Die Ruhe nach dem Knall: Was wird aus Scholz' Zeitenwende?

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Deutschland,

Es war ein beispielloser Tabubruch: Deutschland liefert Waffen in einen Krieg gegen eine Atommacht. Kanzler Scholz hat dafür international viel Respekt geerntet. Was danach folgte, enttäuscht aber viele.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nimmt an der  Kabinettssitzung im Kanzleramt teil.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nimmt an der Kabinettssitzung im Kanzleramt teil. - John Macdougall/AFP/POOL/dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Überraschung war gross, der Jubel auch - und zwar international.

Für seine Zeitenwende-Rede drei Tage nach Beginn des Ukraine-Kriegs wurde Bundeskanzler Olaf Scholz nicht nur zu Hause, sondern auch bei den europäischen Bündnispartnern gefeiert.

Waffenlieferungen in einen laufenden Krieg, massive Aufrüstung der Bundeswehr mit einem 100-Milliarden-Vermögen, Kehrtwende in der Energiepolitik: Mit einem lauten Knall katapultierte sich Scholz nach nicht einmal drei Monaten im Amt mit an die Spitze der Unterstützer für die Ukraine. Führung statt Zurückhaltung. Entschlossenheit statt Verzagtheit. Das waren die Botschaften.

Aber was ist sieben Wochen danach daraus geworden? Der Jubel ist verhallt, die Erwartungen an Deutschland sind gewachsen. Und der Kanzler ringt darum, seine selbstgewählte Führungsrolle in Europa auszufüllen. Längst ist er wieder mit wachsendem Unmut aus Osteuropa konfrontiert.

Deutschland «schwer lesbar und wenig vertrauenswürdig»

«Der Zeitpunkt, zu dem Bundeskanzler Olaf Scholz der wirkliche Anführer Europas hätte werden können, ist längst verstrichen», schreibt beispielsweise die liberale Zeitung «Hospodarske noviny» aus Tschechien. «In Sicherheitsfragen ist Berlin für seine Verbündeten heute ein genauso schwer lesbarer und wenig vertrauenswürdiger Partner wie vor dem Beginn der russischen Invasion am 24. Februar. Die versprochene Zeitenwende ist zu einer verpassten historischen Chance geworden.»

Polens Vize-Aussenminister Piotr Wawrzyk sagte am Donnerstag im öffentlich-rechtlichen polnischen Radio, Deutschland sei das Land in der EU, «das die Kriegsführung in der Ukraine am schwierigsten macht». Er wirft der Bundesregierung eine Blockadehaltung bei der Drosselung der Energie-Importe aus Russland und Zögerlichkeit bei Waffenlieferungen an die Ukraine vor. «Deutschland tut definitiv zu wenig, um der Ukraine zu helfen», sagt er.

Borrell: Sanktionen werden Schlacht nicht entscheiden

Die Waffenlieferung sind längst in den Mittelpunkt der Diskussion über westliche Hilfe für die Ukraine gerückt. Der Grund: Die erwartete russische Grossoffensive in der ostukrainischen Region Donbass, für die der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schwere Waffen fordert. Das sind etwa Kampfpanzer, Artilleriegeschütze, Kampfflugzeuge oder Kriegsschiffe.

Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell brachte vor einer Woche die klare Botschaft von seiner Ukraine-Reise mit: «Sanktionen sind wichtig, aber Sanktionen werden das Problem der Schlacht im Donbass nicht lösen.»

Scholz: «Wir werden keinen Alleingang machen»

Deutschland hat bisher - soweit es bekannt ist - vor allem Panzerfäuste, Maschinengewehre und Luftabwehrraketen in die Ukraine geschickt. «Wir liefern, wir haben geliefert und wir werden liefern», sagt Scholz. Bei der Frage nach schweren Waffen reagiert er aber stets ausweichend. Er sagt weder Ja noch Nein dazu, sondern Sätze wie: «Wir stimmen uns über alles, was wir tun, eng mit allen Verbündeten ab.» Und: «Wir werden keinen Alleingang machen. Deutschland wird nicht anders agieren als andere Länder.»

