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Brexit: Der Streit um Nordirland ist neu entbrannt

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Grossbritannien,

Den Frieden in Nordirland wahren - das war die vielleicht schwierigste Aufgabe beim britischen EU-Austritt. Mit äusserster Mühe fand man eine Lösung. Doch Grossbritannien dringt auf Änderungen. Die EU-Kommission ist nach einer schweren Panne in der Defensive.

Ein Graffiti in Belfast fordert: «Nein zur Seegrenze». Es geht um die problemlose Reise und Transporte zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs. Foto: Peter Morrison/AP/dpa
Ein Graffiti in Belfast fordert: «Nein zur Seegrenze». Es geht um die problemlose Reise und Transporte zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs. Foto: Peter Morrison/AP/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Jahrelang hat der Streit um den Status Nordirlands die Brexit-Verhandlungen bestimmt.

Doch wer glaubte, mit dem endgültigen Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union kehre endlich Ruhe ein, hat sich getäuscht.

Gut einen Monat nach Inkrafttreten des mühsam ausgehandelten Nordirland-Protokolls wird es schon wieder infrage gestellt. Denn aus britischer Sicht funktionieren die vereinbarten Sonderregeln für Nordirland nicht gut. Zu Jahresbeginn klafften Lücken in Supermarktregalen, weil Transporte aus dem übrigen Vereinigten Königreich in die britische Provinz nun kontrolliert werden müssen. Bürger und Unternehmen klagen über bürokratische Hürden, die probritischen Unionisten in Nordirland laufen Sturm. Und nun hat die EU-Kommission mit einem schrägen Manöver im Streit über Corona-Impfstoffe auch noch Öl ins Feuer gegossen.

Zeitweise sah es so aus, als nähme Brüssel Kontrollen an der Landgrenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland in Kauf, um Impfstoff-Exporte zu überwachen. Dabei war das Hauptziel des Nordirland-Protokolls, genau diese Kontrollen und eine feste Grenze zwischen den beiden Teilen der gemeinsamen Insel zu verhindern. Denn die könnten den zerbrechlichen Friedensprozess in Nordirland ins Wanken bringen, wo sich jahrzehntelang Befürworter einer Vereinigung mit Irland und die Anhänger der Union mit Grossbritannien einen blutigen Bürgerkrieg geliefert hatten.

Das Nordirland-Protokoll sieht vor, dass die Insel ein gemeinsamer Wirtschaftsraum bleibt und für Nordirland anders als im übrigen Vereinigten Königreich weiter Regeln von EU-Binnenmarkt und Zollunion gelten. Deshalb soll nun an den Häfen kontrolliert werden, wenn Ware übers Meer von Grossbritannien beispielsweise ins nordirische Belfast kommt. Damit entsteht eine Warengrenze zwischen Nordirland und dem übrigen Königreich.

Premierminister Boris Johnson hatte diese Tatsache lange abgestritten. Als es durch die Schwierigkeiten für den Handel offensichtlich wurde, sprach er zunächst von «Kinderkrankheiten». Doch vor wenigen Tagen kehrte er wieder in den alten Modus zurück. «Wir werden alles tun, was wir tun müssen (...), um sicherzustellen, dass es keine (Handels)-Barriere in der Irischen See gibt», sagte er im Parlament in London. Und das, obwohl die geltende Lösung auf seinen ausdrücklichen Wunsch in das EU-Austrittsabkommen eingefügt worden war. Die Alternative, der sogenannte Backstop, hätte auf Jahre hinaus eine enge Bindung ganz Grossbritanniens an die EU bedeutet. Für Johnson und seine Brexit-Hardliner inakzeptabel.

Die Ausgangslage war also schon höchst kompliziert und für Johnson innenpolitisch heikel, denn die Unionisten in Nordirland waren von Anfang an unzufrieden mit dem Protokoll. Da kam dem britischen Premier die Steilvorlage aus Brüssel nicht unrecht.

Im Streit um Impfstoff des britisch-schwedischen Konzerns Astrazeneca, kündigte Brüssel an, Exporte von Vakzinen künftig überwachen zu wollen. Das gelte auch für die innerirische Grenze, hiess es in einem Dokument, das sich auf einen Notfallmechanismus im Nordirland-Protokoll bezog, den Artikel 16. Nach Protest aus London, Belfast und Dublin, ruderte die Kommission zwar schnell zurück, doch der Schaden war bereits angerichtet.

Johnsons treuer Gehilfe aus Tagen des Brexit-Referendums, Staatsminister Michael Gove, setzte ein brisantes Schreiben an den zuständigen EU-Kommissionsvize Maros Sefcovic auf. Gove forderte, die für bis zu sechs Monate vorgesehenen Übergangsfristen bis 2023 zu verlängern, und weitere Erleichterungen. «Falls es nicht möglich sein sollte, sich auf ein Vorgehen zu einigen, das der von uns vorgeschlagenen Weise entspricht, wird Grossbritannien alle ihm zu Verfügung stehenden Mittel in Erwägung ziehen», schrieb Gove. Die Drohung dahinter: London könnte ebenfalls den Notfallmechanismus von Artikel 16 bemühen und die Kontrollen auf Dauer aussetzen.

Das umstrittene Manöver der Kommission gilt auch in Brüssel als Debakel. Nach einigem Hin und Her übernahm Kommissionschefin Ursula von der Leyen dafür die Verantwortung und gab sich zerknirscht. «Vorige Woche hätten wir nicht einmal darüber nachdenken dürfen, das Protokoll teilweise ausser Kraft zu setzen, ich bedaure das», sagte sie der «Süddeutschen Zeitung».

«Das war ein echtes Eigentor», sagt ein EU-Diplomat. Dass dies aber nun als Anlass genommen werden solle, das Nordirland-Protokoll insgesamt in Frage zu stellen, sei abwegig. Vielmehr sollte man «mit den Briten reden und einfordern, das Protokoll vollständig umzusetzen». Das nämlich habe die britische Regierung versäumt.

Verwaltung und Computersysteme in Nordirland seien nicht ausreichend für die Warenkontrollen vorbereitet worden. «Grossbritannien hat nichts getan, damit das für Unternehmen handhabbar wird», sagte der Diplomat. Und jetzt heisse es: «Seht her, es funktioniert nicht.»

Wie eine Lösung aussehen könnte, ist unklar. Eine längere Schonfrist scheint jedenfalls nicht im Sinne der EU-Kommission. Chefsprecher Eric Mamer wies darauf hin, dass Übergangsregeln «immer von zeitlich befristeter Natur sein sollen». Trotz der Panne will man sich offenbar von den Briten nun nicht den Schneid abkaufen lassen. Nur wird sich Johnson die Gelegenheit wohl nicht durch die Lappen gehen lassen, das ungeliebte Nordirland-Protokoll zumindest aufzuweichen. Für nächste Woche steht die nächste Krisensitzung mit der EU an.

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