Coronavirus: In Schweden wird die Pandemie-Debatte immer hitziger
In Schweden wird die Kritik am Sonderweg in Bezug zum Coronavirus immer lauter. Eine Gruppe geht nun im Netz hart mit den Verantwortlichen ins Gericht.
Das Wichtigste in Kürze
- Schweden hat in der Corona-Pandemie auf Lockdowns und scharfe Massnahmen verzichtet.
- Im Zusammenhang mit dem Virus starben im skandinavischen Land bisher über 12'400 Menschen.
- Auch der König Carl Gustaf kritisiert die Regierung.
Vertrauen in die Bevölkerung und Empfehlungen anstelle von Regeln, Verboten oder Lockdowns: Am schwedischen Sonderweg in Bezug zum Coronavirus scheiden sich schon lange die Geister. Zwar gelang es dem Land, die zweite Welle im Januar auch ohne Maskenpflicht deutlich abflachen zu lassen.
Mit über 12'400 Corona-Toten schneidet das 10-Millionen-Einwohner Land gerade im Vergleich mit den skandinavischen Nachbarn eher schlecht ab.
Als Sinnbild dieses Sonderweges gilt der Staatsepidemiologe Anders Tegnell. Zusammen mit Ministerpräsident Stefan Löfven pochte er im Sommer darauf, dass sich in Schweden eine Herdenimmunität aufgebaut hatte. So sollte dem Land eine zweite Corona-Welle erspart bleiben.
Sogar der König Carl Gustaf erhebt Vorwürfe
Bereits im Herbst musste Tegnell gestehen, dass es gerade in Altersheimen durch zu lockere Massnahmen zu massenhaftem Sterben gekommen war. Gemäss einer unabhängigen Untersuchungskommission gab es in den Altersheimen bis Ende November mehr als 3000 Tote. Sogar Schwedens König Carl Gustaf warf der Regierung Löfvens Scheitern vor.
Trotz zweiter Welle verzichtet die schwedische Regierung weiterhin auf scharfe Massnahmen in Bezug zum Coronavirus. Ein Alkoholverbot nach 20 Uhr gehört noch zu den schärfsten Einschränkungen. Eine Maskenpflicht wie in den meisten europäischen Staaten gibt es nicht. Die staatliche Gesundheitsbehörde hat Mitte Januar lediglich eine Masken-Empfehlung für Stosszeiten im ÖV ausgesprochen.
Kritische Stimmen zum Corona-Sonderweg gab es schon immer, doch die Debatte zwischen Befürwortern und Gegnern wird immer hitziger. Mitverantwortlich dafür ist eine Gruppe mit rund 200 Mitgliedern, die sich «Media Watchdogs of Sweden» nennt. Darunter sind unter anderem Wissenschaftler und Ärzte.
«Straftäter» Tegnell soll vor Gericht
Diese ist vergangene Woche durch einen rund 20-minütigen Beitrag des öffentlich-rechtlichen Senders «Sveriges Radio» ins Rampenlicht gerückt. «Verborgene Facebook-Gruppe beunruhigt Experten» lautete der Titel. Beunruhigend sei, dass die Gruppe Botschaften und Behörden europäischer Staaten kontaktiert habe. Mit der Bitte, Quarantäne-Regeln für schwedische Einreisende zu erstellen und gemeinsame Grenzen mit Schweden zu schliessen.
Doch die «Watchdogs» gehen noch viel weiter: Tegnell unterziehe das schwedische Volk in Bezug zum Coronavirus einer «Gehirnwäsche». Die politisch Verantwortlichen bezeichnen sie als «Straftäter» und die Medien, die deren Botschaften weiterverbreiten, als «bestechlich». Tegnell gehöre wegen der vielen Corona-Toten im Land vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gestellt.
Gemäss «Sveriges Radio» zeichne die Gruppe ein völlig verzerrtes Bild der Wirklichkeit. Auf Twitter hat die Gruppe die schwedische Corona-Strategie als ähnlich zur Nazi-Ideologie bezeichnet.
«Bedrohung für Demokratie»
Reaktionen liessen nicht lange auf sich warten: Der Bericht sei «unangenehm und schockierend», so ein Sprecher der schwedischen Gesundheitsbehörde. Härter ins Gericht mit den «Watchdogs» geht hingegen Epidemiologin und Wissenschaftsjournalistin Emma Frans. Auf Twitter spricht sie von einer «Bedrohung für die Demokratie», die Gruppe würde Wissenschaftler «schikanieren». Frans ist bekannt dafür, die Corona-Strategie der Regierung zu unterstützen.
Anders Vahlne, Professor für Virologie und Mitglied der separaten Gruppe «Science Forum Covid-19», sieht die Rolle der Medien aber kritisch. Dass man die «Watchdogs» mundtot machen wolle, gebe ihm ein «Stasi-Gefühl», sagt er der Zeitung «Aftonbladet».
So oder so: Die Debatte erhitzt sich gerade zu einem Zeitpunkt, an dem sich das Vertrauen in die Regierung schon im Sinkflug befindet. Gemäss einer Ende Januar veröffentlichten Umfrage des Instituts «Ipsos» haben noch 54 Prozent der Befragten «grosses Vertrauen» in Staatsepidemiologe Tegnell. Im Oktober waren es noch 72 Prozent.
Deutlich schlechter schneidet dagegen der Ministerpräsident ab. Die Mehrheit findet, Löfven habe die Krise um das Coronavirus schlecht bewältigt. Gerade mal 26 Prozent der Befragten stehen hinter ihm.