Gewaltwelle in Afghanistan fordert mehr als 100 Tote
Anschläge und Kämpfe praktisch ohne Pause, die afghanischen Sicherheitskräfte stehen unter massivem Druck der Taliban. Bereits mehr als 100 Menschen starben.
Das Wichtigste in Kürze
- Afghanistan kämpft seit Monaten mit einer Gewaltwelle.
- Polizei und Armee verlieren weitere Kontrolle über Gebiete.
- Ein Anschlag und mehrere Gefechtete forderten über 100 Todesopfer.
In Afghanistan verschlechtert sich die Sicherheitslage weiter: Bei einem Anschlag in der Hauptstadt Kabul und Gefechten in mehreren Provinzen sind mehr als 100 Menschen ums Leben gekommen. In Kabul starben mindestens sechs Menschen, als ein Selbstmordattentäter heute Montag einen Kontrollposten der Polizei angriff. Weitere 20 Menschen wurden verletzt.
Die afghanischen Sicherheitskräfte haben seit Monaten massive Schwierigkeiten, den Angriffen der radikalislamischen Taliban standzuhalten. Alleine im November überfielen diese mindestens sechs Militärbasen im ganzen Land und töteten Dutzende Sicherheitskräfte. Die Regierung kontrolliert nach Angaben des Militärs nur noch etwas mehr als die Hälfte aller Bezirke des Landes. Das ist der niedrigste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2015.
Ein Drittel Geistersoldaten
Zudem haben laut einem neuen Bericht des Sonderinspekteurs des US-Senats für den Wiederaufbau in Afghanistan (Sigar) die afghanischen Sicherheitskräfte Schwierigkeiten, ihre personelle Stärke zu halten. Sie liege rund 40'000 Mann unter ihrer Zielstärke von 352'000 Soldaten und Polizisten. Manche Experten schätzen, dass ein Drittel der Sicherheitskräfte so genannte Geistersoldaten und -polizisten sind – sie haben ihre Posten verlassen, wurden aber nicht von der Gehaltsliste gestrichen. Viele andere gelten als schlecht ausgebildet und unqualifiziert. Die Zahl der Taliban-Kämpfer liegt laut afghanischen Militärexperten bei rund 60'000.
In der westlichen Provinz Farah starben mindestens 37 Polizisten als Folge von Taliban-Angriffen. Die Sicherheit in der Provinz Farah hat sich in den vergangenen Monaten massiv verschlechtert.
Ausbreitende Gefechte
Bei Kämpfen in der südöstlichen Provinz Gasni haben Taliban binnen 48 Stunden mindestens 60 Sicherheitskräfte und bewaffnete Zivilisten getötet, wie der Provinzrat Mohammed Rahim Hassani heute Montag sagte. Die Gefechte im südöstlichen Gasni dauern bereits seit einer Woche an. Die Kämpfe hätten sich aus der unsicheren Nachbarprovinz Urusgan auf die bisher als sicher geltenden Bezirke Dschaghuri und Malistan ausgebreitet, sagten Bewohnern.
In der Nacht zu Montag hätten Taliban-Kämpfer zudem versucht, das Bezirkszentrum und den Sitz des Bezirksgouverneurs von Malistan zu erobern. Der Angriff sei von den Sicherheitskräften abgewehrt worden, allerdings gebe es weiter heftige Kämpfe etwa zwei Kilometer vom Bezirkszentrum entfernt. Über Opferzahlen in Malistan gab es zunächst keine Angaben.
Marsch zum Präsidentenpalast
Die Angriffe auf die zwei von der Minderheit der Hasara dominierten Bezirke lösten Proteste in der Hauptstadt Kabul aus. Die Demonstranten, die in der Nacht zu heute Montag in Richtung Präsidentenpalast marschierten, forderten zusätzliche Sicherheitskräfte für die Provinzen Gasni und Urusgan von der Regierung.
Die Proteste dauerten bis zum frühen Montagnachmittag (Ortszeit) an. Die Demonstranten teilten mit, sie hätten nach einem Telefongespräch mit Präsidenten Aschraf Ghani die Proteste beendet. Ghani habe versprochen, Verstärkung in die Gebiete schicken. Die Demonstranten erklärten, er habe dafür 24 Stunden Zeit. Sollten bis dahin keine zusätzlichen Truppen eintreffen, würden sie ihre Proteste fortsetzen. Wenige Minuten, nachdem die Demonstranten die Einigung mit Ghani verkündet hatten, sprengte sich dann unweit der Proteste in Kabul ein Selbstmordattentäter in die Luft.