Ukraine will mehr Druck auf Russland - Merkel nicht
Das Wichtigste in Kürze
- Bundeskanzlerin Angela Merkel will den Druck auf Russland wegen der Ukraine-Krise zunächst nicht erhöhen.
Beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ging sie am Dienstag nicht auf dessen Forderung nach einer Ausweitung der Wirtschaftssanktionen ein.
Einig waren sich die beiden in dem Willen, den seit vielen Monaten festgefahrenen Friedensprozess für die zwischen prorussischen Separatisten und Regierungstruppen umkämpfte Ostukraine wieder in Gang zu bringen.
Beim Empfang Selenskyjs mit militärischen Ehren erlitt Merkel bei der Nationalhymne einen Zitteranfall, erklärte aber bei der Pressekonferenz, dass es ihr wieder gut gehe. «Ich hab inzwischen mindestens drei Gläser Wasser getrunken, das hat offensichtlich gefehlt.»
Selenskyj besuchte Berlin nur einen Monat nach seiner Vereidigung. Schon vor seiner Ankunft in Deutschland forderte er in der «Bild»-Zeitung, den Druck auf Russland wegen der festgefahrenen Situation in der Ostukraine zu erhöhen. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel wiederholte er seine Forderung. «Wenn wir sehen, dass dieses Instrument nicht ausreichend ist, dann sollten weitere Instrumente gefunden werden.»
Merkel sagte dagegen, dass es jetzt um eine Verlängerung der bestehenden Strafmassnahmen gehe. «Das ist auch der Weg, den wir jetzt beim Europäischen Rat beschreiten werden», sagte sie.
Die EU hatte 2014 wegen Moskaus Unterstützung für Separatisten in der Ostukraine und der Einverleibung der ukrainischen Halbinsel Krim scharfe Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt. Beim EU-Gipfel in Brüssel am Donnerstag und Freitag sollen die Handels- und Investitionsbeschränkungen zum neunten Mal verlängert werden.
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hatte vor einer Woche ein Ende der Sanktionen gefordert und damit für Unmut in der eigenen Partei gesorgt. Selenskyj sagte an die Gegner der Sanktionen gerichtet: «Ich hoffe, dass Sie mich hören. Wir haben diesen Krieg nicht angefangen. Aber wir hoffen, dass wir ihn so schnell wie möglich beenden können.» Seine Regierung wolle nicht, dass die europäischen Partner unter diesen Sanktionen leiden würden, «aber das ist der einzige Weg, ohne Blutvergiessen zu einer Beendigung dieses Konflikts zu kommen».
Merkel und Selenskyj zeigten sich aber einig, dass der Friedensprozess für die Ostukraine nach Monaten des Stillstands wieder in Gang gebracht werden müsse. Deutschland und Frankreich vermitteln seit fünf Jahren weitgehend ergebnislos zwischen Russland und der Ukraine, um das Minsker Friedensabkommen von 2015 umzusetzen. Seit drei Jahren fanden aber keine Gipfeltreffen mehr in diesem Viererformat statt, seit einem Jahr kamen auch die Aussenminister nicht mehr zusammen.
Am 13. Juli soll es nun zumindest Vorbesprechungen der Berater der Staats- und Regierungschefs geben. «Deutschland ist jedenfalls bereit, seine gesamte Kraft hier einzubringen», sagte Merkel.
Im Streit um die deutsch-russische Ostseepipeline Nord Stream 2 gab es keine Annäherung. Selenskyj betonte, dass man dabei «diametral» auseinander liege. Die Ukraine ist für einen Stopp des Pipeline-Projekts, das auch von den USA und vor allem von osteuropäischen EU-Staaten kritisiert wird, die eine zu grosse Abhängigkeit von Russland im Energiesektor befürchten. Deutschland sieht darin dagegen ein rein wirtschaftliches Projekt, dass die Energieversorgung auf eine breitere Basis stellen soll.
Der frühere Komiker Selenskyj hatte Mitte Mai Petro Poroschenko als Staatsoberhaupt abgelöst. Vor seinem Besuch in Berlin machte er in Paris Station und war in der vergangenen Woche zudem bereits in Brüssel. Im ukrainischen Wahlkampf war Merkel einseitige Parteinahme für Poroschenko vorgeworfen worden, weil sie ihn eine Woche vor der Stichwahl in Berlin empfangen hatte - Selenskyj aber nicht.
Der neue ukrainische Präsident war da am Dienstag aber nicht nachtragend: «Das ist ja ihre Angelegenheit, ich verstehe das so, dass das normal ist. Aber auf höchster Ebene trifft sich Frau Bundeskanzlerin heute mit dem Präsidenten der Ukraine.»
Selenskyj traf neben Merkel, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer überraschend auch Grünen-Chef Robert Habeck. Er war der erste «Staatsbesucher» in der Parteizentrale, seitdem Habeck vor eineinhalb Jahren zusammen mit Annalena Baerbock an die Spitze der Grünen gewählt wurde. Nach dem Gespräch kritisierte Habeck, dass der russische Präsident Wladimir Putin in der Ukraine keinerlei Friedenswillen erkennen lasse. «Die verhängten EU-Sanktionen müssen deshalb so lange aufrechterhalten werden, wie die Gründe dafür bestehen», sagte er.