Sanaa

«Enttäuschend»: Nur 1,7 Milliarden Dollar für den Jemen

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Jemen,

Familien schlafen unter Ästen. Jungs müssen sich bewaffneten Gruppen anschliessen, Mädchen sich prostituieren: Das Leid der Menschen im Jemen ist kaum noch zu steigern. Aber von den benötigten Spenden, zu denen die Vereinten Nationen drängen, kommt nur ein Teil zusammen.

Ein wenige Wochen altes Baby, das an Unterernährung leidet, liegt in einem Krankenhaus in Aden. Foto: Giles Clarke/UNOCHA/dpa
Ein wenige Wochen altes Baby, das an Unterernährung leidet, liegt in einem Krankenhaus in Aden. Foto: Giles Clarke/UNOCHA/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Hungersnot - eigentlich ein Schreckensszenario aus längst vergangenen Zeiten.

Aber im Jemen, dem extrem armen Nachbarn des extremen reichen Saudi-Arabien, ist es vielleicht bald bittere Realität.

«Das Land steht am Abgrund, vor dem Kollaps», sagt der Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen, Mark Lowcock. «Wenn wir nicht genügend Geld zusammenbekommen, werden wir die schlimmste Hungersnot seit Jahrzehnten erleben. Wir müssen verhindern, dass Menschen langsam und qualvoll verhungern.»

Auch nach einer Geberkonferenz am Montag bleiben die Aussichten düster. 3,85 Milliarden Dollar (3,15 Mrd Euro) benötigen die UN für ihre Hilfsprogramme dieses Jahr - erreicht werden gerade einmal 1,7 Milliarden Dollar. «Enttäuschend», sagt UN-Generalsekretär António Guterres. «Das Kürzen von Hilfsgeldern ist ein Todesurteil».

Es gibt wenig zu essen, und die meisten Menschen haben keinerlei Einkünfte. Kämpfe haben Eman, eine Mutter mit zwei Kindern, vor sechs Jahren aus ihrer Heimat vertrieben. «Meine Kinder gehen praktisch jeden Abend ohne Essen ins Bett und bleiben bis zum Morgen hungrig», berichtete sie. Aschraf wurde mit Eltern, Geschwistern und zehn Kindern schon vier Mal vertrieben. «Wir leben jetzt in einem Tal unter Bäumen und haben nur Äste, um uns zuzudecken.» Salma, die fünf Kinder hat und einen kranken Mann versorgt, sagte: «Ich kann nicht mal betteln gehen, weil niemand etwas abzugeben hat.»

2015 verschärfte sich der Bürgerkrieg, als Saudi-Arabien mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und weiteren Verbündeten mit schweren Bombardements im Jemen begann. Sie wollen die Huthi-Rebellen, die heute weite Teile des Nordens beherrschen, zurückdrängen. Bis dahin war der Jemen arm, hatte aber eine einigermassen funktionierende Wirtschaft, eine nationale Infrastruktur und eine Exportbasis. Heute sei alles hinüber, sagt Lowcock. Die Felder zerbombt, die Fischerboote zerstört. «Es ist eine einzig von Menschen gemachte Hungersnot, eine Entscheidung von Mächtigen über Machtlose.»

Helfer kämpfen Woche für Woche, um die Leidtragenden mit dem Nötigsten zu versorgen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) hilft mit Lebensmitteln, Material für Notunterkünfte und Bargeld, damit die Familien Medikamente für kranke Angehörige kaufen oder ihre Miete bezahlen können. «Das hält sie über Wasser, aber es holt sie nicht aus der Armut», sagte Jean-Nicolas Beuze, UNHCR-Chef im Jemen, der Deutschen Presse-Agentur.

Reis, Brot, Zwiebeln, Tomaten - mehr können sich viele Familien nicht leisten. Beuze berichtet von der Begegnung mit einer Mutter mit sieben Kindern, die zehn Autominuten von einer Kriegsfront entfernt in Tais im Südwesten lebt. Die Kinder betteln und sammeln Blechdosen, um sie an Geschäfte zu verkaufen. Um zu überleben, schlössen sich Jungs bewaffneten Gruppen an. Mädchen prostituierten sich.

16 Millionen Menschen hungern. Weitere 5 Millionen stehen kurz vor einer Hungersnot. Unter Helfern ist dies ein sehr technischer Begriff: Eine Hungersnot wird erst ausgerufen, wenn 20 Prozent aller Haushalte extrem wenig zu essen haben, dazu 30 Prozent aller Kinder akut unterernährt sind und zugleich pro 10.000 Menschen täglich zwei oder mehr an Hunger sterben.

Auch die Gefechte haben sich verstärkt, seit die Huthis eine neue Offensive auf die strategisch wichtig Stadt Marib begonnen haben. 800.000 Vertriebene haben dort nach UN-Angaben Zuflucht gesucht. An 50 Fronten wird gekämpft, Aussichten auf eine politische Lösung scheinen in weiter Ferne. Die Huthis, so die Einschätzung von Experten, fühlen sich durch die neue US-Regierung sogar bestärkt. Präsident Joe Biden hat angekündigt, keine Kampfhandlungen im Jemen mehr zu unterstützen, und dem saudi-arabischen Militärbündnis damit wichtige logistische und Geheimdienst-Hilfe entzogen.

Zur Geberkonferenz schlagen Hilfsorganisationen Alarm. Diese sei ein «Schlüsselmoment» für die Weltgemeinschaft, um nach bald sechs Jahren «menschlich verursachter Katastrophe» mehr zu helfen, teilen zwölf Organisationen wie Save the Children, Care und Norwegischer Flüchtlingsrat mit. Ärzte ohne Grenzen erklärt, dass Hunderte Gesundheitseinrichtungen zerstört worden oder wegen fehlender Mitarbeiter und Mittel geschlossen seien. Die Forderung ist stets dieselbe: mehr finanzielle Hilfe. Vergangenes Jahr kam nur etwa die Hälfte der benötigten Summe zusammen.

«Der Krieg verschlingt eine ganze Generation», sagt UN-Chef Guterres. Trotz neuer Zusagen - vor allem von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Deutschland, den USA und der EU - bleibt der Jemen das «schlimmste humanitäre Desaster unserer Zeit», wie Bundesaussenminister Heiko Maas sagt. «Die Not der Menschen sprengt jede Vorstellungskraft.»

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