Coronavirus: So schlimm ist die Situation in Serbien wirklich
Das Wichtigste in Kürze
- Zahlreiche Schweizer Corona-Fälle werden auf Infektionen in Serbien zurückgeführt.
- Seit Kurzem schnellen die offiziellen Infektionszahlen in die Höhe.
- Nach Berichten kritischer Medien sollen die Zahlen noch deutlich höher liegen.
Immer wieder fällt bei neuen Infektionsherden der Begriff Serbien: Ob beim jüngsten Ausbruch in Graubünden oder bei Novak Djokovics Corona-Debakel nach einer Party in Belgrad: Immer wieder werden neue Infektionsherde mit Anlässen in Serbien in Verbindung gebracht. Man sehe «insbesondere eine Häufung bei Einreisenden aus Serbien im Moment», sagte Stefan Kuster, Corona-Verantwortlicher beim BAG, an einer Pressekonferenz.
Dem hielt der serbische Botschafter in der Schweiz, Goran Bradic, entgegen: «Die Lage in Serbien ist stabil», sagte er gegenüber Nau.ch. Die serbischen Zahlen zum Coronavirus sahen bis vor Kurzem tatsächlich sehr gut aus. Doch regierungskritische Quellen zweifeln an der Verlässlichkeit der offiziellen Zahlen.
Coronavirus: Zweite Welle kündigt sich in Serbien an
Betrachtet man den Verlauf der offiziellen Fallmeldungen, zeigt sich ein für Europa typisches Bild: Nach einem Höhepunkt Mitte April griffen die Massnahmen – vom Höchstwert am 16. April (445 Fälle) sanken die Fälle auf 18 am 2. Juni.
Doch anscheinend wurde in Serbien zu früh gelockert: Bereits am 1. Juni durften beispielsweise Fussballfans wieder ins Stadion – solange sie Sicherheitsabstand halten. Doch Bilder des Fussball-Derbys der Belgrader Stadtclubs vom 10. Juni belegen, dass die verbleibenden Massnahmen ignoriert wurden.
Der Alltag ist in Serbien wieder eingekehrt – nicht nur junge Menschen feiern wieder Parties: Wie «der Standard» berichtet, vernachlässigten auch die Politiker die Massnahmen: Mitte Juni wurde der serbische Politiker Rasim Ljajic beim Crowd-Surfing durch die Menge getragen.
Die Rechnung für die übereifrige Lockerung kam postwendend: Gestern Sonntag wurden offiziell 254 Neuinfektionen registriert – so viele wie seit Ende April nicht mehr.
Zweifel an den offiziellen Zahlen
Bekanntlich sind die Zahlenwerte zum Coronavirus mit Vorsicht zu geniessen: Sie sind ein Abbild der Realität, welches schnell verfälscht werden kann. Wie «BalkanInsider» berichtet, sollen die tatsächlichen Zahlen deutlich höher liegen.
Die News-Plattform verschaffte sich Zugriff zu ausführlichen Berichten der Regierung vom 19. März bis 1. Juni. Nach offiziellen Angaben starben in dem Zeitraum 244 Personen an Covid-19 – tatsächlich sollen es 639 Fälle gewesen sein.
Auch die Infektionszahlen sollen verfälscht worden sein: Zwischen dem 17. und 20. Juni sollen sich nach offiziellen Zahlen rund 90 Personen täglich angesteckt haben. Tatsächlich sollen es täglich mindestens 300 Personen gewesen sein.
Regierung profitiert von niedrigen Zahlen
Hinter den niedrigen offiziellen Zahlen könnte politisches Kalkül stecken: Am 21. Juni fanden in Serbien Wahlen statt. Zuvor hatte der serbische Präsident Aleksandar Vucic gesagt, es gebe keine Wahlen, solange das Land gegen das Coronavirus kämpfen müsse. Dies schreibt das «ORF».
Damit hatte die serbische Regierung gleich doppelten Grund, für gute Zahlen zu sorgen. Niedrige Zahlen ermöglichten die Wahl und sorgten für ein gutes Image: Die regierende SNS feierte einen Erdrutschsieg, nachdem die Opposition die Wahlen boykottiert hatte.
Zahlen hin oder her – die vielen Meldungen über aus Serbien importierte Infektionsherde scheinen plausibel zu sein. Stimmen die Zahlen von «BalkanInsider», könnte Stefan Kuster vom BAG recht behalten: Serbien dürfte mittlerweile zu den Hotspots des Coronavirus in Europa gehören.