Hamas: Tod von Chef könnte «überregionale Eskalation» bringen
Israel hat mit Ismail Hanija einen Anführer der Hamas getötet. Das dürfte sich auf den weiteren Verlauf des Nahost-Konflikts auswirken. Experten ordnen ein.
Das Wichtigste in Kürze
- Nach dem Tod von Hamas-Chef Ismail Hanija stellt sich die Frage, wie es weitergeht.
- Sowohl eine erneute Eskalation als auch eine Beruhigung sind denkbar.
- Experten schätzen das Ereignis und dessen Folgen für den Nahost-Konflikt ein.
Der Hamas-Chef Ismail Hanija ist tot. Wie am frühen Mittwochmorgen bekannt wurde, ist der Anführer der Terrororganisation von der israelischen Armee ausgeschaltet worden.
Hanija steuerte die Hamas vom Ausland aus. Zum Zeitpunkt seines Todes hielt er sich im Iran, beim wichtigsten Unterstützer der Hamas, auf.
Hanija-Tod dürfte Verhandlungen erschweren
Klar ist: Der Angriff auf den Hamas-Chef wirft hohe Wellen. Doch welche Auswirkungen hat das Ereignis auf den Nahost-Konflikt? Droht nun eine weitere Eskalation – beispielsweise durch eine Ausweitung des Kriegs auf zusätzliche Gebiete?
Ja, sagt Hans-Lukas Kieser, Nahost-Experte von der Universität Zürich, gegenüber Nau.ch. Er warnt: «Es ist ein Schritt in Richtung überregionale Eskalation.» Mit der Tötung Hanijas dürften sich Verhandlungen für Geiselbefreiungen oder ein Ende des Gaza-Kriegs erschweren.
Der Iran oder die Hisbollah seien fähig, «Eskalation in der ganzen Region zu betreiben», führt Kieser aus. Dies sei auch vom Irak aus möglich. Dazu kommt, dass auch aus der Türkei «neu gefährliche Töne» kommen. Kieser hält aber fest, dass der Iran bisher keine grosse Eskalation wollte.
Andreas Böhm, Nahost-Experte von der Universität St. Gallen, sieht es ähnlich. Kurz vor Hanija wurde auch ein Hisbollah-Militärführer im Libanon eliminiert.
Es könne sein, dass Israel durch die beiden Tötungen bewusst «einen regionalen Krieg» provozieren wolle. «Dafür spricht, dass sie Iran und Hisbollah direkt im Zentrum – Teheran und Beirut – getroffen haben», so Böhm.
Vieles hänge jetzt von Teheran ab, sagt Böhm weiter: «Die Frage ist nun, wie der Iran reagiert. Es wird sicher eine sichtbare Reaktion geben. Aber es kommt darauf an, ob sie mehr symbolisch ist oder eine weitere Eskalation auslöst.»
Tatsächlich hat die iranische Führung später am Mittwoch bereits Vergeltung angekündigt.
Israel könnte Sieg verkünden – und Verhandlungen mit Hamas vorantreiben
Laut Böhm gibt es aber auch ein zweites Szenario, wonach die Tötungen eher zu einer Beruhigung führen könnte. Israels Premier Benjamin Netanjahu habe die Möglichkeit, die erfolgreichen Schläge als Sieg zu verkünden. So könnte er künftig die lange von ihm blockierten Verhandlungen vorantreiben.
Böhm wendet ein: «Allerdings sind die beiden Schläge enorme Blamagen für Iran und Hisbollah, die im Prinzip darauf reagieren müssen.» Zudem sei Hanija ein wichtiger Verhandlungsführer der Hamas gewesen, was einen Deal weiter erschweren dürfte.
Zu einer möglichen Beruhigung der Lage sagt Kieser: «Das wäre zu hoffen, aber ist fraglich mit der jetzigen Regierung.» Denn diese könne sich in Israel nur dank fortgeführtem Krieg an der Macht halten.
Nahost-Eskalation hätte Folgen bis in die Schweiz
In jedem Fall darf man die Folgen von Hanijas Tod nicht überbewerten. Laut Kieser ist es vor allem «aus militärischer und geheimdienstlicher Sicht ein spektakulärer Erfolg». Allerdings sei die Hamas nicht so sehr von einzelnen Personen abhängig.
Falls es im Nahen Osten zu einer weiteren Eskalation kommen würde, hätte dies international Folgen. Flüchtlingsströme sowie Einschränkungen im Flugverkehr könnten laut Kieser auch die Schweiz treffen.
Der schweizerischen Diplomatie, die im Iran die USA vertritt, drohe zudem «noch mehr Nachtarbeit».