Linke gewinnt Thüringen-Wahl: Keine Regierung in Sicht
Rot-Rot-Grün in Erfurt ist abgewählt - obwohl Regierungschef Ramelow mit seinen Linken einen deutlichen Erfolg feiert. Wer das Land künftig führt, ist völlig offen. Was macht der grosse Wahlverlierer CDU?
Das Wichtigste in Kürze
- Historischer Sieg für Bodo Ramelow in Thüringen, aber grosse Ungewissheit über die künftige Regierung: Der Ministerpräsident und seine Linkspartei sind bei der Landtagswahl am Sonntag erstmals in einem Bundesland stärkste Kraft geworden.
Die bisherige rot-rot-grüne Koalition verlor jedoch ihre Mehrheit. Die CDU, die zuvor seit 1990 stets die meisten Stimmen bekommen hatte, stürzte am Sonntag auf ihr schlechtestes Ergebnis. Sie lag hinter der AfD auf Platz drei, die ihr Resultat mehr als verdoppelte. Die Suche nach einer Koalition dürfte äusserst schwierig werden. Möglicherweise müssen die Parteien ganz neue Wege beschreiten.
Nach den Hochrechnungen von ARD und ZDF verbesserte sich die Linke auf 31 Prozent (2014: 28,2 Prozent) und kam auf das beste Ergebnis bei einer Landtagswahl überhaupt. Die CDU von Spitzenkandidat Mike Mohring sackte auf 21,8 Prozent (2014: 33,5) - ein Minus von mehr als 11 Prozentpunkten. Die AfD, die in Thüringen vom Wortführer des rechtsnationalen Flügels, Björn Höcke, geprägt wird, sprang von 10,6 auf 23,5 Prozent. Die SPD sackte weiter ab: auf den neuen Tiefstand von 8,2 Prozent (12,4). Die Grünen lagen bei 5,1 Prozent (5,7). Die FDP kam auf 5,0 Prozent (2,5). Sie musste um den Einzug in den Landtag bangen.
Ramelow, der bisher einzige Linke-Ministerpräsident in Deutschland, sprach am Abend mit Blick auf die Regierungsbildung von einer komplizierten Aufgabe. Er betonte zugleich: «Ich sehe mich ganz klar bestätigt. Bei dem Zustimmungswert, den meine Partei bekommen hat, ist der Regierungsauftrag klar bei meiner Partei. Und ich werde diesen Auftrag auch annehmen.»
Rot-Rot-Grün verpasste die erforderliche Mehrheit von 46 Sitzen im Landtag nach den Hochrechnungen deutlich. Rein rechnerisch waren demnach drei Koalitions-Optionen möglich: Rot-Rot-Grün käme zusammen mit der FDP auf eine knappe Mehrheit von 47 Sitzen. Ebenfalls rechnerisch eine Mehrheit hätten Linke und CDU (50 Sitze) sowie Linke und AfD (51 Sitze). Alle Konstellationen sind jedoch politisch schwierig und waren vor der Wahl teils ausgeschlossen worden.
Mohring sagte am Abend, das Fehlen von Mehrheiten in der Mitte verlange nach neuen Antworten. «Zunächst heisst es, klug zu überlegen, was ist für unser Land wichtig, und wie können wir unsere Demokratie stabilisieren.» Bislang hatte er ein Bündnis mit der Linken ausgeschlossen. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak bekräftigte am Abend: «Unser Wort gilt nach den Wahlen genau wie wir es vor den Wahlen gesagt haben: Es wird keine Koalition der CDU mit der Linkspartei oder der AfD geben.»
FDP-Chef Christian Lindner erteilte einer Koalition mit der Linken eine klare Absage. «Für die FDP ist eine Zusammenarbeit mit Linker und AfD ausgeschlossen, weil beide Parteien die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in Deutschland verändern wollen», sagte er am Sonntagabend in Berlin der Deutschen Presse-Agentur. Der Generalsekretär der Thüringer FDP, Robert-Martin Montag, sagte zu einer möglichen Koalition mit Rot-Rot-Grün: «Wer unsere Positionen kennt, der weiss, dass wir reden werden. Aber vom Stand jetzt, ist eine Zusammenarbeit mit der Linken schwer vorstellbar.»
Laut den Hochrechnungen dürfte der neue Landtag 90 Sitze haben. Die Linke kommt demnach auf 29 Sitze, die AfD auf 22, die CDU auf 21 Sitze. Die SPD könnte 8 Abgeordnete in den Landtag entsenden, Grüne und FDP lägen bei jeweils 5 Mandaten.
AfD-Spitzenkandidat Höcke sagte zu den Zugewinnen seiner Partei: «Das ist ein klares Zeichen der Thüringer: So geht es nicht weiter.» Die AfD sei auf dem Weg zur gesamtdeutschen Volkspartei. «Fakt ist, die Regierung Ramelow ist abgewählt, und das ist gut für Thüringen.»
Die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer zeigte sich enttäuscht über das historisch schlechte Wahlergebnis ihrer Partei. Die SPD habe gekämpft, aber leider habe sie in der Polarisierung zwischen Ramelow und der AfD nicht profitieren können, sagte Dreyer am Sonntagabend.
Grünen-Chef Robert Habeck sagte, Thüringen stehe nun vor «kompliziertesten» Verhandlungen. «In einer Phase, wo sich die Demokratie neu sortiert, können wir Ausschliesseritis eigentlich nicht gebrauchen.» Alle demokratischen Parteien müssten miteinander gesprächsfähig sein.
Mehr als 1,7 Millionen Thüringer waren zur Wahl aufgerufen. Die Beteiligung stieg deutlich auf rund 66 Prozent (2014: 52,7).
Die Landtagswahl in Thüringen beendet das Wahljahr 2019, in dem es insgesamt vier Landtagswahlen - darunter drei in Ostdeutschland - sowie die Europawahl gab.