Die Türkei und Nordsyrien: Eine neue Front?

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Deutschland,

Die Kurden waren die engsten Verbündeten der USA im Kampf gegen die Terrormiliz IS in Syrien. Jetzt lässt Donald Trump seine Partner im Stich und zieht Truppen zurück. Mit unabsehbaren Konsequenzen - unter anderem für die Sicherung von Tausenden gefangenen IS-Kämpfern.

Artilleriegeschütze der türkischen Streitkräfte werden in der Provinz Sanliurfa an ihre neuen Positionen nahe der Grenze zu Syrien gebracht. Foto: Uncredited/DHA via AP/dpa
Artilleriegeschütze der türkischen Streitkräfte werden in der Provinz Sanliurfa an ihre neuen Positionen nahe der Grenze zu Syrien gebracht. Foto: Uncredited/DHA via AP/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte am Wochenende erneut eine Militäroffensive in Nordsyrien angekündigt - und diesmal lassen die USA ihn gewähren.

In einer krassen Kehrtwende ihrer Syrienpolitik ziehen sie am Montag aus dem fraglichen Gebiet ihre Truppen zurück.

Trump hat seinen Wählern immer wieder erklärt, aus den «endlosen Kriegen» in Afghanistan, Irak und Syrien herauszuwollen. Seit Monaten fährt er einen Schlingerkurs in der Türkei- und Syrienpolitik. Im Dezember hatte er angekündigt, die rund 2000 US-Soldaten aus Syrien abzuziehen. Im Februar dann hiess es, ein paar Hundert sollten als «Friedenssicherungstruppe» im Kriegsland bleiben. Damals soll Trump Ratschlägen des Militärs gefolgt sein. Über die dürfte er sich nun auch hinweggesetzt haben.

Nun gibt Trump der Türkei freie Hand und führt zur Begründung erneut den Rückzug aus sinnlosen Kriegen an. «Wir kämpfen, wo es zu unserem Nutzen ist, und kämpfen nur, um zu gewinnen», twitterte er am Montag. Er betrachte die Lage in Syrien nicht mehr als US-Angelegenheit. Es sei vielmehr an der Türkei, Europa, Syrien, Iran, Irak, Russland und den Kurden, die Probleme zu lösen. Insbesondere die europäischen Staaten ging er harsch an. Diese weigerten sich, IS-Kämpfer aus ihren Ländern zurückzunehmen, und dächten «wie gewöhnlich», dass die USA «immer der «Trottel» sind, bei Nato, bei Handel, bei allem».

Der einflussreiche republikanische Senator Lindsey Graham sprach von einer «impulsiven Entscheidung des Präsidenten», die «kurzsichtig und unverantwortlich» sei. Für den Fall, dass der Plan vorangetrieben werde, wolle er eine Resolution in den Senat einbringen, um die Entscheidung umzukehren, kündigte er auf Twitter an.

Die Details von Trumps Vorstoss blieben zunächst weitgehend unklar. Die «New York Times» berichtete unter Berufung auf Regierungsbeamte, dass 100 bis 150 Soldaten aus dem Gebiet abgezogen werden sollen, in dem die Türkei die Offensive plant.

Die fühlen sich verraten - und kündigen maximale Gegenwehr an. Der Sprecher der von den Kurden dominierten Syrisch-Demokratischen Kräfte (SDF), Mustafa Bali, schrieb am Montag auf Twitter: «Die US-Kräfte vor Ort haben uns gezeigt, dass sie Freundschaft und Allianz nicht wertschätzen.» Am Samstag hatte Bali bereits ankündigt, «jeden Angriff von türkischer Seite in einen umfassenden Krieg entlang der ganzen Grenze zu verwandeln, um uns und unser Volk zu verteidigen».

Um die soll sich nun die Türkei kümmern, heisst es aus dem Weissen Haus am Montagmorgen. Bisher werden die Gefangenen in verschiedenen Gefängnissen und Lagern von der SDF überwacht - ob die nun weggehen und die Türen offen lassen, ist eine grosse, offene Frage.

Erdogan schien für dieses Problem zunächst keinen Plan parat zu haben. Vor seiner Abreise nach Serbien sagte er am Montag, die Zahlen der Kämpfer in Gefängnissen seien «etwas übertrieben». Man überlege derzeit, wie mit ihnen umzugehen sei.

Nach Schätzungen des US-Militärs befinden sich rund 10.000 IS-Kämpfer in teils improvisierten Gefängnissen der von den Kurden angeführten SDF-Truppen. Darunter sind nach Angaben der Bundesregierung auch etwa 40 deutsche Kämpfer und rund 70 Frauen mit 120 Kindern. Mehrere Gefängnisse befinden sich in unmittelbarer Nähe zur Grenze zur Türkei, etwa in Ain Issa, Kobane, Kamischli und Malihija.

Ausserdem warnte das US-Militär jüngst in einem Bericht an den US-Kongress, dass sich IS-Kämpfer in beiden Ländern neu gruppieren konnten. Zwischen 14.000 und 18.000 Mann hielten sich noch in Syrien und im Irak auf. Ein Grund: Den SDF gelänge es nicht, langfristige Operationen gegen den IS durchzuführen.

Ziel der Offensive ist, in Nordsyrien entlang der Grenze zur Türkei eine Zone unter ihrer eigenen Kontrolle einzurichten. Die Türkei nennt sie wahlweise «Sicherheitszone» oder «Friedenszone». Hauptsache: keine Präsenz der kurdischen YPG-Milizen mehr. Die sieht die Türkei als Terroristen an. Jüngst hatte Erdogan die Idee noch ausgeweitet und gesagt, in das Gebiet könnten auch Millionen syrische Flüchtlinge umsiedeln, die derzeit in der Türkei und Europa leben.

Die Zone soll 30 Kilometer tief sein und sich ab dem Euphrat nach Osten bis an die irakische Grenze erstrecken. Wie die Türken das logistisch leisten wollen - zum Beispiel, was den Schutz angeht -, ist eine andere offene Frage.

Für den Aufbau als Flüchtlingszone wirbt die Türkei im Ausland - jüngst bei einem Besuch von Innenminister Horst Seehofer (CSU). Seehofer meinte: «Ich habe deutlich gesagt, dass es ja viele Regierungen gibt, unsere eingeschlossen, die da ihre Probleme haben.»

Am Samstag hatte Erdogan angekündigt, die Offensive könnte schon am Wochenende losgehen. Es blieb allerdings bis auf begrenzte Waffen- und Truppenbewegungen ruhig. Am Montag und Dienstag ist der Präsident erst einmal auf Dienstreise in Serbien. Erdogan verwies auch auf ein Gespräch mit Trump in Washington im November. Ob das heisst, dass er mit der Offensive bis dahin warten will, blieb unklar.

Zum Ausmass der möglichen Offensive gibt es kaum Details. Die Türkei wird auf jeden Fall auch Rebellen der Syrischen Nationalarmee einsetzen, die sie in Syrien unterstützt. Der regierungsnahen Zeitung «Yeni Safak» sagte ein Kommandeur am Montag, in der ersten Phase der Offensive würden 14.000 Mann eingesetzt.

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