Mordfall Lübcke am BGH - Familie hofft auf «ganze Wahrheit»
Der CDU-Politiker Lübcke wurde vor rund drei Jahren nachts auf seiner Terrasse erschossen. Ein Rechtsextremist hat die Tat gestanden - trotzdem bleiben Fragen. Jetzt hat der BGH sich mit dem Fall befasst.
Das Wichtigste in Kürze
- Es ist der emotionalste Moment in der Verhandlung am Bundesgerichtshof (BGH) zum Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke: Als die Juristen mit ihren Plädoyers fertig sind, ergreift Irmgard Braun-Lübcke im Karlsruher Verhandlungssaal das Wort.
«Für uns ist es wichtig, dass wir die ganze Wahrheit erfahren», sagt die Witwe im Rückblick auf den Strafprozess am Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt.
Man hört ihr an, wie schwer ihr der Auftritt fällt. «Das jetzige Urteil lässt noch einige Fragen offen, die wir gerne geklärt hätten.» Dabei gehe es vor allem um die letzten Minuten im Leben ihres Mannes: Gab es noch einen Wortwechsel oder wurde er aus dem Hinterhalt erschossen?
Der CDU-Politiker war am 1. Juni 2019 spätabends zu Hause auf seiner Terrasse aus nächster Nähe mit einem Kopfschuss getötet worden. Als Mörder verurteilte das OLG den heute 48 Jahre alten Rechtsextremisten Stephan Ernst. Er habe seinen Fremdenhass zunehmend auf Lübcke projiziert, seit sich dieser Jahre zuvor auf einer Bürgerversammlung für die Aufnahme von Flüchtlingen stark gemacht hatte.
Dafür soll Ernst eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüssen. Das OLG stellte im Januar 2021 auch die besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren rechtlich zwar möglich, in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen.
Welche Rolle spielte Markus H.?
Den zweiten Angeklagten Markus H., einen Freund von Ernst aus der rechten Szene, verurteilte das OLG zu einer Bewährungsstrafe wegen eines Waffendelikts - nicht aber wegen Beihilfe. Er kam schon im Oktober 2020 frei.
Die Familie Lübcke und die Bundesanwaltschaft gehen jedoch weiter davon aus, dass der heute 46-Jährige eine wesentlich zentralere Rolle spielte, Ernst bei seinem Vorhaben unterstützte und psychisch Beihilfe leistete. Er habe mit Ernst schiessen geübt und ihn in seinem Willen zur Tat bestärkt.
Ernst hatte seine Aussage mehrfach geändert und H. zeitweise beschuldigt, mit ihm bei Lübcke gewesen zu sein und - in einer Version - sogar die Waffe gehalten zu haben. Die Frankfurter Richter hielten das nicht für glaubhaft und sprachen H. in diesem Punkt frei.
Die Anklage machte vor dem dritten Strafsenat des BGH nun Lücken und Mängel in dem Urteil geltend. Das OLG erkläre etwa nicht plausibel, wie DNA von Ernst an Lübckes Hemd kam, sagte Nebenklageanwalt Holger Matt. «An dieser Stelle des Kerngeschehens ist ein grosses schwarzes Loch.» Auch habe das Gericht nicht stringent die Rolle von H. eingeordnet, sagte Bundesanwalt Johann Schmid.
H.s Verteidiger Björn Clemens räumte ein, dass an der rechten Gesinnung seines Mandanten kein Zweifel bestehe. «Aber das ist noch keine Beihilfe zum Mord.» Wenn jemand - wie Ernst - schon zur Tat entschlossen sei, könne auf ihn gar nicht mehr eingewirkt werden.
Ernsts Anwalt Mustafa Kaplan wiederum wendete sich etwa gegen den Vorbehalt einer Sicherungsverwahrung nach der Haftstrafe. Ernst habe gestanden, Reue gezeigt und sich bei der Familie entschuldigt. Sein Verteidiger hatte im Frankfurter Prozess auf eine Verurteilung wegen Totschlags plädiert. Letztlich gingen alle Seiten in Revision.
Das gilt auch für einen mitangeklagten Angriff auf einen irakischen Asylbewerber. Jemand hatte dem Mann 2016 ein Messer in den Rücken gestochen. Nach dem Mord an Lübcke war bei Ernst ein zum Dolch geschliffenes Messer gefunden worden, das als Tatwaffe in Betracht kommt. Allerdings stiessen die Ermittler auf einem USB-Stick auch auf einen Kaufbeleg für ein identisches Messer - von einem Tag wenige Wochen nach der Tat. Das OLG hatte unter anderem darauf den Freispruch gestützt. Bundesanwaltschaft und das Opfer als Nebenkläger glauben, dass Ernst den Beleg absichtlich zur Entlastung präpariert hat. Sie wollen erreichen, dass ihre Version genauer untersucht wird.
Prüfung auf Rechtsfehler
Ein Urteil will der Senat am 25. August sprechen. Tendenzen liess der Vorsitzende Richter Jürgen Schäfer nicht erkennen. Die obersten Strafrichterinnen und -richter prüfen das OLG-Urteil nur auf Rechtsfehler. Sie hören keine Zeugen, erheben keine Beweise.
Dirk Metz, Sprecher der Familie Lübcke, sagte nach der Verhandlung, die Angehörigen seien zuversichtlich, dass der Freispruch für Markus H. aufgehoben werden könnte. Insbesondere für die Witwe sei der Termin eine Herausforderung gewesen, die Anspannung habe man gespürt. «Das war für sie natürlich heute noch mal ein richtig schwerer Gang.»
Die Ermordung ihres Mannes, des Vaters ihrer beiden Söhne, des Opas ihrer vier Enkel, gehöre nun zu ihrem Leben, sagte Irmgard Braun-Lübcke in ihrem Statement. Die Familie müsse damit umgehen. Das gelinge mal mehr, mal weniger gut. «Mit diesem Mord ist nicht nur sein Leben zerstört worden, sondern auch unsere teilweise.»