Likes sind auf X neu versteckt – Transparenz nimmt ab
Auf dem Twitter-Nachfolger X ist nicht mehr einsehbar, wer welchen Post geliket hat. Damit nimmt die Transparenz auf der Plattform noch mehr ab.

Das Wichtigste in Kürze
- Ein Pro-Palästina-User behauptet auf X, Israel habe einen seiner Posts gelikt.
- Mit den neuerdings versteckten Gefällt-mir-Angaben lässt sich das nicht mehr überprüfen.
- Ein Experte erklärt, was die Neuerung bedeutet und wie man damit umgehen sollte.
Seit Elon Musk das damalige Twitter gekauft hat, bleibt kaum ein Stein auf dem anderen. Sogar den Namen der Plattform änderte der US-Milliardär. Seit dem vergangenen Jahr heisst Twitter bekanntlich X.
Doch damit war die Erneuerung längst nicht abgeschlossen. Erst kürzlich kam nun eine weitere Änderung hinzu, die für grosse Diskussionen sorgte. Die Likes sind nämlich nicht mehr öffentlich einsehbar.
Palästina-User behauptet: Israel likte seinen Post
Sprich: Man sieht zwar noch, wie viele Likes ein Post hat, aber nicht mehr, wem genau ein bestimmter Beitrag gefällt. Die Ausnahme sind die eigenen Posts. Da erhält man immer noch dieselben Like-Benachrichtigungen und kann sehen, wer den Beitrag gelikt hat.
Seither teilen verschiedene X-User immer wieder Bildschirmaufnahmen, auf denen sie zeigen, wer angeblich ihren Post gelikt hat. Brisant: Ein propalästinensischer Account behauptet so beispielsweise, Israel habe einen seiner kritischen Posts mit einer Gefällt-mir-Angabe markiert.
Konkret steht darin: «Geht es nur mir so, oder verspürt ihr manchmal den Drang, palästinensische Babys mit Luftangriffen in Stücke zu reissen?» Hintergrund des zynischen Posts ist der wiederkehrende Vorwurf, dass Israel angeblich absichtlich Zivilisten töten würde.
Das Like scheint auf den ersten Blick unwahrscheinlich. Zumal so ein Screenshot oder ein Screen-Recording mit den heutigen Mitteln relativ einfach zu fälschen sein dürfte. Jetzt kann man aber eben als Dritt-User nicht mehr schnell bei den Likes nachschauen, ob die Behauptung stimmt. Besteht durch das Verbergen der Likes also mehr Fake-News-Gefahr?
Experte: «Die Hemmschwelle sinkt»
Medienexperte Patric Raemy von der Universität Freiburg betont zunächst, dass soziale Medien ohnehin oft ein ziemlich «intransparenter Raum» seien. Er führt aus: «Die versteckten Likes sind ein weiteres Puzzleteil, das nun dazukommt.»
Die Neuerung könnte die Plattform anfälliger für Manipulationen machen. Ein Post stehe möglicherweise plötzlich mit vielen Likes da, die aber gar nicht von echten Nutzern kommen. Raemy erklärt: «Die Accounts, die Likes verteilen, könnten solche sein, die nur damit beauftragt wurden.» Welche Accounts hinter einer Gefällt-mir-Ansammlung stecken, lässt sich ja jetzt nicht mehr überprüfen.
Raemy glaubt auch, dass die Änderung das Verhalten einzelner Nutzer beeinflussen wird. «Man likt anonym vielleicht eher etwas, was man sonst nicht liken würde. Die Hemmschwelle sinkt.»
Der Experte betont, dass die Folgen nicht unbedingt negativ sein müssen. In weniger freien Ländern könne man seine Meinung nun besser ausdrücken, so Raemy. «Man kann etwas liken, ohne gleich Angst vor politischer Verfolgung haben zu müssen.»
Likes sagen nichts über Relevanz oder Qualität aus
Wie sollte man also mit der Neuerung auf X umgehen? Wichtig sei, dass man überhaupt über die Änderung Bescheid wisse. Raemy sagt: «Wenn man die Grundfunktionen kennt und weiss, was möglich ist, kann man Information besser kritisch einschätzen.»
Das betrifft einerseits die Erkennung von möglichen Fälschungen, andererseits aber auch die Einordnung von Like-Zahlen. «Eine relativ hohe Zahl von Likes heisst nicht, dass eine Mehrheit oder gar alle Leute zustimmen.» Denn nicht alle seien überhaupt in den sozialen Medien aktiv, hätten den Post gesehen oder sich dazu bewogen, den Post zu bewerten. Zudem ist wie gesagt oft undurchsichtig, wie die Likes zustande kommen.

Wichtig ist für Raemy auch anzumerken, dass viele Likes einen Post nicht automatisch relevanter machen. «Viele Likes bedeuten, dass viele Leute einem Post zustimmen oder Gefallen daran finden. Das heisst aber weder, dass ein Post wahr ist, noch, dass er gut oder relevant ist.»
Heisst aufs Beispiel des Pro-Palästina-Users bezogen: Wenn man weiss, dass es die Neuerung bei den Likes gibt und dass Bildschirmaufnahmen gefälscht werden können, kann man die Behauptung auch hinterfragen. Und ob der Post dann inhaltlich stimmt oder man derselben Meinung sein soll, ist dann nochmals eine ganz andere Frage.