Corona-Proteste in Frankreich: Mehr als Kritik an Pandemiepolitik
Frankreichs Regierung treibt die Impfzahlen in die Höhe, doch auch die Anzahl vehementer Kritiker geht in die Höhe.
Das Wichtigste in Kürze
- Frankreich weitet den Einsatz des Gesundheitspasses aus.
- Die neuen Corona-Massnahmen führen in Frankreich zu Massenprotesten.
- Allerdings sind dadurch auch die Impfzahlen in die Höhe geschossen.
Frankreichs Regierung will die Impfzahlen in die Höhe treiben und hat sich dabei womöglich verpokert. Denn neben Impfanmeldungen und gespritzten Dosen schiesst auch die Anzahl vehementer Kritiker in die Höhe. Mehr als 200'000 Menschen gingen zuletzt landesweit auf die Strasse, um gegen eine Impfpflicht für Gesundheitspersonal und eine breitere Nachweispflicht zu demonstrieren.
Am Donnerstag nahm das Gesetz zu den schärferen Hygienevorschriften im Verfassungsrat seine letzte Hürde. Das Gericht billigte die Regeln in grossen Zügen, lediglich einzelne Details liess es durchfallen. Die Grossproteste könnten trotzdem weitergehen.
Im Kampf gegen eine vierte Corona-Welle hatte Staatschef Emmanuel Macron Mitte Juli eine Impfpflicht für Personal im Gesundheitswesen und eine Ausweitung des sogenannten Gesundheitspasses angekündigt.
Beides stiess sofort auf heftige Kritik, wurde aber vom Parlament gebilligt. Grünes Licht gab es nun auch vom Verfassungsrat dafür, in Bars, Restaurants, Fernzügen und sogar teils in Krankenhäusern einen negativen Corona-Test, einen Impf- oder Genesungsnachweis zeigen zu müssen. Nach Willen der Regierung soll dies nun ab kommender Woche gelten.
Nicht nur Gesundheitspass sorgt für Proteste
Für viele Demonstranten geht das zu weit. Sie sehen in den neuen Vorschriften eine Einschränkung ihrer Freiheiten. Manche haben auch Angst vor langfristigen Impffolgen und fühlen sich von der Regierung zunehmend zur Immunisierung gedrängt. Sorgen, die Macron derzeit in Minivideos auf Instagram auszuräumen versucht.
Doch die Kritik geht noch weiter. «Es ist nicht nur der Gesundheitspass, den die Demonstranten in Frage stellen, sondern auch der als zu autoritär und polarisierend empfundene Regierungsstil Macrons», sagt der Politikwissenschaftler Jean-Yves Camus der Deutschen Presse-Agentur.
Auch der Protestforscher Johannes Becker sieht in der Coronapolitik nur einen Auslöser der Proteste. «Die Impfregeln waren zum Teil ungeheuerlich hart und das hat natürlich dazu geführt, dass das Feuer sich so schnell ausgebreitet hat», beschreibt Becker im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur die Entwicklung der vergangenen Wochen. «Aber die sozialen Probleme im Hintergrund wirken als Brandbeschleuniger für Fehler in der Pandemiepolitik.»
Tiefer Graben zwischen Arm und Reich
Denn die Schere zwischen Arm und Reich sei in den vergangenen Jahren weiter auseinandergegangen. Hinzu kämen die Probleme in den Vorstädten, die Nichtintegration von Migranten. Es sei gar nicht erst versucht worden, diese offenen Probleme zu lösen.
Mit dem Herbst will Frankreich die Impfpflicht kontrollieren und auch an den Schulen strengere Regeln für Nicht-Geimpfte einführen. Tests sollen dann kostenpflichtig sein, ungeimpftem Gesundheitspersonal drohen dann Lohnausfälle. «Die Gefahr für die Regierung ist, dass die Bewegung zum Schuljahresbeginn weitergeht», sagt Camus.
Im Frühjahr stehen Präsidentenwahlen an
Für Macron könnten anhaltende Proteste zu einem ernsthaften Problem werden. Immerhin stehen im Frühjahr Präsidentenwahlen an. Die Regionalwahlen Ende Juni hatten keinen grossen Rückhalt für den Staatschef in der Bevölkerung gezeigt. Camus vermutet, dass ein guter Teil der Demonstranten der Wahl gleich komplett fern bleiben könnte.
Anhaltende Proteste würden den Wahlkampf zudem durch eine Verschiebung der Themen stören. Für Becker ist der Vorwahlkampf aber auch ein Grund dafür, dass die Proteste weitergehen könnten. «Das Land ist in einem Umdenken.»
Bisher ist die Anti-Corona-Bewegung in der Unterzahl. Camus verweist auf die zahlreichen Menschen, die sich in Frankreich haben impfen lassen - mittlerweile etwa zwei Drittel der Bevölkerung.