Apps und Holzkisten sollen gegen Handysucht helfen
Das Trend-Weihnachtsgeschenk 2019 ist eine einfache Kiste – jedenfalls in Schweden und wenn es nach dem Beratungs- und Forschungsunternehmen HUI Research geht.
Das Wichtigste in Kürze
- Vielen Menschen fällt es schwer, sich überhaupt noch vom Smartphone zu lösen.
- Die Not macht erfinderisch: Holzkisten, Attrappen und Apps sollen helfen.
- Experten raten jedoch von Letzteren ab.
In die «Mobile Box» können Handynutzer ihr Smartphone legen, wenn sie eine digitale Auszeit brauchen. «Es geht auch um das Konzept und nicht nur um die Box selbst», erklärt Erik Jonsson von HUI Research.
HUI forscht unter anderem im Bereich Einzelhandel und kürt seit rund 30 Jahren das Weihnachtsgeschenk des Jahres. Die Mobile Box stehe für die aktuelle Zeit. Der bewusstere Umgang mit dem Smartphone stosse in Schweden auf wachsendes Interesse, sagt Jonsson.
Auch der Münchner Trendforscher Ulrich Köhler sieht nach eigener Aussage hier einen Trend. «Es ist allerdings so, dass da aktuell vielmehr der Wunsch ist, sich da einzuschränken, eine genauere Übersicht zu haben, als dass das tatsächlich in gut messbarer Zahl schon passiert.»
Kaufen oder selber basteln
Man könne die Box kaufen, selbst bauen oder eine bereits vorhandene Kiste umfunktionieren, heisst es in einer Mitteilung von HUI. Tatsächlich finden sich im Internet verschiedenste Ausführungen: vom hölzernen Design-Stück mit und ohne Loch für das Ladekabel bis hin zum transparenten Kunststoffbehälter mit Zeitschloss. Menschen mit lästigen Gewohnheiten können darin Süssigkeiten, Zigaretten oder eben ihr Handy für eine bestimmte Zeit einsperren.
Auch Gastronomen haben die Handyboxen für sich entdeckt. Im New Yorker Restaurant «Hearth» können Gäste ihre Handys in Zigarrenkisten verbannen, die Kaffeehauskette «Le Pain Quotidien» spendierte in einer Aktion schon einmal denjenigen, die ihr Handy in einer Holzkiste am Tisch lagerten, ein kostenloses Dessert.
Der Fastfood-Gigant McDonald's liess der Website «Mashable» zufolge in einer Filiale in Singapur sogar Handy-Schliessfächer aufstellen, um vor allem Kinder vom Display wegzulocken.
Apps als Hilfsmittel?
«Im Grunde ist das eine sehr harte Methode», sagt Michael Link vom Computermagazin «c't» mit Blick auf die Boxen. Modernere Smartphones verfügten schon über Funktionen, mit denen man einen Überblick über die eigene Nutzungsdauer des Handys und einzelner Apps gewinnen kann. Bei Geräten von Apple ist das die Funktion, bei einigen Android-Geräten die Funktion.
Damit können Nutzer auch die Verwendung bestimmter Apps zeitlich einschränken. Hinzu kommen schon länger verfügbare Einstellungsmöglichkeiten wie etwa die «Nicht Stören»-Funktion.
Von speziellen Apps, die dabei helfen sollen, das Handy bewusster zu benutzen, rät Link dagegen ab. Die entpuppten sich allzu oft nur als Datensammler. Solche Anwendungen versuchen etwa mit spielerischen Anreizen Nutzer dazu zu bewegen, ihr Smartphone für eine Zeit lang wegzulegen oder schränken Benachrichtigungen ein.
Emotional abhängig und überfordert?
Aber wozu braucht es überhaupt diese Hilfsmittel? Warum legen Handy-Nutzer ihre Smartphones nicht einfach beiseite oder schalten sie aus? Laut Trendforscher Köhler sind wir emotional von der komplexen Technologie überfordert.
Die immer neuen Updates, die Bestätigungen mit einem Like, mit einem Klick, führten zwar zur Ausschüttung von Glückshormonen, aber auch zu einer Abhängigkeit und langfristig zur Abstumpfung und Niedergeschlagenheit.
Für besonders harte Fälle gibt es im Internet sogar Handyattrappen. Null Megapixel, null Gigabyte, kein Update – es sei das am wenigsten entwickelte Telefon aller Zeiten, heisst es auf der zugehörigen Website. Die Idee: Wenn Handy-Süchtige reflexartig zur Attrappe greifen, führt der Griff nicht zu den Ablenkungen eines echten Smartphones.
Trotz der Gefahren übermässiger Nutzung warnt Trendforscher Ulrich Köhler vor Rufen nach einer Komplettentsorgung des Smartphones. Auch die Zukunft werde massgeblich von digitalen Technologie geprägt sein. «Die Herausforderung besteht einfach darin, sie nicht komplett das Leben diktieren zu lassen, sondern sie zu nutzen, um unser Leben zu verbessern.»