Helikopter

Helikopter in Minsk an Lukaschenkos Palast

Nach den Massenprotesten in Belarus hat sich Staatschef Lukaschenko bewaffnet von einem Hubschrauber in seinen Palast bringen lassen.

Proteste in Belarus
Tausende Demonstranten versammeln sich auf dem Platz der Unabhängigkeit zu einem Protest gegen den Präsidenten Lukaschenko mit einer riesigen historischen Nationalflagge von Belarus. - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • In Minsk kam es am Sonntag zu einem neuen grossen Protestzug gegen Alexander Lukaschenko.
  • Nach den Massenprotesten ist ein Hubschrauber an seinem Präsidentenpalast gelandet.
  • Starke Sicherheitskräfte schützten die Zufahrtsstrassen zum Palast mit Militärfahrzeugen.

Trotz der erneuten Massenproteste in der belarussischen Hauptstadt Minsk setzt Machthaber Alexander Lukaschenko weiter auf Härte und zeigt keinerlei Kompromissbereitschaft.

Er liess sich am Sonntagabend bewaffnet und in schusssicherer Weste von einem Hubschrauber in seinen Präsidentenpalast bringen, wie Staatsmedien zeigten. Lukaschenko bezeichnete die Demonstranten als «Ratten».

Das Staatsfernsehen zeigte auch, wie der Diktator mit einer Kalaschnikow-Maschinenpistole in der Hand in schwarzer Montur den Hubschrauber verliess und zum Palast ging. Oppositionsnahe Quellen im Nachrichtenkanal Telegram hoben hervor, dass in der Waffe kein Magazin gewesen sei.

Lukaschenko habe die «Lage kontrolliert»

Der Palast der Unabhängigkeit, wie er offiziell heisst, glich einer Festung. An den Zufahrten waren gepanzerte Fahrzeuge zu sehen und Einheiten mit Sicherheitskräften. Sie sollten verhindern, dass die wütende Menge den Palast stürmt. Dort hatten sich auch Menschen versammelt.

Doch statt sich provozieren zu lassen, sangen und tanzten die Demonstranten vor den Sicherheitskräften des Regimes und riefen Ihnen zu, «ihr habt euren Eid auf das Volk abgelegt».

Lukaschenko dankte den Sicherheitskräften für ihren Einsatz und für seinen Schutz vor den Demonstranten. «Danke, Ihr seid tolle Typen!», sagte er bei einem Besuch an den Absperrungen seines Präsidentenpalastes. «Wir stehen an Ihrer Seite bis zum Ende», riefen die Uniformierten und applaudierten dem 65-Jährigen.

Lukaschenko
Alexander Lukaschenko (M), Präsident von Belarus (Weissrussland), warnt bei einem Treffen mit führenden Mitarbeitern beim Militär und der russischen Spezialeinheit (OMON) vor einer Revolution im Land. - dpa-infocom GmbH

Lukaschenkos Sprecherin Natalja Eismont wies im Staatsfernsehen mit Blick auf einen Flug des Präsidentenhubschraubers Spekulationen in sozialen Netzwerken zurück, wonach Lukaschenko habe fliehen wollen.

«Er hat den ganzen Tag im Lagezentrum des Palastes der Unabhängigkeit gearbeitet und die Lage kontrolliert», sagte sie. «Wie der Präsident versprochen hat, wird der nirgendwohin gehen.» Lukaschenko arbeite nach einem Hubschrauber-Rundflug über der Stadt weiter im Palast.

Präsidentenwahl soll manipuliert sein

Mehr als 100'000 Menschen hatten zuvor trotz Warnungen von Polizei und Militär vor einem Demonstrationsverbot in Minsk bei einer Grosskundgebung den Rücktritt von «Europas letztem Diktator» gefordert. «Hau ab!», skandierten die Menschen in Sprechchören auf dem Unabhängigkeitsplatz in Minsk.

Proteste in Belarus
Tausende Demonstranten versammeln sich auf dem Platz der Unabhängigkeit zu einem Protest gegen den Präsidenten Lukaschenko. Zwei Wochen nach der von der EU verurteilten Präsidentenwahl, bei Lukaschenko sich zum sechsten Mal zum Sieger ausrufen liess, gehen die Menschen in dem Land weiterhin auf die Strasse. - dpa

Anschliessend gab es einen friedlichen Protestzug durch Minsk - und scharfer Beobachtung von Uniformierten. Die Polizei warnte in Lautsprecherdurchsagen immer wieder vor der Teilnahme an der ungenehmigten Kundgebung.

