Baerbock warnt Damaskus vor Abkehr von moderatem Kurs
Deutschlands Aussenministerin Baerbock mahnt politischen Dialog in Syrien an und lehnt Unterstützung islamistischer Strukturen ab.
Deutschlands Aussenministerin Annalena Baerbock hat die syrische Übergangsregierung in Damaskus davor gewarnt, wieder in islamistische Strukturen zu verfallen. Es brauche jetzt einen politischen Dialog unter Einbeziehung aller ethnischen und religiösen Gruppen, insbesondere auch der Frauen. Dies sagte Baerbock zum Abschluss ihres gemeinsamen Besuchs mit dem französischen Aussenminister Jean-Noël Barrot in Damaskus.
Europa werde Syrien unterstützen, aber nicht zum Geldgeber neuer islamistischer Strukturen werden, betonte sie. Auf die Frage, ob sie sich für eine baldige Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien einsetze, reagierte Baerbock mit Zurückhaltung. Das hänge davon ab, wie der politische Prozess gestaltet werde.
Begegnung mit De-facto-Herrscher al-Scharaa
Sie sei nach Syrien gereist, um mit der Übergangsregierung und anderen Akteuren darüber zu sprechen «ob so ein politischer inklusiver Prozess möglich ist», «ob das Einhalten von Menschenrechten wirklich garantiert werden kann». Und daran knüpft sich auch die ganze Frage von der Sanktionsaufhebung, sagte die Ministerin.
Baerbock und Barrot waren zuvor vom syrischen De-facto-Herrscher Ahmed al-Scharaa empfangen worden. Der Anführer der islamistischen Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) war früher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Dscholani bekannt.
Die Gruppe HTS ging aus der Al-Nusra-Front hervor, einem Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida. Al-Scharaa hatte sich von Al-Kaida und der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) losgesagt. Bis heute gibt es aber Berichte, denen zufolge die HTS-Führung den Kontakt zu Al-Kaida hält.
Baerbock fordert Gerechtigkeit für Assad-Opfer
Gleich zu Beginn ihres Besuches liessen sich Baerbock und Barrot im berüchtigten Gefängnis Saidnaja nördlich der Hauptstadt von der Zivilschutzorganisation Weisshelme über die Gräuel der Folterer aus der Zeit der Assad-Herrschaft informieren. Die Minister wurden aufgefordert, Masken und Gummihandschuhe überzuziehen – angesichts des Gestanks von Urin und Kot in den von dreckigen Kleidungsstücken und leeren Tablettenschachteln übersäten Zellen.
Saidnaja gilt als das wohl berüchtigtste Militärgefängnis aus der Assad-Herrschaft. Im Volksmund wurde es nur das «Schlachthaus» genannt.
Die Weisshelme flehten Baerbock und Barrot regelrecht an, sich dafür einzusetzen, dass den Opfern Gerechtigkeit widerfährt. Ganz zum Schluss hatten sie den Europäern die berüchtigte Menschenpresse gezeigt. Frauen und Männer sollen darin zu Tode gequetscht worden sein.
Baerbock: Die Menschen gingen durch Hölle
«Den Horror mancher Orte kann man sich einfach nicht vorstellen», zeigte sich Baerbock erschüttert. «Aber Menschen sind hier in der Nähe der syrischen Hauptstadt Damaskus durch die Hölle gegangen. Wurden umgebracht mit Methoden, die man sich in einer zivilisierten Welt nicht vorstellen kann.»
Man könne die Leben der dort gestorbenen Opfer des Assad-Regimes nicht zurückbringen. «Aber wir können alle als internationale Gemeinschaft dazu beitragen, dass es zu Gerechtigkeit kommt.» Unter anderem dafür sei man nach Damaskus gekommen, ergänzt Baerbock: «Um deutlich zu machen, dass wir auch bei der Frage der Beweissammlung, der Gerechtigkeit, der Aufklärung dieser schlimmen Verbrechen den Menschen hier in Syrien zur Seite stehen.»
Assads Prunkpalast als krasses Gegenbild
Der Kontrast zwischen dem Gefängnis und dem Präsidentenpalast, in dem Baerbock und Barrot empfangen wurden, könnte kaum grösser sein. Riesige Hallen, ein dutzender Meter langer roter Teppich, in dem Raum, in dem der al-Scharaa die Europäer zum Gespräch empfing, stehen noch Assads Intarsien-Möbel.
Frage nach Rückkehr von Flüchtlingen
Ob Menschenrechte und Sicherheit gewährleistet sind, sei grundlegend bei der Frage nach der Rückkehr von Flüchtlingen, sagte Baerbock. «Menschen kehren nur zurück, wenn sie sicher sind, dass sie nicht wieder in solchen Folterknästen oder in islamistischen Folterknästen landen. Deswegen ist der politische Prozess so essenziell», so die Ministerin.
Syrien ist nach mehr als zehn Jahren Bürgerkrieg zersplittert und konfessionell gespalten. Auch nach dem Sturz Assads kämpfen verfeindete Milizen um die Macht. Beinahe gleichzeitig zu Barbocks Besuch in Damaskus kam zu Berichten zufolge zu schweren Gefechten im Norden des Landes zwischen protürkischen Milizen und kurdischen Kräften, die grosse Teile des Landes kontrollieren.