Coronavirus: Die Krise Serbiens in vier Akten
Das Wichtigste in Kürze
- Serbien verzeichnet mittlerweile wieder hohe Neuinfektionszahlen.
- Die serbische Regierung vollzog während der Corona-Krise einen Zickzackkurs.
- Präsident Aleksandar Vučić geht gestärkt aus der Krise – auf Kosten der Demokratie.
Seit einigen Tagen muss sich Serbien den Vorwurf anhören, für Schweizer Fälle des Coronavirus verantwortlich zu sein. Jüngst stufte das BAG Serbien als Risikogebiet ein. Ein Blick auf die offizielle Statistik zeigt: Serbien vermeldet wieder hohe Neuinfektions-Zahlen.
Dabei hatte Serbien zu Beginn der Krise rigoros durchgegriffen und das Virus vermeintlich schnell unter Kontrolle bekommen. Doch die Lockerungs-Schritte kamen schnell und umfangreich. Nun muss sich die serbische Regierung weitere kritische Fragen gefallen lassen: Wurde der serbische Krisen-Kurs vom Wohlergehen des Volkes geleitet, oder steckte politisches Kalkül dahinter?
Erster Akt: Das Coronavirus ist harmlos
Seit 2017 ist Aleksandar Vučić Präsident Serbiens. Der ehemalige Informationsminister unter Slobodan Milošević führt seitdem mit der rechtskonservativen, nationalistischen Fortschrittspartei das Land.
In der Corona-Krise fuhr Vučićs Regierung einen Zickzackkurs: Wie der «Spiegel» berichtet, erachtete die Serbische Regierung Ende Februar das Coronavirus noch als harmlos. Vučić amüsierte sich an einer Pressekonferenz über die Aussage eines Arztes, das Virus sei das «lächerlichste Virus der Geschichte».
Zweiter Akt: Aleksandar Vučić präsentiert sich als starker Mann
Doch kurz darauf verhängte Vučić den Notstand. Dafür hätte er eigentlich die Unterstützung des Parlaments benötigt. Doch weil sich dieses aufgrund der geltenden 50-Personen-Regel nicht treffen konnte, entschied Vučić kurzerhand alleine.
Daraufhin wurden harte Massnahmen ergriffen: Eine rigorose Ausgangssperre ab 17.00 Uhr wurde eingeführt. Wer gegen die Quarantäneauflagen verstiess, wurde zu Gefängnisstrafen verurteilt: Laut «Spiegel» befanden sich Ende April deswegen hunderte Personen in Untersuchungshaft.
Dritter Akt: Wahlkampfparties trotz Coronavirus
Vučić nutzte die Gelegenheit, sich als starker Präsident zu präsentieren. Grund dafür war wohl nicht nur das Coronavirus: Am 21. Juni wurden die wegen dem Coronavirus verschobenen Parlamentswahlen nachgeholt. Die Durchführung der Wahlen wurden jedoch an die Bedingung geknüpft, dass die Bedrohung durch das Coronavirus unter Kontrolle war.
Dementsprechend begann die serbische Regierung bereits Anfang Juni mit einer umfassenden Lockerung. Die offiziellen Zahlen belegten, dass das Land den Kampf gegen das Virus gewonnen hatte. Berichte der regierungskritischen Plattform «BalkanInsight» deuten jedoch darauf hin, dass die Zahlen nicht der Wahrheit entsprachen: In den Tagen vor der Wahl sollen es tatsächlich dreimal so viele Fälle gewesen sein, wie offiziell gemeldet.
Ungeachtet dessen wurden quasi sämtliche Massnahmen aufgehoben. Am 10. Juni versammelten sich bereits 20'000 Fans im zum Derby der Belgrader Fussballclubs. Auch Wahlkampfparties wurden an vielen Orten abgehalten: Videoaufnahmen belegen, wie der Politiker Rasim Ljajic ein Bad in der Menge genoss, als hätte es das Coronavirus nie gegeben.
Vierter Akt: Vučić baut autoritäre Machtposition aus
Die Regierung suggerierte ungeachtet des Coronavirus Normalität – und das Volk bedankte sich mit guten Wahlergebnissen: Die SNS um Aleksandar Vučić gewann die Wahlen vor zwei Wochen mit einem Stimmenanteil von 63 Prozent. Vor der Wahl hatte die Regierung angesichts des harten Durchgreifens und der schnellen Normalisierung an Zustimmung gewonnen.
Angesichts der Umstände boykottierten jedoch grosse Teile der Opposition die Wahlen: Viele Parteien warfen Vučić einen autoritären Regierungsstil vor und bezeichneten die Wahlen als unfair.
Der politische Zickzackkurs Serbiens hinterlässt den Eindruck einer Inszenierung: Als das Volk eine starke Hand forderte, wurde diese präsentiert. Ungeachtet epidemiologischer Gesichtspunkte wurde die Lockerung ebenfalls in Angriff genommen, als diese politische Vorteile für die Regierung bot.
Angesichts der autoritären Tendenzen ist das Aufnahmeverfahren Serbiens in die EU ins Stocken geraten. Stattdessen orientiert sich Vučić gemäss «Süddeutscher Zeitung» an Kräften, welche weniger Wert auf Demokratie legen – beispielsweise Russland und China. Auf der Strecke bleibt das Volk: Wie hoch die serbischen Corona-Zahlen tatsächlich sind, kann derzeit nicht beurteilt werden.