Wahlleute für sich gewonnen.

In den Vereinigten Staaten gibt es auf Bundesebene kein Wahlamt, das in Streitfällen als unabhängige Autorität zeitnah das letzte Wort hätte. Stattdessen gibt es in den USA 51 Wahlleiter: Die Bundesstaaten und die Hauptstadt Washington sind jeweils mit eigenen Gesetzen für die Organisation der Wahl verantwortlich. Streitfälle landen meist vor Gericht.

Bei möglichen Klagen dürfte Trump vor allem die Verzögerungen bei der Auszählung der Briefwahlstimmen angreifen wollen. Wegen der Corona-Pandemie hatten viele Staaten nur Monate vor der Abstimmung die Regeln für die Briefwahl geändert, entweder Abläufe oder Fristen. Solche Änderungen könnten nun als Vorwand genutzt werden, das Wahlergebnis anzugreifen.

Zunächst müsste in den betroffenen Bundesstaaten geklagt werden. Falls der Rechtsweg dort ausgeschöpft wäre, könnte der Streit letztlich in einem Eilverfahren vor dem Obersten Gericht in Washington landen. Dort hat Trump einen Heimvorteil: Sechs der neun Richter gelten als konservativ, drei davon hat der Republikaner selbst nominiert.

Bei einem knappen Wahlausgang könnte alles an ein oder zwei Bundesstaaten hängen. Wegen des Mehrheitswahlrechts könnten dort letztlich jeweils ein paar Hundert oder Tausend Stimmen entscheidend sein. Ein Rechtsstreit in einem Bundesstaat könnte bei einem knappen Ergebnis daher theoretisch zum Zünglein an der Waage werden.

So ähnlich lief die Wahl 2000 ab: Ob George W. Bush oder Al Gore der nächste Präsident würde, hing damals nur am Auszählungsergebnis im bevölkerungsreichen Bundesstaat Florida. Der Rechtsstreit um das Ergebnis und Neuauszählungen zog sich einen Monat hin, bis vor das Oberste Gericht in Washington. Danach räumte Gore seine Niederlage ein. Bush gewann mit 537 Stimmen Vorsprung und wurde US-Präsident.

Die Bundesstaaten haben unterschiedliche Fristen, bis wann dort die Endergebnisse beglaubigt werden müssen. Für alle Staaten gilt, dass die Ergebnisse spätestens bis 8. Dezember nach Washington geschickt werden müssen. Die Frist ist die Voraussetzung für die Abstimmung der Wahlleute. Die 538 Wahlfrauen und Wahlmänner sollen dieses Jahr am 14. Dezember abstimmen, um den nächsten Präsidenten zu bestimmen. Das Ergebnis ihrer Abstimmung wird dann am 6. Januar im Kongress bekanntgegeben, am 20. Januar wird der neue Präsident vereidigt.

Mehr als 100 Millionen US-Bürger hatten schon vor Dienstag per Brief oder in vorab geöffneten Wahllokalen abgestimmt, wie das «U.S. Elections Project» berichtete. Das entspricht fast drei Viertel der Stimmen, die 2016 insgesamt abgegeben wurden.

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