Berlin: Demonstranten stürmen durch Absperrung auf Reichstagstreppe

Keystone-SDA
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Deutschland,

Demonstranten gegen die staatliche Corona-Politik haben am Samstagabend eine Absperrung am Reichstagsgebäude in Berlin durchbrochen. Politiker sind fassungslos.

gegen Corona-Massnahmen
Teilnehmer einer Kundgebung gegen die Corona-Massnahmen stehen vor dem Reichstag. - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Corona-Leugner sind am Samstagabend auf die Berliner Reichtags-Treppe gestürmt.
  • Mehrere Politiker äusserten sich bestürzt über die Ereignisse vor dem Reichstag.

Auf einer Grosskundgebung an der Siegessäule forderte der Initiator Michael Ballweg von der Initiative Querdenken, alle Corona-Gesetze aufzuheben. Auch müsse die Bundesregierung sofort zurücktreten, sagte er unter grossem Beifall.

Nachdem Demonstranten auf die Treppe des Reichstags gestürmt waren, setzte die Polizei Pfefferspray ein, es kam zu Rangeleien. Am Reichstagsgebäude hatte es zuvor eine Kundgebung gegeben.

Bei Demonstranten waren auch die von Reichsbürgern verwendeten schwarz-weiss-roten Reichsflaggen zu sehen. Die Polizei löste die Demo dann auf. Einsatzkräfte räumten den Platz vor dem Reichstagsgebäude und schoben die Demonstranten weg.

Videos, die im Internet kursieren, zeigen, wie die Menschen direkt vor der Tür des Reichstags stehen. Nur drei Polizisten standen ihnen noch im Weg.

Polizeisprecher Thilo Cablitz erklärte dazu: «Wir können nicht immer überall präsent sein, genau diese Lücke wurde genutzt, um hier die Absperrung zu übersteigen, zu durchbrechen, um dann auf die Treppe vor dem Reichstag zu kommen.»

Politiker äussern sich bestürzt

Mehrere Politiker äusserten sich bestürzt über die Ereignisse vor dem Reichstag. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte der «Bild am Sonntag»: «Meinungsvielfalt ist ein Markenzeichen einer gesunden Gesellschaft. Die Versammlungsfreiheit hat aber dort ihre Grenzen, wo staatliche Regeln mit Füssen getreten werden.»

Und weiter: «Das Reichstagsgebäude ist die Wirkungsstätte unseres Parlaments und damit das symbolische Zentrum unserer freiheitlichen Demokratie. Dass Chaoten und Extremisten es für ihre Zwecke missbrauchen, ist unerträglich. Ich danke der Polizei, dass sie uns heute schnell und konsequent davor bewahrt hat. Der Staat muss gegenüber solchen Leuten mit null Toleranz und konsequenter Härte durchgreifen.»

Corona-Demo
Der deutsche Aussenminister Heiko Maas zeigte sich «beschämt» über Reichsflaggen vor dem Parlament. - Twitter

Aussenminister Heiko Maas (SPD) twitterte: «Alle haben Recht, über Umgang mit Corona zu streiten & natürlich für Ihre Meinung zu demonstrieren. Niemand sollte dafür Rechtsextremen hinterherlaufen, PolizistInnen gefährden & viele einem Infektionsrisiko aussetzen. Reichsflaggen vorm Parlament sind beschämend.»

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD) schrieb: «Unser Grundgesetz garantiert Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht. Es ist die Antwort auf das Scheitern der Weimarer Republik und den Schrecken der NS-Zeit. Nazisymbole, Reichsbürger- & Kaiserreichflaggen haben vor dem Deutschen Bundestag rein gar nichts verloren.»

Reichsflaggen machen «fassungslos»

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil erklärte in einer «Bild»-Sondersendung, er halte es für «völlig legitim, dass man gegen Politik demonstriert, dass man Fragen stellt, dass man auch Sachen kritisiert. Das gehört zur Demokratie dazu.»

Aber wenn er dann sehe, dass Reichsflaggen genutzt würden, dass man versuche, den Bundestag zu stürmen, wenn er sehe, dass dort Reichsbürger und Nazis mit anderen Demonstranten versuchten, in das Gebäude zu kommen, «dann macht mich das wütend, das macht mich fassungslos».

Protest gegen Corona-Massnahmen Berlin - Gegendemo
Teilnehmer einer Gegendemonstration einer Kundgebung gegen die Corona-Massnahmen stehen der Polizei gegenüber. - dpa

«Und die Gedanken sind natürlich zuerst bei den Sicherheitskräften dort. Und ich bin den Polizistinnen und Polizisten dankbar, das hat man in den Videos gesehen, die sich in den Weg gestellt haben, und die Schlimmeres verhindert haben.»

Der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz erklärte: «Teilnehmer einer Demonstration zu der auch AfD und NPD mobilisierten, haben versucht den Reichstag zu stürmen. Reichskriegsflaggen bestimmen das Bild vor dem Gebäude. #Sommer2020 Es ist einfach nur ekelhaft und zum schämen.»

