EU droht Russland offen mit Sanktionen
Der Kreml weist eine Verwicklung in die Vergiftung von Kritiker Alexej Nawalny zurück. Die EU erhöht nun den Druck auf Moskau, zur Aufklärung beizutragen.
Das Wichtigste in Kürze
- Die EU droht dem Kreml mit Sanktionen.
- Sie will so den Druck auf die Regierung erhöhen.
- Der Oppositionelle Alexej Nawalny wurde vergiftet.
Die EU hat Russland nach der Vergiftung des Kremlkritikers Alexej Nawalny offen mit Sanktionen gedroht. In einer Erklärung heisst es, die Europäische Union rufe zu einer gemeinsamen internationalen Reaktion auf und behalte sich das Recht vor, geeignete Massnahmen zu ergreifen.
Dazu gehörten auch Sanktionen. Heute werden zudem Vertreter der Nato-Staaten in einer ausserplanmässigen Sitzung über mögliche Reaktionen auf die Vergiftung Nawalnys beraten. In Deutschland wird heftig diskutiert, ob als Sanktionsmöglichkeit auch ein Baustopp für die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 infrage kommen könnte.
«Die russische Regierung muss alles dafür tun, um dieses Verbrechen gründlich in aller Transparenz aufzuklären und um die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen», heisst es in der vom EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell im Namen der Mitgliedstaaten veröffentlichten Erklärung.
Einsatz chemischer Waffen nicht akzeptabel
«Straffreiheit darf und wird nicht akzeptiert werden.» Der Einsatz chemischer Waffen sei unter keinen Umständen akzeptabel und stelle einen schweren Verstoss gegen das Völkerrecht und die internationalen Menschenrechtsnormen dar.
«Die Europäische Union verurteilt den Mordversuch gegen Alexej Nawalny auf das Schärfste», heisst es. Noch am Donnerstagmittag hatte ein Sprecher Borrells eher zurückhaltend auf Fragen zum Thema Russland-Sanktionen reagiert. Er sagte, solange man nicht wisse, wer verantwortlich sei, sei es schwierig, über Strafmassnahmen zu sprechen.
Die Bundesregierung hatte am Mittwoch nach Untersuchungen eines Spezial-Labors der Bundeswehr mitgeteilt, dass sie es als zweifelsfrei erwiesen ansehe, dass Nawalny mit dem militärischen Nervengift Nowitschok vergiftet worden sei. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einem «versuchten Giftmord».
Nawalnys Zustand weiterhin ernst
Der Oppositionspolitiker war am 20. August auf einem Flug in Russland plötzlich ins Koma gefallen und später auf Drängen seiner Familie in die Berliner Charité verlegt worden. Nach Angaben der Charité ist sein Gesundheitszustand weiter ernst.
Der Kreml in Moskau hatte eine mögliche Verwicklung in den Fall zurückgewiesen. Der russische Botschafter in Berlin, Sergej Netschajew, sagte dem ZDF: «Ich möchte auch unsere deutschen Kollegen aufrufen: Solange die Situation nicht geklärt ist, jegliche Politisierung zu vermeiden und auf, sagen wir so, vorläufige Einschätzungen zu verzichten und sich nur auf die Fakten zu stützen.»
Er fügte hinzu: «Es wurde bereits berichtet, dass vor der Verlegung von Herrn Nawalny aus Omsk nach Berlin in seinen Proben keine Spuren von Giftstoffen nachgewiesen worden waren.»
Nawalnys Weggefährte Leonid Wolkow sagte dem Sender RTL/n-tv, er habe nicht daran gezweifelt, dass Nawalny vergiftet worden sei. «Aber die Tatsache, dass sie Herrn Putins Lieblingsgift, das wie eine Unterschrift von ihm ist, benutzt haben, ist nach wie vor eine grosse Überraschung», sagte der Vertraute des Oppositionellen.
Nato kündigt ausserplanmässiges Treffen an
Die Nato kündigte am Donnerstagabend ein ausserplanmässiges Treffen für diesen Freitag an. Nach der Sitzung des Nordatlantikrats auf Botschafterbene soll Generalsekretär Jens Stoltenberg eine Erklärung abgeben.
Wahrscheinlich ist nach Angaben von Diplomaten, dass die Alliierten die russischen Behörden geschlossen zur lückenlosen Aufklärung des Falles auffordern. Weitergehende Massnahmen im Nato-Rahmen gelten vorerst als eher unwahrscheinlich.
Der Fall hat die Debatte um die Gaspipeline Nord Stream 2 in der Ostsee neu angefacht, die russisches Gas nach Deutschland liefern soll. Forderungen nach einem Stopp oder einem Moratorium für das deutsch-russische Projekt kamen bislang unter anderem von den Grünen, der FDP und vom CDU-Aussenexperten Norbert Röttgen.
Durch die deutsch-russische Leitung in der Ostsee soll russisches Gas nach Deutschland geliefert werden. Kanzlerin Merkel hatte allerdings erst vergangene Woche deutlich gemacht, dass sie den Fall Nawalny nicht mit Nord Stream 2 verknüpfen will.