Das Problem ist, dass inzwischen nicht mehr ganz klar ist, was eigentlich die gemeinsame Linie der Nato ist. Es gibt Berichte, dass einzelne Länder bereits schwere Waffen in die Ukraine liefern. Tschechien soll mehrere Dutzend Panzer der sowjetischen Bauart T-72 sowie BMP-1-Schützenpanzer auf den Weg gebracht haben. Polen und die Slowakei haben sich grundsätzlich bereit erklärt, Kampfjets sowjetischer Bauart in die Ukraine zu liefern, was bisher von Deutschland, aber auch den USA abgelehnt wird.

Hofreiter: «Das Problem ist im Kanzleramt»

Scholz wird nicht nur von der Ukraine und östlichen Bündnispartnern unter Druck gesetzt, sondern auch aus der eigenen Koalition. Aussenministerin Annalena Baerbock (Grüne) forderte jüngst die Lieferung schwerer Waffen offensiv ein. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai schloss sich prompt an: «Ich hoffe sehr, dass die Forderung von Frau Baerbock nicht im Sande deutscher Zuständigkeiten verläuft, sondern dass das Gerät der ukrainischen Armee nun schnell und unkompliziert zur Verfügung gestellt wird.»

Politiker beider Koalitionspartner greifen Scholz nun auch direkt an. «Das Problem ist im Kanzleramt», sagt der Vorsitzende des Europa-Ausschusses des Bundestags, Anton Hofreiter. «Wir müssen jetzt endlich anfangen, der Ukraine das zu liefern, was sie braucht, und das sind auch schwere Waffen.»

Strack-Zimmermann: Scholz «muss jetzt klar sagen, was er will»

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, attestiert Scholz sogar ganz offen Führungsschwäche. «Er hat die Richtlinienkompetenz. Er muss jetzt klar sagen, was er will. Und dann können die Ministerien auch loyal im Kabinett abgestimmt handeln. Jetzt macht jeder so sein Ding. Und das geht natürlich nicht», sagt die FDP-Politikerin.

Die Waffenfrage wächst sich zu einem handfesten Koalitionsstreit aus. So meldet sich SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich verärgert zu Wort: «Einfache Antworten, auch bei der Lieferung von schwerem Kriegsgerät an die Ukraine, gibt es nicht. Wer das behauptet, handelt verantwortungslos.» Das Hauptargument der Gegner einer Lieferung schwerer Waffen ist, dass die Nato und Deutschland von Russland als Kriegspartei angesehen werden könnten und der Konflikt dann auf die Nato übergreift.

SPD auch intern uneins

Aber die SPD ist sich auch intern uneins. Während sich Politiker des linken Parteiflügels klar gegen die Lieferung schwerer Waffen aussprechen, drückt der Vorsitzende des Auswärtigen Aussschusses, Michael Roth, aufs Tempo. «Wir brauchen pragmatische Lösungen, die wir natürlich auch mit unseren Partnern abstimmen. Aber es darf nicht der Eindruck entstehen, dass wir Bedenken vor uns hertragen, dass wir abweisend sind», sagt er.

Roth war am Dienstag zusammen mit Hofreiter und Strack-Zimmermann in der Ukraine, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Sie brachten eine klare Botschaft von ihrer Reise mit - pro Waffenlieferungen. Mützenich hat dafür kein Verständnis: «Sich davon vor Ort ein Bild zu machen, kann richtig sein. Unter diesem Eindruck allerdings bisher beispiellose Entscheidungen zu fordern, ohne sie selbst verantworten zu müssen, ist falsch - zumal diese weitgehende Konsequenzen für die Sicherheit unseres Landes und der Nato haben könnten.»

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