Rund 38'000 Menschen an Corona-Demos

Nach Schätzungen der Behörden nahmen an den Protesten insgesamt rund 38 000 Menschen teil. Wie Innensenator Andreas Geisel (SPD) abends berichtete, wurden über den Tag verteilt rund 300 Menschen festgenommen, allein vor der russischen Botschaft etwa 200.

Dort flogen unter anderem aus einer Menge von rund 3000 sogenannten Reichsbürgern und Rechtsextremisten Steine und Flaschen auf die Polizei, wie er sagte.

Laut Polizei gab es dort auch Gefangenenbefreiungen. Geisel bezeichnete die Ereignisse als vorhersehbar. «Es war erwartbar, was heute passiert ist», sagte er am Samstagabend in den ARD-«Tagesthemen».

Festgenommen wurde vor der russischen Botschaft auch der Vegan-Koch Attila Hildmann, der sich selbst «ultrarechts» und einen Verschwörungsprediger nennt. Zu den Hintergründen der Festnahme Hildmannns äusserte sich Geisel nicht.

Attila Hildmann
Die Polizei nimmt Vegan-Koch Attila Hildmann in Gewahrsam bei einer Demonstration gegen die Corona-Massnahmen. - dpa

Im Laufe des Tages wurden auch Strassen vorübergehend blockiert, Absperrungen durchbrochen und ein Baucontainer angezündet, wie die Polizei weiter mitteilte. Sie war mit rund 3000 Beamten im Einsatz.

Initiative Querdenken hatte zum Protest aufgerufen

Aufgerufen zum Protest hatte die Stuttgarter Initiative Querdenken 711. Sie hatte mit rund 22'000 Teilnehmern gerechnet, es kamen aber deutlich mehr. Es gab auch Gegenproteste, unter anderem aus der linken Szene.

Der US-Rechtsanwalt, Umweltaktivist und Impfgegner Robert Francis Kennedy junior, Neffe des früheren US-Präsidenten John F. Kennedy, wandte sich in einer Rede auf der Kundgebung gegen den Aufbau des neuen 5G-Mobilfunknetzes, warnte vor einer Totalüberwachung und attackierte in diesem Zusammenhang unter anderem Microsoft-Gründer Bill Gates.

Demo Berlin
Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Massnahmen stehen auf der Straße des 17. Juni und um die Siegessäule. - dpa

Einen geplanten Demonstrationszug am Mittag hatte die Polizei nicht starten lassen, weil die Mindestabstände zum Infektionsschutz nicht eingehalten wurden.

Nach längeren Verhandlungen mit den Veranstaltern erklärte die Polizei, sie löse die Versammlung auf. Es bleibe «leider keine andere Möglichkeit». Danach trug die Polizei Demonstranten weg, die auf der Strasse sitzen blieben und nicht freiwillig gingen.

Teilnehmer forderten Rücktritt der Bundesregierung

Auf Transparenten forderten Teilnehmer den Rücktritt der Bundesregierung sowie ein Ende der Schutzauflagen und Alltagsbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie.

Auf Plakaten stand «Maulkorb-Demokratie - ohne uns», «Stoppt den Corona-Wahnsinn» und «Corona-Diktatur beenden». Immer wieder skandierte die Menge «Widerstand» und «Wir sind das Volk».

Protest gegen Corona-Massnahmen Berlin
Teilnehmer einer Kundgebung gegen die Corona-Massnahmen stehen vor dem Berliner Reichstag. - dpa

Auch AfD-Politiker und andere rechte Gruppen hatten zur Teilnahme aufgerufen. Am Brandenburger Tor und anderen Orten waren auch Flaggen mit Reichsadler, T-Shirts in Frakturschrift und andere Symbole von Rechtsextremisten zu sehen.

Insgesamt versammelte sich aber auf der Friedrichstrasse, wo die Demo starten sollte, und später an der Siegessäule eine breite Mischung von Bürgern, darunter Junge und Alte sowie auch Familien mit Kindern.

Berliner Behörden wollten Versammlungen verbieten

Eigentlich wollten die Berliner Behörden die Versammlungen verbieten, sie unterlagen jedoch vor Gerichten. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin gegen das Verbot wurde in der Nacht zum Samstag bekannt.

Als Grund für die Verbotsverfügung hatte die Polizei angeführt, dass durch die Ansammlung Zehntausender Menschen - oft ohne Maske und Abstand - ein zu hohes Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung entstehe.

Protest gegen Corona-Massnahmen Berlin
Polizisten stehen bei einem Protest gegen die Corona-Massnahmen vor dem Reichstagsgebäude. Demonstranten gegen die staatliche Corona-Politik haben am Samstagabend eine Absperrung am Reichstagsgebäude in Berlin durchbrochen. - dpa

Das habe bereits die Demonstration gegen die Corona-Politik am 1. August in Berlin gezeigt, bei der die meisten Demonstranten bewusst Hygieneregeln ignoriert hätten.

Innerhalb eines Tages meldeten die Gesundheitsämter in Deutschland nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) vom frühen Samstagmorgen 1479 neue Corona-Infektionen.

Am Samstag vor einer Woche war mit 2034 neuen Fällen erstmals seit Ende April die 2000er-Marke überschritten worden. Der Höhepunkt bei den täglich gemeldeten Neuansteckungen hatte Ende März/Anfang April bei mehr als 6000 gelegen.

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