Wahlkampf

Satan und Kannibalismus: Brasiliens schmutziger Wahlkampf

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Brasilien,

Vor der Stichwahl um das Präsidentenamt in Brasilien gehen die Angriffe im Wahlkampf weiter unter die Gürtellinie. Die digitalen Armeen von Bolsonaro und Lula überziehen die Brasilianer mit Fake News.

Unterstützer des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro nehmen an einer Wahlkampfveranstaltung teil.
Unterstützer des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro nehmen an einer Wahlkampfveranstaltung teil. - Silvia Izquierdo/AP/dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Kurz vor der Präsidentenwahl in Brasilien scheinen alle Hemmungen zu fallen: Das Team des rechten Amtsinhabers Jair Bolsonaro vergleicht dessen linken Herausforderer Luiz Inácio Lula da Silva mit dem Teufel und rückt ihn in die Nähe eines mächtigen Verbrechersyndikats.

Lulas Wahlkämpfer keilen zurück und stellen den Staatschef als Kannibalen und Pädophilen dar.

Lula hatte die erste Runde der Präsidentenwahl in dem grössten Land in Lateinamerika am 2. Oktober überraschend knapp vor Bolsonaro gewonnen. Vor der Stichwahl am Sonntag ist das Rennen völlig offen – und beide Kandidaten kämpfen derzeit mit fast allen Mitteln um jede Stimme. Im Endspurt sind die Angriffe in einem ohnehin schon erbitterten Wahlkampf noch schmutziger geworden. Lulas Team reagiere auf Bolsonaros Taktik inzwischen mit einer ähnlichen Strategie, sagt Professor Carlos Melo von der Insper-Hochschule in São Paulo. «Es ist nur natürlich, dass in solch einem Krieg am Ende alle mitmachen.»

Politik und soziale Medien

Die Stimmung im Land ist aufgeheizt, die Bevölkerung gespalten. Die Risse gehen durch Familien, Freundesgruppen und Nachbarschaften. «Wir vermeiden das Thema Politik, um weiter gut miteinander auszukommen», sagt etwa die Bolsonaro-Anhängerin Claudia Pizarro Motta Barrozo. Als sie und ihr Sohn Diego doch einmal darüber sprechen, entsteht schnell eine hitzige Debatte. Der Lula-Wähler sagt: «Ich habe es mir zwar schon gedacht, aber ich bin jetzt wirklich schockiert, zu hören, welche Positionen meine Mutter vertritt.» Ihre Informationen bezieht Motta vor allem aus WhatsApp-Gruppen für Bolsonaro-Anhänger.

Soziale Medien sind in Brasilien sehr wichtig, viele Menschen beziehen ihre Informationen über Politik ausschliesslich dort. In den sozialen Netzwerken geht es aber nicht um politische Ziele oder Regierungspläne der Kandidaten, sondern um Anschuldigungen und Verschwörungstheorien, um Moral, Glaube und Sex. «Die Reichweite von Fake News ist grösser ist als die von realen Informationen und Lügen scheinen mehr Interaktionen zu generieren als Fakten», sagt die Leiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung in Brasilien, Anja Czymmeck.

Je näher die Wahl rückt, desto heftiger wird das mediale Trommelfeuer. Gegen die Schlammschlacht im Internet wirken die TV-Debatten, in denen Bolsonaro und Lula sich mit Vorwürfen überziehen und gegenseitig als Lügner bezeichnen, schon fast gesittet. Durch die immer bizarreren Vorwürfe in den sozialen Netzwerken sieht sich Lula etwa dazu genötigt, öffentlich klarzustellen, er sei keinen Pakt mit dem Teufel eingegangen.

Bolsonaro wiederum sprach in einem Interview von der angeblichen Anziehung zwischen ihm und venezolanischen Teenagern, die er für Prostituierte hielt – es folgte ein Sturm der Entrüstung. Eigentlich wollte der rechte Staatschef wohl davor warnen, Brasilien könnte im Falle eines Wahlsiegs von Lula das gleiche Schicksal drohen wie dem sozialistischen Krisenstaat Venezuela. Doch das ging nach hinten los: Die Lula-Seite verbreitete das Video genüsslich im Internet und Bolsonaro musste schliesslich beteuern, er sei kein Pädophiler.

Schmutziger Wahlkampf

Die Themen Sex, Gewalt und Gender gehören eigentlich zu den Klassikern im Waffenarsenal von Bolonaros Internet-Trollen. Sein Sohn Carlos orchestriert den Info-Krieg in den sozialen Netzwerken und stützt sich dabei auf die Anhänger des Präsidenten, aber auch auf Bots. Die Hälfte der Retweets zur Unterstützung Bolsonaros am ersten offiziellen Wahlkampftag im August stammten von automatisierter Software, stellten Wissenschaftler fest. Bei Lula waren es etwa 25 Prozent.

«Damit soll die öffentliche Meinung getäuscht werden, um bestimmte Personen zu diskreditieren oder gut da stehen zu lassen», sagt Karina Santos vom Institut für Technik und Gesellschaft in Rio de Janeiro. «Das kann sich direkt auf die Wahlentscheidung auswirken, was besorgniserregend ist.» Experten befürchten, Bolsonaro könnte seine digitale Armee auch einsetzen, um das Ergebnis bei einer knappen Niederlage in Frage zu stellen.

Ex-Präsident Lula stellt sich hingegen als Retter der Demokratie dar. Den schmutzigen Teil der Wahlkampagne überlässt er seinem Mann fürs Grobe. Das Team um den Abgeordneten Andre Janones, der auf Instagram zwei Millionen Follower hat, streut immer wieder zum Teil Jahre alte Videos, die Bolsonaro in ein schlechtes Licht rücken. Ein Video soll den Präsidenten bei den Freimaurern zeigen, in einem Ausschnitt aus einem Interview mit der «New York Times» erzählt Bolsonaro wiederum, er hätte fast einen Indigenen gegessen.

Den wildesten Auswüchsen der Schlammschlacht im Internet will die Justiz jetzt einen Riegel vorschieben. Das Oberste Wahlgericht kann anordnen, dass soziale Netzwerke und Wahlkampfteams «Fake News» innerhalb von zwei Stunden entfernen müssen. Anhänger von Bolsonaro werten das als Angriff auf die Meinungsfreiheit und protestierten zuletzt mit zugeklebten Mündern gegen die angebliche Zensur. Doch selbst wenn einige Falschinformationen tatsächlich gelöscht werden: Kurz vor der entscheidenden Wahl in Brasilien scheint die Flut aus Hass, Verleumdung und Verschwörungstheorien im Netz nicht abzuebben.

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