Coronavirus: Tödliche Medi-Tests mit Covid-Patienten in Brasilien

Antun Boskovic
Antun Boskovic

Brasilien,

In Brasilien wurden in mehreren Kliniken Medikamenten-Cocktails an mit dem Coronavirus infizierten Patienten ausprobiert. Viele starben dadurch.

Coronavirus Brasilien
Zwei Covid-19-Patienten liegen am 12. März 2021 auf einer Intensivstation in einem Spital in der Nähe von São Paulo. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Der private Krankenversicherer Prevent Senior liess Covid-Patienten Medi-Cocktails geben.
  • Diese Medikamente lösten teils schwere Nebenwirkungen aus – viele Patienten verstarben.
  • Hunderte ältere Brasilianer wurden offenbar als Versuchskaninchen missbraucht.

In Brasilien wurden offenbar Hunderte ältere brasilianische Covid-19-Patienten als Versuchskaninchen missbraucht. Mittendrin: Die private Krankenversicherung Prevent Senior. Diese soll Ärzte angewiesen haben, Medikamente und Therapien an den mit dem Coronavirus infizierten Menschen illegal auszuprobieren.

Diese verursachten teils schwere Nebenwirkungen. Viele der Patienten kamen ums Leben, wie der «Spiegel» berichtet. Ein Prevent-Senior-Direktor soll die Ärzte sogar angewiesen haben, weder die Patienten noch deren Angehörige über die Tests zu informieren.

Ein Senatsausschuss hat die Vorfälle untersucht und einen Bericht dazu bereits vorgestellt. Es habe sich um Therapien und Medikamente gehandelt, die erwiesenermassen bei Covid-19-Kranken nicht effizient seien.

«Überlebender» erzählt

Die Ärzte hätten die zumeist älteren Patienten nur noch palliativ behandelt, als sich ihr Zustand verschlechterte. Meist seien kurz darauf alle Apparate ausgeschaltet worden und die Patienten innert weniger Tage verstorben. Ärzte sollen sogar Sterbeurkunden manipuliert haben.

Coronavirus Brasilien
Ein Sarg mit dem Leichnam einer am Coronavirus verstorbenen Person wird am 29. April 2021 auf den Vila Formosa Friedhof in Sao Paulo getragen. - Keystone

Tadeu Frederico de Andrade gehört zu den wenigen «Überlebenden», wie er dem «Spiegel» erzählt. Der heute 65-Jährige hatte letzte Weihnachten erste Corona-Symptome. Noch bevor er sich auf das Coronavirus testen liess, schickte ihm eine Prevent-Senior-Klinik das sogenannte «Covid-Kit»: Ein Medikamenten-Cocktail, den viele Kliniken auf Druck der Regierung verschrieben haben.

Das Kit enthält unter anderem das Malariamittel Hydroxychloroquin, welches Herzrhythmusstörungen verursachen kann, oder das Entwurmungsmittel Ivermectin. Studien zufolge wirkt keines der Mittel gegen Covid-19. Prevent Senior räumte schliesslich Ende November ein, dass das «Covid-Kit» wirkungslos sei.

Andrades Zustand verschlechterte sich nach Einnahme dieser Medikamente schnell, er suchte die Notaufnahme einer Prevent-Senior-Klinik auf. Dort wurde er sediert, intubiert und auf die Intensivstation verlegt. Trotz ausdrücklicher Ablehnung seiner Töchter verabreichten ihm die Ärzte ein weiteres Medikament, welches als Nebenwirkung schwere Leberschäden verursachen kann.

Ende Januar habe eine Ärztin seine Tochter gedrängt, einer Palliativbehandlung zuzustimmen: Sie habe das kategorisch abgelehnt. Als dennoch seine Apparate abgeschaltet werden sollten, drohten seine Töchter gerade rechtzeitig, Justiz und Medien einzuschalten.

«Mit wirkungslosen Medikamenten herumgedoktert»

Fortan überwachte auf Kosten der Familie ein Arzt des Vertrauens «jeden Eingriff in der Klinik». Nach zwei Monaten wurde er endlich entlassen, litt kurz darauf aber plötzlich unter Herzrhythmusstörungen – möglicherweise eine Spätfolge der verabreichten Medikamente. Mittlerweile sei Andrade wieder «zu 100 Prozent gesund».

Er wisse nicht, wie viele Menschen gestorben seien. Gestorben, weil an ihnen «mit wirkungslosen Medikamenten herumgedoktert wurde» oder sie auf die Palliativstation gezwungen wurden.

Nun möchte er mithelfen, das Schicksal aller in Prevent-Senior-Spitälern verstorbenen Covid-19-Patienten aufzuklären. Andrade geht davon aus, dass die Staatsanwaltschaft bis Ende Jahr die Ermittlungen abschliesst und nächstes Jahre Anklage gegen die Verantwortlichen erheben wird.

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