Allerdings war die Menge auf den Strassen so gross, dass die Polizei dem nichts entgegensetzen konnte. Einige oppositionelle Plattformen im Internet schätzten die Zahl auf 200'000 Menschen - etwa so viele wie am Sonntag vor einer Woche, als es zum ersten Mal überhaupt Proteste in dieser Grössenordnung gab. Sie gelten als historisch.

Lukaschenko: «Proteste ab Montag inakzeptabel»

Lukaschenko hatte immer wieder damit gedroht, notfalls auch die Armee zur Sicherung seiner Macht einzusetzen. Am Sonntag vor den Mega-Protesten kündigte er in einer Fernsehansprache an, dass heute der letzte Tag sein würde, an dem er jegliche Proteste akzeptiere. Ab Montag sei dies inakzeptabel.

Erstmals verlegte Lukaschenko auch zahlreiche reguläre Soladeten in die Stadt. In grossen Konvois kamen sie am Morgen an. Kurz darauf durchstreiften schwer bewaffnete vermummte Einsatzkräfte die Parks und Strassen der Hauptstadt.

Das Verteidigungsministerium warnte in einer Mitteilung: «Falls es Störungen der Ordnung oder Unruhen auf diesen Plätzen geben sollte, werden Sie es schon nicht mehr mit der Miliz zu tun bekommen, sondern mit der Armee

Viele Bürger in Belarus betonen aber seit Wochen, dass sie keine Angst mehr hätten vor «Europas letztem Diktator». Auch in anderen Städten kommt es seit der umstrittenen Präsidentenwahl am 9. August täglich zu Protesten und Streiks in den Staatsbetrieben.

So auch am Sonntag als zeitgleich (ab 14 Uhr) Hunderttausende Weissrussen auf die Strasse gingen, um friedlich ihr Recht und ihre Freiheit einzufordern. So wie etwa im Video oben bei Protesten in der Stadt Grodna im Westen des Landes.

Wahlfälschung löste Proteste aus

Die von Vorwürfen beispiellosen Betrugs begleitete Präsidentenwahl hat die grösste innenpolitische Krise des Landes ausgelöst. Lukaschenko hatte sich nach 26 Jahren an der Macht mit 80 Prozent der Stimmen zum sechsten Mal in Folge zum Sieger der Präsidentenwahl erklären lassen.

Die Opposition beansprucht den Wahlsieg für die 37 Jahre alte Fremdsprachenlehrerin Swetlana Tichanowskaja. Sie ist aus Angst um ihre Sicherheit und die ihrer Kinder in das EU-Nachbarland Litauen geflohen. Von dort aus versucht sie, die Bewegung mit Videobotschaften zu steuern.

Belarus
Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja flüchtete ins EU-Nachbarland Litauen. - AFP

Die EU hat die Wahl nach den Fälschungsvorwürfen und der anschliessenden Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten nicht anerkannt. Länder wie Russland und China hingegen haben Lukaschenko zum Sieg gratuliert.

Massive Polizeigewalt zu Beginn der Proteste

In den ersten Tagen der Proteste hatte es massive Polizeigewalt gegen die friedlichen Demonstranten gegeben. Hunderte Menschen wurden verletzt. Die Zahl der Toten stieg am Samstag von drei auf vier.

In Litauen zeigten sich Zehntausende Menschen bei einer Protestaktion solidarisch mit den Demonstranten in Belarus. Nach Vorbild des «Baltischen Wegs» von 1989 bildeten sie eine Menschenkette von der Hauptstadt Vilnius bis zum Ort Medininkai an der litauisch-belarussischen Grenze.

Rund 50'000 Menschen fassten sich nach Angaben der Veranstalter über die gut 30 Kilometer lange Strecke an den Händen - mit Mundschutz und meist auch mit Handschuhen. Viele Menschen waren weiss gekleidet, hielten litauische oder historische belarussische Flaggen in den Händen und hatten Blumen dabei.

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